Rheinland-Pfalz Mainz: Rechtsruck in der politischen Bildung?

In einer ehemaligen Papierfabrik in Osthofen (heute Rheinhessen) richteten die Nationalsozialisten im März 1933 eines der ersten
In einer ehemaligen Papierfabrik in Osthofen (heute Rheinhessen) richteten die Nationalsozialisten im März 1933 eines der ersten Konzentrationslager ein. Heute befinden sich dort eine Gedenkstätte und das NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz. Beide sind Einrichtungen der Landeszentrale für politische Bildung.

Auf Vorschlag der AfD ist der umstrittene freiberufliche Historiker und Autor Stefan Scheil Mitglied im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung geworden. Seine Thesen gelten als revisionistisch, sein Verleger sitzt im Zentrum der „Neuen Rechten“, die den Parlamentarismus ablehnt. „Wir nehmen das professionell an“, sagt der Chef der Landeszentrale, Bernhard Kukatzki.

Nach der Landtagswahl im März 2016 hat es mehr als eineinhalb Jahre gedauert, bis sich am 29. November 2017 das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung konstituiert hat. Ungewöhnlich lange. Einige Parlamentarier jenseits der AfD versuchten, eine Personalie zu verhindern, letztlich erfolglos. So ist unter dem Radar der Öffentlichkeit Stefan Scheil aus dem pfälzischen Neuhofen in das Gremium eingezogen, ein freiberuflicher Historiker und Autor. Er saß für die AfD von 2014 bis 2015 im Kreistag des Rhein-Pfalz-Kreises und war Bundestagskandidat der Partei. 2016 arbeitete er für die Erich und Erna Kronauer Stiftung in Schweinfurt.

Tendenz revisionistisch

In Rezensionen seiner Bücher wird ihm Revisionismus vorgeworfen, eine Relativierung bis Verharmlosung des Angriffskriegs Hitlers. „Adolf der Friedliebende“ titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ 2006 spöttisch. Für sein jüngstes Werk, einer Biographie Ribbentrops, werden ihm in der gleichen Zeitung profunde Kenntnisse der Quellen attestiert. Er korrigiere in einem Punkt sogar die Historikerkommission des Auswärtigen Amtes. Aber ihm werden auch „unhaltbare Annahmen zu Staatenkonstellation und Struktur der nationalsozialistischen Außenpolitik“ bescheinigt. Es sei in der Tendenz revisionistisch, heißt es über das Buch. Scheil führt den Vorwurf, er sei Geschichtsrevisionist, auf die „linksextremen Gewohnheitslügner bei Wikipedia“ zurück. Der akademischen Geschichtswissenschaft wirft er vor, sich einer „politisch-korrekten Tendenz“ unterworfen zu haben.

Stellt Gedenkarbeit in Frage

Scheil stellt die Gedenkarbeit, wie sie die Landeszentrale in den früheren Konzentrationslagern Osthofen und Hinzert und zunehmend an anderen Stellen im Land praktiziert, in Frage. Was den Islam betrifft, spricht er von einer „staatlich geförderter Islampropaganda“ und fordert eine Revision: „Die steigende Zahl der Muslime in Deutschland stellt insofern eine schleichende Form der Verfassungsgefährdung dar, die von der politischen Bildung entsprechend aufzugreifen wäre“, schreibt er in der „Jungen Freiheit“ am 31. August 2018. Jener Wochenzeitung, deren Auflage mit dem Aufkommen der AfD stieg – Jahrzehnte, nachdem sie von Dieter Stein gegründet wurde, der damals Mitglied der „Republikaner“ war. Außer für die „Junge Freiheit“ schreibt Scheil auch für die „Sezession“, die ebenfalls wie der Antaios-Verlag, in dem er publiziert, zum Imperium des Verlegers Götz Kubitschek gehört. Letzterer ist die Galionsfigur der intellektuellen Bewegung, die allgemein als „Neue Rechte“ bezeichnet wird. Die Aufnahme in die AfD ist Kubitschek vor wenigen Jahren verweigert worden, weil er jenseits der verfassungsrechtlichen Demarkationslinie agitiert. Er verachtet das parlamentarische System und fordert die Führung durch eine „Elite“. Dies zu erreichen ist das Ziel der neurechten Bewegung. Den Begriff der Bewegung hat auch AfD-Rechtsaußen Björn Höcke schon verwendet, aber dagegen verwahren sich Repräsentanten der AfD, beispielsweise der rheinland-pfälzische Landes- und Fraktionschef Uwe Junge oder dessen Stellvertreter Joachim Paul.

