Rheinland-Pfalz SPD will Europa retten – und sich selbst

Lisa Wüchner war zwar die Wunschkandidatin der pfälzischen Sozialdemokraten, schaffte es aber nicht, sich gegen den EU-Abgeordne
Lisa Wüchner war zwar die Wunschkandidatin der pfälzischen Sozialdemokraten, schaffte es aber nicht, sich gegen den EU-Abgeordneten Norbert Neuser aus Boppard durchzusetzen.

«OCHTENDUNG.» Als Alexander Schweitzer am Samstag um 12.21 Uhr als Rednerpult ging, sank der Geräuschpegel in der Kulturhalle in Ochtendung (Kreis Mayen-Koblenz) schlagartig auf Null. Der Vorsitzende der Pfälzer SPD und Fraktionschef im Mainzer Landtag, das wussten die Delegierten, werde eine parteiinterne Revolution anzetteln. Denn nichts weniger ist es, als die nach Regionalproporz und Verdiensten austarierte Vorschlagsliste des Landesvorstandes für die Europakandidaten in Frage zu stellen. Das tat Schweitzer, indem er die 30-jährige Lisa Wüchner aus Limburgerhof gegen den EU-Abgeordneten Norbert Neuser aus Boppard ins Rennen um die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatur für die Europawahl am 26. Mai 2019 schickte. Schweitzer sagte, er habe sich erstmals bei einem Vorschlag des Landesvorstandes enthalten. „Mir bleibt nichts anderes zu tun, wenn wir es mit der Erneuerung ernst meinen, wenn wir nach der Wahl in Bayern sagen, es darf kein ’Weiter so’ geben“. Wüchner war in der Pfalz in einem offenen Verfahren gewählt worden und hatte sich unter anderem gegen den EU-Abgeordneten Michael Detjen durchgesetzt. Bei ihrer Vorstellung sagte sie, dass sie als Vertriebsmitarbeiterin eines mittelständischen Unternehmens die wirtschaftlichen Vorteile eines offenen Europas kenne und schätze, dass diese aber durch soziale Mindeststandards ergänzt werden müssten. Sie warb für sich mit dem Argument, dass die SPD wieder mehr Arbeitnehmer in die Parlamente schicken wolle. 88 von 186 Stimmen erhielt sie. Das waren 19 mehr als die Pfalz Delegierte stellte. Doch Neuser gewann knapp mit 97 Stimmen und 52,1 Prozent die Wahl. Auf dem aussichtslosen dritten Platz holte Wüchner später mit 92 Prozent das beste Ergebnis des Tages, noch vor der Rheinhessin Corinne Herbst, die ohne Konkurrenz auf Platz zwei 73,8 Prozent erreichte. Für Neuser, den entwicklungspolitischen Sprecher der Sozialdemokraten im EU-Parlament, hatte sich der Vorsitzende des SPD-Regionalverbands Rheinland, Landtagspräsident Hendrik Hering, stark gemacht. Er verteidigte den Vorschlag des Landesvorstands unter anderem mit Parteiarithmetik. Wenn Bundesjustizministerin Katarina Barley, die zugleich Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Trier ist, ins Europaparlament einziehen wird, fällt deren Bundestagsmandat an die Pfälzerin Isabel Mackensen (Wahlkreis Neustadt-Speyer). Der Landesnorden sei dann im Bundestag viel schwächer repräsentiert als der Süden. Drei Mandate aus dem Rheinland, fünf aus der Pfalz. Deshalb sei das Europamandat wichtig. So spannend die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatur war, so sehr richtete sich der Blick doch auch auf drei andere Frauen aus Rheinland-Pfalz: Andrea Nahles, die nach der Bayern- und vor der Hessenwahl sowie mit Umfragewerten von zuletzt 14 Prozent unter Druck steht, Katarina Barley, die frisch gekürte Spitzenkandidatin der Bundes-SPD für Europa und Ministerpräsidentin und SPD-Vizechefin Malu Dreyer. „Lasst euch nicht beeindrucken von Umfragewerten“, sagte Dreyer. Nahles bemühte das Bild vom Kaninchen, das ängstlich auf die Schlange blickt. Ihre Antwort: „Ich bin entschlossen, den Rücken gerade zu machen, die Ärmel hochzukrempeln und zu kämpfen“. Sie zählte auf, was die SPD in der Berliner Koalition mit CDU und CSU auf den Weg gebracht hat, etwa das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit. „Es spricht nur keine Sau darüber“, empörte sich Nahles. Barley mahnte, den Europawahlkampf nicht mit Bundesthemen zu bestreiten, nicht nationale Interessen gegen europäische auszuspielen. Europa habe ihr privates und berufliches Leben geprägt, sagte sie. Die Deutsch-Britin lernte als Erasmus-Studentin in Paris den spanisch-holländischen Vater ihrer beiden Söhne kennen. Der aktuelle Mann ihres Herzens lebt in Amsterdam. Außer dem Wunsch, die „Einzigartigkeit“ des Friedensprojekts Europa zu verteidigen, wolle sie auch der SPD helfen: „Ich liebe diese Partei“, sagte Barley. Besondere Unterstützung erhielt sie von Rudolf Scharping, Ex-Ministerpräsident und Ex-Bundesvorsitzender der SPD, der von SPD-Landeschef Roger Lewentz zum Ehrenvorsitzenden ernannt worden ist. Scharping sagte, die EU-Wahl werde darüber entscheiden, ob der Kontinent in „alte Krankheiten und Schlimmeres“ zurückfalle oder ob er der nächsten Generation noch eine gute Heimat biete. Mit Blick auf Barley sei es ihm ein Anliegen, dass sie sich im Wahlkampf „keine Minute einsam fühlen“ dürfe. „Du bist da oben manchmal einsam“, sagte Scharping, schaute zur Bundesvorsitzenden und sagte: „Andrea, ne?“ Das war der zweite Moment, in dem es ganz still wurde im Saal. Nahles hatte 1995 als Juso-Vorsitzende auf dem Parteitag in Mannheim den Sturz Scharpings durch Oskar Lafontaine mitbetrieben. Ihre eigene Schonfrist sehen manche Genossen bis zur Hessen-Wahl am Sonntag. Einwurf

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