Rheinland-Pfalz Sheriff der Obstplantagen

Bingen. „Stellen Sie sich vor, es bedient sich ständig jemand an Ihrem Kühlschrank“, sagt Josef Winter. „Auch wenn am Anfang noch 25 Joghurts drin sind, ist er irgendwann leer.“ Feldhüter Winter zieht diesen Vergleich gerne, wenn er mit Obstdieben diskutiert. Denn die rechtfertigen ihr Tun, indem sie es als Mundraub bezeichnen. „In Deutschland verhungert doch keiner“, sagt er. Den Bauern dagegen bleibe wenig von ihrer Ernte, wenn sich jeder Spaziergänger einen Apfel, eine Birne oder eine Erdbeere in den Mund steckt. Wer einen ganzen Baum plündert, muss sogar mit einer Anzeige wegen Diebstahl rechnen. Winter hat schon erlebt, wie Menschen fünf Kilo Äpfel mit dem Fahrrad abtransportieren. Noch gut erinnert er sich zudem daran, wie ein Obstdieb ihn mit dem Messer bedrohte und entwischte. Fünf Tage pro Woche fährt Josef Winter im Auftrag der Stadtverwaltung in seinem grünen Suzuki durch das Umland von Bingen. Winter, ein sonnengebräunter, unkompliziert wirkender Mann mit ergrautem Schnauzer, ist quasi ein Ordnungsbeamter auf freier Flur. Seine „Waffen“ sind eine Kamera, das Handy und ein Kugelschreiber, sein „Revier“ ist 1700 Hektar groß. Obstdiebe auf frischer Tat zu ertappen, ist nur eine seiner Aufgaben. Winter fährt zum Beispiel auch die Wege zwischen den Weinreben ab. Diese müssen nämlich so gut in Schuss sein, dass Maschinen und Schlepper durchkommen. Da sie wenig befahren sind, wachsen die Wege rasch zu. Mit den Weinbauern der Stadt steht Winter in engem Kontakt, grüßt aus dem Autofenster, nimmt mal jemanden ein Stück mit, erkundigt sich nach den Vorbereitungen aufs anstehende Fest. „Dass ich selbst gelernter Winzer bin und bis 1999 in diesem Beruf gearbeitet habe, hilft mir enorm, wenn es darum geht, Probleme zu lösen“, sagt Josef Winter. Dazu gehöre zum Beispiel, dass viele Jogger über Kopfhörer Musik hören und deshalb nicht merken würden, wenn sich schwere Maschinen von hinten näherten. „Ich spreche die Jogger dann schon mal auf das Risiko an, das sie eingehen.“ Als Feldschütz hat Josef Winter einen Beruf mit langer Tradition. Wie der Name schon sagt, geht es um jemanden, der für den Schutz und die Pflege von Feldern im Umland einer Stadt oder Gemeinde angestellt ist. „Weil die Kommunen sparen müssen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten massiv Stellen gestrichen“, beklagt Franz Schatt, Hauptgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Pfalz Süd. In Bobenheim-Roxheim beispielsweise habe es vor Jahrzehnten noch drei Feldhüter gegeben, heute keinen mehr. Auch in Kaiserslautern ist die Position gestrichen worden. „Die Aufgaben werden, soweit man das überhaupt noch sagen kann, durch verschiedene Behörden und Dienststellen wahrgenommen“, so eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Auch in Speyer gibt es seit 25 Jahren keinen Feldhüter mehr. Heute verständigt laut Stadt der Landwirt bei Diebstahl von Frühkartoffeln nicht mehr den Feldschützer, sondern die Polizei. Bei Schäden durch Wildverbiss wendet sich der Landwirt an das zuständige Forst- oder Jagdrevier. Dieser Trend ist zum Beispiel auch in Neustadt an der Weinstraße zu verzeichnen. Dort gibt es zwei Feldhüter. Bis zur Gemeindereform von 1969 waren jedoch mindestens zehn Feldschützer im Umland von Neustadt unterwegs. Laut Stadt wurde die Anzahl der Feldhüter im Laufe der Jahrzehnte reduziert, da seit Ende der Nachkriegszeit nicht mehr soviel Obst gestohlen werde. Während der Weinlese werden zusätzlich zu den zwei Stammkräften ausreichend Hilfskräfte zur Überwachung temporär eingesetzt. Eine Ausnahme ist Wörrstadt (Landkreis Alzey-Worms). Die Verbandsgemeinde hat vor einem Dreivierteljahr einen Feldschützer eingestellt – allerdings nur als Minijobber. Die Wege müssten für Radfahrer und Wanderer gepflegt und für immer größere Landwirtschaftsmaschinen freigehalten werden. Ähnlich argumentiert die Stadt Bingen. „Wir haben seit Jahrzehnten einen Feldhüter, weil die Arbeit einfach da ist“, sagt Pressesprecher Jürgen Port, „Bingen hat viele Weinberge, Gemarkungen und Freizeitmöglichkeiten, die gepflegt werden müssen.“ Außerdem stehe Bingen durch hohe Gewerbesteuereinnahmen finanziell gut da. Bingen und Wörrstadt sind also Ausnahmen. Die Konsequenzen fehlender Feldhüter in anderen Städten und Gemeinden trügen die Bauern und Winzer, kritisiert Franz Schatt. Bei Mainz beispielsweise gäbe es massive Probleme mit Obstdieben. Im Umland von Ludwigshafen verschmutzten Hunde die Felder. Und zu viele Fahrradfahrer würden automatisch annehmen, sie hätten auf Feldwegen Vorfahrt. Dass es immer weniger Feldhüter in Rheinland-Pfalz gibt, kann auch Josef Winter bestätigen. Er ist bei seiner Kontrollfahrt an diesem Tag inzwischen am Trimm-dich-Pfad von Bingen angekommen. Winter steigt aus dem Auto und läuft über das grasbewachsene Gelände. „An den Wochenenden kommen gerne Familien mit Kindern hierher“, sagt er, „deshalb ist es wichtig, dass keine Glasscherben und kein Hundekot herumliegen.“ Auf dem Platz treffen sich zudem gerne Jugendliche zum Feiern. Dann ist oft Alkohol im Spiel. Josef Winter nimmt „für den Eigenschutz“ seinen Hund Lucky mit, einen Bernersenner-Husky-Mischling. Lucky ist stattlich, aber brav. Eine gute Kombination, findet Josef Winter. „Betrunkene haben Respekt vor Lucky, Mädchen finden ihn süß.“ Der Hund sei oft Anlass, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Auf seinen Touren sticht ihm immer wieder illegal entsorgter Müll ins Auge. Acht Fälle waren es bereits in diesem Jahr. Den größten Fund, den er bisher gemacht habe, war ein 5000-Liter-Tank, in dem 400 Liter Heizöl vor sich hin gammelten. Josef Winter verständigte sofort die Polizei, die den Besitzer dann auch ermitteln konnte. Er habe auch schon Autos gefunden, die in einen Acker gefahren und zurückgelassen wurden. Doch der kurioseste Fall in Winters Laufbahn als Feldschütz war, als ein Lastwagen von der Autobahn abkam und einen Hang hinauf fuhr. Witzig zumindest für den Betrachter. Der Fahrer dürfte sich weniger gefreut haben.

x