Religionsfreiheit als Herausforderung

Der Grat ist schmal. Scheil, der mit Kubitschek seit Jahren zusammenarbeitet, betont, er stehe zum Parlamentarismus und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auf die Frage, wie er es mit der Religionsfreiheit für Muslime halte, sagt Scheil: „Ich sehe das als große Herausforderung für die deutsche Verfassungswirklichkeit, wie gesagt. Ein Patentrezept habe ich selbstredend nicht.“ Warum hat die AfD-Fraktion einen Historiker vorgeschlagen, der wissenschaftlich umstritten ist und eine große Nähe zu Kreisen pflegt, die die Verfassung in Frage stellen? „Unsere Fraktion schätzt Dr. Scheil als ausgezeichneten Historiker und Wissenschaftler – völlig unabhängig von den Aussagen seiner zahlreichen Werke. Jedes Werk steht im offenen wissenschaftlichen Diskurs. Unsere Fraktion bewertet keine Fachliteratur der Geschichtswissenschaft“, sagt Joachim Paul, der vor seiner Abgeordnetentätigkeit Schülern Deutsch und Geschichte beigebracht hat.

Politische Ausgewogenheit

Das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung soll die politische Ausgewogenheit gewährleisten. Es tagt drei- bis viermal im Jahr, nimmt den Jahresbericht entgegen und die Planungen für das Programm. Es setzt sich zusammen aus acht Mitgliedern des Landtages und acht von diesen vorgeschlagenen Personen aus dem wissenschaftlichen und öffentlichen Leben. Vertreter der parteinahen Stiftungen gehören dem Gremium an, aber auch der Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli. Der Landtag schickt die Vorschlagsliste an das Wissenschaftsministerium, das die Mitglieder ernennt. Es waren vor allem die Grünen, die den Personalvorschlag lange verhindern wollten, sagt Daniel Köbler, der ebenso wie die CDU-Abgeordnete Marlies Kohnle-Gros Mitglied des Kuratoriums ist. Die Christdemokratin hat nach eigenen Worten bei der AfD nachgefragt, ob es keinen anderen Personalvorschlag gebe. Ebenso die SPD-Fraktion, wie deren Parlamentarischer Geschäftsführer Martin Haller sagt, der Scheil aus dem Kreistag kennt und seine Positionen als „völlig inakzeptabel“ beschreibt. Letztlich fühlte sich seine Fraktion an die gängige Praxis gebunden, dass alle demokratisch gewählten Landtagsfraktionen einen Vertreter schicken könnten.

Kein Eingriffsrecht

Das Ministerium sah sich auch außerstande, die Berufung nicht vorzunehmen: „Wir sind bei der Besetzung an dem Vorschlag des Landtags gebunden. Strafrechtliche Ermittlungen sind dem Ministerium nicht bekannt, die gegebenenfalls eine Mitgliedschaft in Frage stellen könnten“, sagt Ministeriumssprecher Markus Nöhl auf Anfrage. „Das Ministerium sieht die politischen und historiografischen Äußerungen Herrn Dr. Scheils außerordentlich kritisch. Ob seine Tätigkeit die politische Ausgewogenheit der Arbeit der Landeszentrale beeinträchtigt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beantworten.“ Ein Eingriffsrecht hat das 16-köpfige Kuratorium nicht, sagt der langjährige Vorsitzende und frühere Landtagspräsident Christoph Grimm. „Es hat noch keine Grenzüberschreitungen gegeben.“ Scheil trage seine Kritik vor – etwa an dem Programm „Schule gegen Rassismus“ oder an der Erinnerungskultur.

Scheil setzt auf Auseinandersetzung

Der Leiter der Landeszentrale, Bernhard Kukatzki, der Scheil ebenfalls aus dem Kreistag in der Pfalz kennt, setzt sich in den Sitzungen mit ihm auseinander – etwa mit seiner auf sechs Seiten verfassten Kritik am Jahresbericht der Zentrale. Er geht dem Diskurs nicht aus dem Weg. „Wir nehmen das professionell an, als Teil der politischen Wirklichkeit“, sagt Kukatzki. Entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der Zentrale könnten ein oder zwei Mitglieder des Kuratoriums ohnehin nicht ausüben. Vergangene Woche war der Auftakt für eine Veranstaltungsreihe, in der es nicht nur, aber auch um rechte Parolen geht: „Digitale Zivilcourage. Argumentations- und Handlungsmöglichkeiten im Internet“. Im Angebot ist auch ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Für einen inhaltlichen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg oder über den Islam wird das allerdings nicht ausreichen.

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Stefan Scheil, nun Mitglied im Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung.
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Bernhard Kukatzki, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung.
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