Rheinland-Pfalz Unfug am Weihrauchfass

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Unerbittlich rückte die in Vorhang-Mode vergangener Jahrzehnte gehüllte Truppe auf das Haus vor. Dort, so wussten die drei pappkronenbekränzten Könige, ihr pluderbehoster Sternträger und ihr turbanumwickelter Süßigkeitentütenschlepper, residierte ein gefürchteter Lateinlehrer des örtlichen Gymnasiums. „Diese Klasse ist zu groß, das werden wir ändern“, so aufmunternd hatte er einmal ein Schuljahr eröffnet – und danach verlässlich Wort gehalten. „Wir kommen daher aus dem Morgenland“ wollten die Sternsinger bei ihm trotzdem singen. Auch ihre gereimten Sprüchlein mit besten Wünschen fürs nächste Jahr, so hatten sie es beschlossen, seien dem Pädagogen vorzutragen. Den Kreide-Segen auf dem Türsturz gönnten sie ihm ebenfalls. Und seine Spende würden sie natürlich erst recht entgegennehmen. Aber irgendetwas, so fanden sie, sollte für ihn doch ein wenig anders gestaltet werden als für andere Menschen. Und so kamen sie auf die Idee mit dem Weihrauchfass. Immerhin waren wenigstens die älteren unter ihnen schon Sternsinger-Profis mit reicher Erfahrung. Denn sie hatten eine fränkische 10.000-Einwohner-Kleinstadt zu begehen. Was sie in zehn Gruppen und drei Tage lang zu tun pflegten, um anschließend Unmengen an Schokolade unter sich aufzuteilen. Und um Spenden für Kinder in Not einzusammeln, die sich, allabendlich im Pfarrheim gezählt und gleich danach im Nachttresor einer Bank deponiert, zu einem hübschen fünfstelligen Betrag zu summieren pflegten. Wenn dann ein paar Wochen später die Turbantücher, Pluderhosen und umgeschneiderten Vorhänge wieder gewaschen, gefaltet und im Keller verstaut waren, pflegten die (mehr oder weniger) Volljährigen unter den Kleinstadt-Sternsingern sich noch zu einer Nachfeier zu versammeln und dabei die verbliebenen Weihrauch-Reste zu verfeuern. So erkundeten sie zum Beispiel, wie gut sich die dicken Schwaden mit – im Nachhinein betrachtet – unsagbar ekelhaften Alkohol-Mischgetränken wie Asbach-Cola vertrugen. Zugleich testeten sie aus, was sich noch alles in des Messdieners liebstem Arbeitsgerät legen lässt. Schokolade, zum Beispiel, raucht viel kräftiger als die für diesen Zweck vorgesehenen Harzkörner. Und obendrein kann sie bestialisch stinken, während sie auf glühenden Kohlen zerfließt. Worum der Autor dieser Zeilen weiß, weil er an dem beschriebenen Treiben, nun ja, nicht ganz unbeteiligt war. Doch zugetragen hat sich all das, wie gesagt, in einer fränkischen Kleinstadt. Pfälzer Sternsinger hingegen scheinen solchem Unfug abhold. Eine nichtrepräsentative Umfrage unter willkürlich ausgewählten Kirchenmännern jedenfalls lässt vermuten, dass in der Diözese Speyer kein Pappkronenträger je auf derartige Ideen gekommen ist. Oder dass sich keiner daran erinnern mag. Immerhin: Ein Theologe weiß noch, dass er einst aus einem Haus die Empfehlung mitnahm, doch bitte trockenes Laub ins Rauchfass zu streuen, ehe er mit seiner Gruppe zum Nachbarn gehe. Denn der habe den Duft so gerne. Die Vorderpfälzer Sternsingertruppe allerdings ignorierte diese Anregung. Ihre auf das Haus des gefürchteten Lateinlehrers vorrückenden Kollegen in Franken hingegen kamen von selbst auf die Idee, eine feine Mischung aus Laub und Straßendreck auf die Kohlen zu streuen. Was dann emporsteigt, riecht hinreichend unerfreulich, stinkt aber gerade noch so zurückhaltend, dass eine naive Nase sich täuschen lässt. Und die durfte dem Pädagogen unterstellt werden, schließlich war er Protestant. Huldvoll lächelnd öffnete er denn auch seine Tür. „Wie schön“, rief er, „ich habe euch schon erwartet.“ Dann allerdings deutete er mit ebenso eleganter wie gebieterischer Handbewegung aufs verheißungsvoll qualmende Fass und sprach: „Aber das lasst bitte draußen. Weihrauch vertrage ich nicht.“ | Christoph Hämmelmann

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