In eigener Sache Ahrtal-Recherche: Wächterpreis für Korrespondentin Karin Dauscher

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal in der Nacht auf den 15. Juli 2021 kamen 135 Menschen ums Leben.
Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal in der Nacht auf den 15. Juli 2021 kamen 135 Menschen ums Leben.

RHEINPFALZ-Korrespondentin Karin Dauscher erhält am Donnerstag in Frankfurt für ihre Berichterstattung über die Flutkatastrophe im Ahrtal zusammen mit drei weiteren Kollegen den Wächterpreis. Die Staatskanzlei gratuliert – unterschlägt dabei aber den eigentlichen Grund für die Auszeichnung.

Viele spannende Recherchen beginnen mit nur einem Wort: „Nein.“ Wann immer Journalisten es allzu schnell hören, weckt das ihren Argwohn, gehen ihre Antennen auf Empfang. Insbesondere dann, wenn es Politiker oder deren Sprecher sind, die verneinen. Gute Journalisten beginnen in diesen Momenten zu hinterfragen, nachzubohren. Manches Mal stellt sich das „Nein“ als gerechtfertigt heraus. Manches Mal nicht.

Als Karin Dauscher im September 2022 von der Landesregierung wissen will, seit wann bekannt ist, dass dem Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ des Landtags wichtige Dokumente viel zu lange vorenthalten wurden, erhält sie ein „Nein“ der zweiten Sorte.

Die Mainz-Korrespondentin der RHEINPFALZ und der RHEINPFALZ am SONNTAG fragt nach, bohrt nach. Sie fängt an zu recherchieren, als führende Politiker am liebsten keine Recherchen sehen wollen. Sie verifiziert, fordert Einblick, bleibt hartnäckig und misstrauisch. Sie fährt mit ihrem Fahrrad durch Mainz, viel zu oft ganz früh und viel zu oft ganz spät – immer mit offenen Augen und auf Empfang geschalteten Antennen.

Der Wahrheit verpflichtet

Karin Dauscher lässt das „Nein“ an sich abprallen. Seit 2001 ist sie Korrespondentin in Mainz. Sie kennt die handelnden Personen in der Staatskanzlei. Sie erlebt die Akteure in diesen Tagen auf eine neue Art und Weise: vorsichtig, geheimnistuerisch, nervös. Dauscher, die schon zu Kurt Becks Nürburgring-Affäre recherchiert, kleinere wie größere Skandale journalistisch aufgearbeitet hat, realisiert schnell: Diese Tage gleichen einer Zäsur. Für das Land. Für die Landesregierung. Für sie.

 Seit 2001 für die RHEINPFALZ in Mainz: Karin Dauscher.
Seit 2001 für die RHEINPFALZ in Mainz: Karin Dauscher.

Die Vollblutjournalistin fühlt sich der Wahrheit verpflichtet. Handwerk geht ihr über alles. Akribie ist eine ihrer Stärken. Diese und ihre Erfahrung kommen ihr zugute in einer Zeit, in der die Republik auf Mainz blickt.

Rückblende: Bei einer verheerenden Flut in der Nacht auf den 15. Juli 2021 kommen 135 Menschen im Ahrtal ums Leben. Der Schock sitzt tief. Tausende Helfer reisen in den Norden von Rheinland-Pfalz und packen mit an. Früher Begleiter der Menschen vor Ort: der Zweifel. Meteorologen weisen auf eigentlich rechtzeitig erfolgte Unwetterwarnungen hin. Experten dokumentieren Mängel beim staatlichen Katastrophenschutz. Landrat Jürgen Pföhler (CDU) räumt ein, in der Flutnacht nicht in der Einsatzleitstelle gewesen zu sein.

