Rheinland-Pfalz Kein Grund für Mitleid im Blick

Blick über das Nordwestpfälzer Bergland beim Dörfchen Homberg im Kreis Kusel.
Blick über das Nordwestpfälzer Bergland beim Dörfchen Homberg im Kreis Kusel.

Die Pfalz. (Fast) unendliche Weiten, Ebenen, Berge, Wasser, Wiesen. Und viel Wald. Die RHEINPFALZ hat sich wieder auf den Weg gemacht. Kreuz und quer durch die Pfalz. In unserer Sommerserie berichten Redaktionsmitglieder, was sie bei der „Tour de Pfalz 2017“ erlebt haben. Heute geht es um eine kleine Radtour abseits der bekannten Wege, um Fernblicke, die zu den schönsten in der Nordwestpfalz gehören und um einen Weinberg, den der Radler dort nicht erwartet.

„Wenn es hinauf geht, geht es auch wieder hinunter.“ Im Sattel eines Tourenrades findet meine Frau den flapsigen Spruch gar nicht lustig. Und ich selbst mag mich auch nicht gerne quälen, gibt es in reizvollen Flusstälern doch genug Radwege zum eher genüsslichen Strampeln. Aber heute ist alles anders. Es ist schon ordentlich hinaufgegangen. Die geliehenen Elektroräder verleihen dem geübten Flachlandradler zusätzliche Kräfte. Jetzt geht es wieder hinunter. Bis zu 14 Prozent Gefälle kündigt das Verkehrsschild an der schmalen Kreisstraße an. Das Bike nimmt rasch Fahrt auf. Schnell klettert die Tachoanzeige auf über 40 Stundenkilometer. Bremsen, denn die Abfahrt wird noch steiler – und außerdem wäre es schade, den kleinen Weinberg rechts neben der Fahrbahn zu übersehen! Wir sind unterwegs vom Dörfchen Deimberg hinunter nach Offenbach-Hundheim im Glantal. Weinbau im Kreis Kusel? Ja, den gibt es tatsächlich noch. „Das Hobby trägt sich“, sagt Hugo Grill. Vor achtzehn Jahren haben der inzwischen pensionierte Polizeihauptkommissar und eine Hand voll Gleichgesinnter sich zu den „Weinbrüdern“ zusammengefunden. Mit der Neuanlage des Wingerts wollen die Freizeit-Winzer an die uralte Weinbautradition des Dörfchens Offenbach anknüpfen. Die Heimatforscher streiten, ob schon die Römer oder doch erst die Benediktiner des mittelalterlichen Klosters die Reben an den unteren Glan gebracht haben. Fest steht: In den 1920er-Jahren gab es noch knapp zwei Dutzend Weinbauern allein in Offenbach. Drei Jahrzehnte später haben Missernten und die zunehmende Lust der Leute auf süße Tropfen dem erwerbsmäßigen Weinbau am Glan das Ende bereitet. Geblieben sind das jährliche Winzerfest im 1000-Seelen-Dorf und die Weinbrüder. Seit 2001 keltern sie wieder, Roten und Weißen aus der Ernte von 1200 Weinstöcken, wie Hugo Grill berichtet. Es ist ein leider bedeckter, aber dafür angenehm kühler Sommermorgen als wir in Lauterecken auf die Räder steigen. Die gängigen Radwege sind uns sattsam bekannt. Wir wollen per Drahtesel die angrenzenden Höhen erkunden. In dem Städtchen im nördlichen Landkreis Kusel treffen sich der Lautertalradweg aus dem 35 Kilometer südlich gelegenen Kaiserslautern und der Glan-Blies-Radweg, der vom französischen Saargemünd bis zur Mündung des Glans in die Nahe führt. Vor uns liegen etwas mehr als 16 Kilometer Rundkurs und knapp 400 Höhenmeter. Mit dem Elektrobike ist das kein Problem, nur wer gut trainiert ist, schafft es ohne Unterstützung. Die Akkus sind geladen, die Wasserflaschen gefüllt – denn da oben ist es nur schön, Verpflegung