Rheinland-Pfalz Die alternativen Begründungen der AfD

„Lassen Sie sich nicht von der NPD vereinnahmen“, warnte der AfD-Landeschef Uwe Junge bis zum Sonntag vor einer Teilnahme an der
»Lassen Sie sich nicht von der NPD vereinnahmen«, warnte der AfD-Landeschef Uwe Junge bis zum Sonntag vor einer Teilnahme an der Demonstration in Kandel. Inzwischen hat er eine Kehrtwende vollzogen.

Die rheinland-pfälzische AfD hat in den zurückliegenden Tagen eine bemerkenswerte Flexibilität erkennen lassen. Verpasst doch die Partei im Mainzer Landtag und seinen Ausschüssen kaum eine Chance, um die Bluttat von Kandel und das Alter des Beschuldigten zum wiederholten Mal zum Thema zu machen. Nur vor dem vergangenen Wochenende ließ ihre Führung ungewohnte Zurückhaltung erkennen. Sie warnte sogar die Mitglieder vor einer Teilnahme an der Demonstration, zu der ein „Frauenbündnis“ am Sonntag nach Kandel aufgerufen hatte. Der rheinland-pfälzische AfD-Frontmann Uwe Junge lieferte in einem Schreiben zwei Gründe dafür: Seine Partei habe auf allen Ebenen „angemessen auf das grausame Ereignis reagiert. Wir und die Menschen in Kandel meinen: Es reicht!“ Zweite Begründung: „Es ist zu befürchten, dass die gute Absicht vieler ehrlich empörter Bürgerinnen auch aus der AfD durch NPD und andere rechtsextreme Parteien und Vereinigungen genutzt werden soll, um rechtsradikale Stimmung zu machen.“ Deshalb, so Junges Appell: „Lassen Sie sich nicht von der NPD vereinnahmen.“ Am 26. Januar veröffentlichte der AfD-Kreisverband Germersheim einen fast schon flehentlichen Aufruf an die „lieben Mitglieder und Freunde“: „Bitte nehmen Sie am Sonntag nicht an der Demo in Kandel teil!“ Auch hier musste die NPD, die zur Teilnahme an der Veranstaltung aufgerufen hatte, zur Begründung herhalten: „Wir distanzieren uns von dieser Partei und von allen ihr nahestehenden Organisationen.“ Auch fehlte nicht der Hinweis, dass „der für Kandel zuständige AfD-Kreisverband Germersheim“ bereits vor Ort in einer Weise aktiv gewesen sei, „die von der Bevölkerung als angemessen bewertet“ worden sei. Deshalb „haben wir den AfD-Bundesvorstand gebeten, unsere Mitglieder bundesweit zu informieren, dass wir empfehlen, aktuell keine weiteren Aktionen in Kandel zu planen oder zu unterstützen.“ Sonst laufe man Gefahr, „uns ... in unserer politischen Arbeit zu schaden“. Doch die Appelle wurden überhört. Rund 1000 Teilnehmer kamen am Sonntag nach Polizeiangaben nach Kandel. Allein aus Baden-Württemberg rückten vier AfD-Landtagsabgeordnete an: „Es war ein voller Erfolg“, jubelte Christina Baum (Lauda-Königshofen) auf ihrer Facebook-Seite. Stefan Räpple (Freiburg) und Hans-Peter Stauch (Reutlingen) schrieben auf Facebook: „Am 3. März kommen wir wieder.“ Und Rainer Balzer (Bad Schönborn) postete mehrere Fotos. Die AfD im Kreis Germersheim, aber auch ihr Landeschef Junge, ein ehemaliger Bundeswehr-Oberstleutnant, ernteten für ihren Boykott-Aufruf Kritik aus den eigenen Reihen, aber auch Hohn und Spott von ganz Rechtsaußen: „Wärst Du doch beim Militär geblieben. Da hätten Sie hinter jedem Busch Deckung suchen können, während das Fußvolk den Kopf hinhält“, war gestern auf der Internetseite der AfD Rülzheim nachzulesen. Angesichts der offensichtlich unerwartet großen Teilnehmerzahl in Kandel blies der AfD-Kreisverband am Dienstag via Internet kleinlaut zum taktischen Rückzug. Inzwischen mussten nicht mehr eine drohende Instrumentalisierung durch die NPD oder Empfindungen der Bevölkerung in Kandel als Begründungen für den Boykott-Aufruf herhalten. Jetzt hieß es, man habe nicht absehen können, dass die Kundgebung friedlich zu Ende gehen würde. „Aus diesem Grund hatte unser Vorstand am Freitag mehrheitlich beschlossen, Ihnen von der Teilnahme abzuraten.“ Auch künftig werde „lageabhängig entschieden“, ob man den Mitgliedern „Pro oder Contra“ empfehle. Schon einen Tag zuvor hatte Landeschef Junge die neue AfD-Generallinie vorgegeben. „Demo in Kandel: Ein Erfolg der Bürger!“ postete er auf seiner Facebook-Seite. Im Text fand er wieder zu seiner aus dem Landtag gewohnten Form zurück: „Die AfD ist der politische Arm dieser berechtigten Forderungen und wird dieser Rolle als Partei auf allen Ebenen gerecht“, suchte Junge die Reihen zu schließen. Er habe sich den Live-Stream zu Kandel angeschaut und habe dabei festgestellt: „Hier sind die Bürger auf die Straße gegangen.“ Dass die Polizei unter den 1000 Teilnehmern auch etwa 100 Personen ausgemacht hatte, „die dem rechten Spektrum zugewiesen werden“, darunter „auch polizeibekannte Aktivisten“, störte den Vorsitzenden nun nicht weiter. Vielleicht hat dieses Hin und Her um die AfD-Position zur Kandeler Demonstration auch eine Ursache, die mit der Teilnahme der NPD oder den Empfindungen der Bevölkerung wenig zu tun hat. Und diese Ursache könnte den Namen Christiane Christen tragen. Die frühere Vize-Vorsitzende der rheinland-pfälzischen AfD aus dem Rhein-Pfalz-Kreis und Junge sind sich aus früheren Machtkämpfen in inniger Abneigung verbunden. Christen hat den Fall Kandel zu ihrem Thema gemacht. So zeichnet sie für die Facebook-Seite „AfD-Politik für Frauen“ verantwortlich, auf der sie für die Teilnahme an der Demonstration in Kandel geworben hatte. Inhaberin der Internetadresse „kandel-ist-ueberall.de“, auf der zur Teilnahme an der nächsten Demo aufgerufen wird, ist laut der Registrierungsstelle Denic Christens Werbeagentur „Vitamin C GmbH“ in Speyer. Und am vergangenen Sonntag marschierte sie in Kandel in der ersten Reihe mit.

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