Rheinland-Pfalz „Einflussnahme nicht möglich“

Nicht immer liefern Tempomessgeräte Fotos, auf denen die Verkehrssünder zu identifizieren sind. Gutachter sollen in Zweifelsfäll
Nicht immer liefern Tempomessgeräte Fotos, auf denen die Verkehrssünder zu identifizieren sind. Gutachter sollen in Zweifelsfällen für Klarheit sorgen – mit manchmal umstrittenen Ergebnissen.

«Mainz». Das Mainzer Innenministerium sieht die Beauftragung des umstrittenen Gutachters Cornelius Schott durch rheinland-pfälzische Gerichte offenbar kritisch. In wie vielen Fällen Gutachten Schotts zu Urteilen führten, die von der nächsten Instanz wieder aufgehoben wurden, dazu macht das Ministerium zwar keine Angaben. Dokumentiert ist aber ein Fall aus der Pfalz.

In einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Lammert erklärte jetzt Staatssekretär Günter Kern (SPD), es sei nicht üblich, Sachverständige, deren Gutachten in der gerichtlichen Überprüfung keinen Bestand hatten, weiterhin mit der Erstellung von Gutachten zu beauftragen. „Da die Auswahl und Beauftragung von Sachverständigen der richterlichen Unabhängigkeit unterliegt, ist eine Einflussnahme auf die Richterinnen und Richter gleichwohl nicht möglich“, erklärte Kern. Eingesetzt wird der promovierte Humanbiologe Schott nicht nur von den Gerichten, sondern auch von der Zentralen Bußgeldstelle in Speyer in Form von Vorgutachten. Er vergleicht dabei jeweils die Fotos, die beispielsweise Blitzerkameras von Verkehrssündern machen, mit Aufnahmen des Halters und ermittelt anhand von Gesichtsmerkmalen, ob es sich beim Halter um den Fahrer handelt. RHEINPFALZ-Recherchen hatten ergeben, dass die Zentrale Bußgeldstelle in Rheinland-Pfalz 2016 insgesamt rund 200, ein Jahr später rund 350 solcher Identitätsgutachten vergeben hatte – in jeweils 80 Prozent der Fälle bekam Schott die Aufträge. Staatssekretär Kern bestätigte jetzt in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage diese Zahlen. Bei den Verkehrsdelikten ging es meist um Geschwindigkeits- und Abstandsverstöße. Die konkrete Anzahl der Fälle, in denen von Schott erstellte Gutachten keinen Bestand hatten, könne ohne Einsicht in die einzelnen Gerichtsakten nicht benannt werden, erklärte Kern. Er verwies jedoch auf einen aktuellen Fall, in dem ein Vergleichsgutachten Schotts zunächst zu einer Verurteilung geführt hatte, die dann aber vom Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken aufgehoben wurde. Über diesen Vorgang sei auch die Bußgeldstelle in Speyer unterrichtet worden: Sie habe einen „entsprechenden Hinweis bezüglich der die Verurteilung nicht tragenden Qualität des Gutachtens“ erhalten. Worum ging es: Auf der A 6 bei Landstuhl war ein Fahrzeug aus dem Saarland geblitzt worden, das deutlich zu schnell unterwegs war. Das Amtsgericht Landstuhl verurteilte den Halter zu einer Geldbuße von 160 Euro und einem Monat Fahrverbot. Zwar war das Messbild von so schlechter Qualität, dass das Gericht selbst damit den Mann nicht als Fahrer identifizieren konnte. Doch der eingeschaltete Cornelius Schott kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Saarländer „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ den Wagen gesteuert hatte. Das OLG hob das Urteil im Januar auf und setzte sich dabei auch kritisch mit der Arbeit Schotts auseinander. Dessen Gutachten bedürften „einer besonders kritischen“ Würdigung durch das Amtsgericht. Denn es gebe belastbare Hinweise, dass sich Schotts gutachterliche Äußerungen in früheren Verfahren als nicht nachvollziehbar oder gar als unrichtig erwiesen hätten. Deshalb