Fehlanzeige. Wir verlassen Lauterecken auf dem Radweg entlang der Bundesstraße Richtung Idar-Oberstein. Nach knapp eineinhalb Kilometer lohnt ein Abstecher nach Grumbach. Bis zu 60 Meter über dem Tal schmiegt sich das Dörfchen an den Hang. Das Elektrobike tut seinen Dienst. Über dem Ort thront das Schloss, in dem einst die Wild- und Rheingrafen und später Beamte des Amtes Grumbach die umliegenden Lande regierten, bis die Geschichte das Dorf aus dem Mittelpunkt seiner Welt nahm. Eine Infotafel beim Schloss erinnert daran, dass der legendäre Räuber Schinderhannes einen Teil seiner Jugend in den Grenzen des Amtsbezirks Grumbach verbracht und der erste rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wilhelm Boden dort das Licht der Welt erblickt hat. Wieder unten im Tal, führt der Radweg weiter entlang der Bundesstraße bis wir auf die schmale Straße nach Homberg stoßen. Jetzt wird es ernst. Erst sehr steil, dann gemächlicher geht es nach oben. Auf schmaler Straße fahren wir nach Homberg und auch im Dorf immer weiter bergauf. In dem Flecken ist es still. Die Homberger sind am späten Vormittag wahrscheinlich irgendwo da unten zur Arbeit. Eine Hausfrau schaut uns von der Terrasse verstohlen hinterher. War da Mitleid im Blick? Dafür ist kein Grund. Die Elektroantriebe schnurren leise. Wenige Meter hinter dem Dorf endet die Bergfahrt auf einer Kuppe. Wir sind in knapp 400 Meter Höhe. Der Blick öffnet sich auf eine 50 Meter tiefer gelegene kleine Ebene, ein Flickenteppich aus abgeernteten Feldern, durchschnitten von zwei kleinen Tälern. Gegenüber erheben sich die großen markanten Höhenzüge des Nordwestpfälzer Berglands, unter anderem der Potzberg und der Königsberg. Kaum breiter als ein Radweg führt die Straße weiter zum Schönbornerhof. Hinten im Wald beginnt die Weite des Truppenübungsplatzes Baumholder. Es ist still hier oben. Nur eines von drei Windrädern lässt sein monotones Brummen hören. Ein Plakat protestiert gegen den Bau weiterer Anlagen. Inzwischen hat sich der Blick auch hinüber zum majestätischen Donnersberg geöffnet. Ein paar Kilometer weiter unten, kurz vorm Dörfchen Deimberg schweift das Auge nach Westen bis zur saarländischen Landesgrenze. Im Norden sind bei klarem Wetter die südöstlichen Ausläufer des Hunsrücks erkennbar. Neben den Aussichten belohnen auch die flotten Abfahrten für fast schon vergessene kleine Mühen. Beim Weinberg fällt mir wieder ein: „Wenn es hinauf geht, geht es auch wieder hinunter.“ In Offenbach lohnt noch die Besichtigung der Propsteikirche, die mit ihren spätromanischen und gotischen Stilelementen als Kleinod der Kirchenarchitektur in der Pfalz gilt. Und dann sind wir wieder ganz unten im Tal, auf dem Glan-Blies-Radweg – dort, wo sie alle strampeln. Den Elektroantrieb haben wir abgeschaltet. Info —Das Buch zur Serie: 25 der besten Folgen der „Tour de Pfalz“-Serien aus den Vorjahren sind in einem RHEINPFALZ-Buch versammelt: Ausflüge per Boot, zu Fuß, mit Rad, Segway oder mit dem Cabriobus, 2012, 160 Seiten, 9 Euro, ISBN 978-3-937752-21-1, im Buchhandel oder im RHEINPFALZ-Shop: shop.rheinpfalz.de/ —Die nächste Tour erscheint am 14. August: mit dem Trikke durch die Südwestpfalz.

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