Frage nach politischer Verantwortung

Binnen weniger Tage tauchen Fragen nach der politischen Verantwortung auf. Dem Umweltministerium, damals von Anne Spiegel (Grüne) angeführt, untersteht der Hochwassermeldedienst. Im Innenministerium, das Roger Lewentz (SPD) leitet, gibt es eine auf Katastrophenschutz spezialisierte Abteilung. Wer hat was wann nicht richtig eingeschätzt?

Menschen sehnen sich nach Klarheit, nach Eindeutigkeit, nach Antworten auf die Frage nach der Schuld. Die gibt es damals noch nicht. Vieles wabert, ohnehin steht das menschliche Leid über allem. Doch wie kann es in einem hochzivilisierten Land wie Deutschland sein, dass Notfallketten so versagen, so viele Menschen ihr Leben lassen bei einer Katastrophe, die nicht verhindert, aber möglicherweise abgemildert hätte werden können? All diese Fragen stellt sich auch Karin Dauscher, sie stellt sie aber vor allem den politisch Handelnden – die wahlweise ausweichen, um Verständnis bitten oder schweigen.

Am Ende ihrer Recherche können Karin Dauscher, Stephen Weber von der „Allgemeinen Zeitung“, Sebastian Stein vom „Trierischen Volksfreund“ und Bastian Hauck von der „Rhein-Zeitung“ mit ihren Analysen und Kommentaren die Schuldfrage nicht klären, aber Transparenz herstellen. Sie identifizieren Innenminister Roger Lewentz als einen, der seiner Aufgabe nicht gerecht geworden ist – wie auch Anne Spiegel, die vom Amt der Bundesfamilienministerin zurücktritt. Auch wenn Malu Dreyer verneint: Das Puzzle komplettiert sich.

Anruf auf dem Weg zum Sport

Bis die Recherche rund ist, braucht es Hartnäckigkeit – und: ein gutes Netzwerk. Karin Dauscher ist auf dem Weg zum Sport, als sie ein Anruf erreicht: Sie könne die Einsatzprotokolle der Hubschrauberstaffel einsehen. Dauscher ist sofort klar, was das bedeutet: Sie wird sehen können, was sie nicht sehen soll. Sie wird verstehen können, was nicht verstanden werden soll. Als sie die Protokolle sieht, versteht sie. Und schreibt auf. Sie bescheinigt dem Innenminister „mangelndes Gefühl für Aufrichtigkeit und mangelnden Respekt gegenüber dem Parlament“.

Spät geht Dreyer auf Abstand zu Parteifreund Lewentz. Die Redaktion der RHEINPFALZ veröffentlicht in einer Eilmeldung, dass sich die Ministerpräsidentin von ihrem Innenminister distanziert. Dreyers Sprecherin Andrea Bähner dementiert in Einzeltelefonaten mit Journalisten vehement. Wenig später gibt der Lauf der Dinge der Mainzer Korrespondentin recht. Dreyer rückt von Lewentz ab, Lewentz tritt zurück. All das, weil vier Kollegen ihre Arbeit gemacht haben. Hartnäckig. Seriös. Unabhängig. Misstrauisch. Unerschütterlich.

Journalismus, der einen Unterschied macht

An diesem Donnerstag erhalten Karin Dauscher, Stephen Weber, Sebastian Stein und Bastian Hauck für ihre Recherchen zur Flutkatastrophe im Ahrtal den Wächterpreis der deutschen Tagespresse. Gemeinsam, nominiert von ihren Chefredakteuren. Die Jury würdigt Journalismus, der einen Unterschied macht.

In ihrem Glückwunschschreiben versucht Regierungssprecherin Bähner ein letztes Mal, Deutungshoheit zu gewinnen: Sie gratuliere den Preisträgern, die „das Schicksal der Menschen vor Ort in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt und lebendig gehalten“ hätten. Das haben sie in der Tat. Den Preis erhalten sie aber für ihre Recherchen, die führende Politiker am liebsten gar nicht gesehen hätten. Die gut informierte Öffentlichkeit hingegen hat sie gerne gesehen. Die Jury des Wächterpreises ebenfalls.

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