könne gegebenenfalls die Einschaltung eines weiteren Gutachters sinnvoll sein, meinte das OLG Zweibrücken. In der Tat gibt es ein besonders fatales Fehlgutachten Schotts: Ein früherer Hausmeister war 1994 wegen eines Bankraubs in Nürnberg aufgrund eines Vergleichsgutachtens Schotts zu acht Jahren Haft verurteilt worden – Grundlage seines Gutachtens waren Aufnahmen der Überwachungskamera im Schalterraum gewesen. Nachdem der Mann seine Strafe verbüßt hatte, stellte sich heraus, dass ein anderer der Täter war. Schott wurde wegen „grob fahrlässiger Fehlerhaftigkeit“ zur Zahlung von 150.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. CDU-Landtagsabgeordneter Matthias Lammert hatte auch nach dem Umfang gefragt, in dem Schott von den rheinland-pfälzischen Gerichten selbst – also unabhängig von der Zentralen Bußgeldstelle – eingesetzt wird. Aufgrund der Vielzahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren sei dazu eine Auswertung schwierig, erklärte Staatssekretär Kern. Die von ihm aufgeführten Fallzahlen seien deshalb nur als Mindestwert zu betrachten – aber auch dies zeigt das Ausmaß der Beschäftigung Schotts. Von den Amtsgerichten im Bereich des OLG Koblenz wurde er seit dem Jahr 2012 nahezu ausschließlich in Bußgeldverfahren, sehr vereinzelt auch in Strafverfahren beauftragt. Im Bezirk des Landgerichts Bad Kreuznach war Schott demnach beispielsweise in 52 Bußgeldverfahren der Sachverständige. Im Landgerichtsbezirk Koblenz waren es seit 2013 insgesamt 197 Bußgeldverfahren und sechs Jugendstrafverfahren. Im Bezirk des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken konnten laut Staatssekretär Kern im Landgerichtsbezirk Frankenthal seit dem Jahr 2015 insgesamt 24 Ordnungswidrigkeitenverfahren ermittelt werden, in denen Schott als Verfahrensbeteiligter geführt wurde. Im Landgerichtsbezirk Kaiserslautern weise die Statistik seit 2015 in 35 Fällen Beteiligungen Schotts aus. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hatte neben dem am Amtsgericht Landstuhl verhandelten Fall aktuell noch in einem weiteren Verfahren den Beweiswert eines solchen Identitätsgutachtens beanstandet. Dieser Fall war vor dem Amtsgericht Pirmasens verhandelt worden, dabei war nicht Schott, sondern eine Gutachterin aus dem Saarland eingesetzt. Welche Konsequenzen hat die Zentrale Bußgeldstelle der Polizei, die ja – anders als die Gerichte – durchaus im Einflussbereich des Innenministeriums steht, aus diesen beiden Vorgängen gezogen? Staatssekretär Kern: Die Bußgeldstelle habe ihre Anforderungen an die Einholung solcher Gutachten erhöht „und, soweit das anthropologische Identitätsgutachten nicht auf Weisung des Gerichts im Rahmen eines entsprechenden Beweisbeschlusses durchgeführt wird, unter einen Entscheidungsvorbehalt des Leiters der Zentralen Bußgeldstelle gestellt“. Schott hat sein Büro in der hessischen Kleinstadt Langenselbold. Gegenüber der RHEINPFALZ machte er zu dem Umfang seiner Tätigkeit in Rheinland-Pfalz keine Angaben. In der OLG-Entscheidung sieht er überdies keine Kritik an seiner Arbeit: Die Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Landstuhl beruhe „auf formaljuristischen Inhalten“. CDU-Abgeordneter Lammert sieht sich indes durch die Antworten des Ministeriums bestätigt: Es sei richtig, die Tätigkeit dieses Gutachters zu hinterfragen. Offenbar hätten etliche Gerichte und Behörden Schotts Gutachten „treu für bare Münze genommen“. Dabei könne es auch um die Existenz gehen, wenn ungerechtfertigterweise der Führschein weg sei.

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