Sport „Das kleinere Übel“

Gianni Infantino ist der neue Präsident der Fifa. Er soll den Fußball-Weltverband reformieren. Das kann er schaffen, sagt Jörg-Uwe Nieland von der Deutschen Sporthochschule in Köln.Harald Lange von der Universität Würzburg ist skeptisch. Er fürchtet: Es geht weiter wie bisher.

Herr Lange, Herr Nieland, Gianni Infantino ist der neue Fifa-Präsident. Ist die Ära Blatter jetzt endgültig vorbei?

Das war sie schon mit seinem Rücktritt, vielleicht sogar schon mit der kuriosen Wahl im Mai 2015 und dem Bild, auf dem die Geldscheine um ihn herum flatterten. Das System Blatter scheint aber zumindest in Teilen zu überleben. Das ist problematisch für die Zukunft, aber es gibt zumindest ein wenig Hoffnung, dass jetzt ein anderer Wind und Reformgeist herrscht. Außerhalb des Fifa-Zirkus hat wahrscheinlich niemand mehr Blatter ernst genommen. Und nicht nur Blatter, sondern das ganze Exekutivkomitee und das, für was Fifa bis heute und vielleicht auch noch in den nächsten Jahren steht und stand. Dennoch sagte Sepp Blatter in einem Interview mit der New York Times, just am Freitag: „Ich werde immer Präsident bleiben.“ Er hat den Kontakt zur Realität vollends verloren und gar nicht mitbekommen, dass er nicht mehr im Amt ist. Das ist eine Wahrnehmungsstörung. Er ist aufgrund seines korrupten Verhaltens und seines unglücklichen und kriminellen Agierens zurecht entmachtet worden. Er hat viel Gutes getan für den Fußball, keine Frage. Aber er ist unrühmlich abgegangen. Wird man sein Erbe in einigen Jahren anders bewerten als heute? Ich glaube, die Öffentlichkeit sollte das Erbe von Blatter weiterhin als vergiftet bezeichnen. Das ist es und das bleibt es auch. Er hat einen Scherbenhaufen hinterlassen. Hat Blatter weiter Zugriff auf die Fifa? Er hat sich nach der Wahl von Infantino direkt angeboten, Tipps zu geben. Das gehört für mich ebenfalls zu dieser Wahrnehmungsstörung von Herrn Blatter. Ich hoffe nicht, dass die jetzt in Amt und Würden befindlichen Personen auf seine Expertise zurückgreifen. Es ist jetzt die entscheidende Frage, ob sie in der Lage sind, diese Scherben aufzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Und, sind sie das? Ist Infantino gut oder schlecht? Auf den ersten Blick ist er das kleinere Übel. Schöner wäre es gewesen, wenn jemand von außen in die Fifa hineingekommen wäre. Dafür existieren aber zu viele alte Seilschaften im Verband. Das gibt das System der Fifa auch gar nicht her. Kritische Geister werden relativ schnell aussortiert, wie in vielen Sportorganisationen. Im Gegenzug werden Abnicker und Leute, die sich taktisch gut verhalten, um im System aufzusteigen, begünstigt. Das System ist auf Anpassung ausgelegt. Es müsste aber auf Widerstände, auf Reibung ausgelegt sein. Wird Infantino jetzt zum Hoffnungsträger? Er hat als Generalsekretär bei der Uefa einen sehr guten Job und sich innerhalb der Sportorganisationen einen sehr guten Namen gemacht. Aus dem System heraus gedacht ist er eine logische Wahl. Mit den Normen des Systems bewertet, ist er sogar eine sehr gute Wahl. Aber für all diejenigen, die auf eine Reform gesetzt haben, ist er keine gute Wahl. Er wird sich daran messen lassen müssen, ob es ihm gelingt, die Reformen umzusetzen, die er versprochen hat. Hoffnungsträger ist ein zu starker Begriff. Ich glaube, er hat Chancen, einen Reformprozess anzustoßen, weil er aus dem System kommt. Wie tiefgreifend der sein wird, ist eine offene Frage. Im Wahlkampf lautete der Vorwurf, er komme aus dem System. Jetzt soll es ein Vorteil sein für Reformen? Er kommt aus Europa. Dort wird mit dem Fußball das meiste Geld verdient. Er hat den Gewinn der Uefa verdreifacht. Er kann mit den Ligen in Europa, mit den Vereinsbossen, mit den einzelnen nationalen Verbänden in Europa reden. Das ist auch ein großer Vorteil. Unter diesem Aspekt ist er eine bessere Wahl als Scheich Salman. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn der Scheich gewonnen hätte. Er hätte die Fifa in kürzester Zeit vollends gegen die Wand gefahren. Wie das? Scheich Salman als Präsident hätte einen Glaubwürdigkeitsverlust bedeutet, der um nichts zu übertreffen gewesen wäre. Er war nicht in der Lage, die gegen ihn vorliegenden Vorwürfe zu den Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zu entkräften. Wenn man so jemanden wählt, ist das nicht zu vermitteln. Allein dass er so viele Stimmen bekommen hat, ist schon ein Skandal. Hat Sie der Sieg von Infantino überrascht? Ich habe tatsächlich Scheich Salman vorne gesehen. Auch weil er die Unterstützung von Scheich al-Sabah hatte. Sein Wahlkampf hatte etwas von Blatter. Ich habe nicht mit Infantino gerechnet. Daher hat er jetzt vielleicht etwas Mystisches mit auf den Weg bekommen. Das könnte ihm helfen. Er hat eine relativ deutliche Mehrheit, die die Überraschung noch verstärkt. Nach dem ersten Wahlgang haben sich die Sympathisanten von Prinz Ali und Jérôme Champagne wohl zu Infantino bekannt. Nach meiner Rechnung sind von den 34 Stimmen nur drei an Salman gegangen, der Rest an Infantino. Wenn es so klar ist, wohin die Stimmen gewandert sind, haben die Strippenzieher im Hintergrund gute Arbeit geleistet. Vielleicht tut man Infantino mit dieser Aussage ein wenig Unrecht. Ich sehe den Stimmengewinn Infantinos im zweiten Wahlgang als Zeichen dafür, dass viele Delegierte die Notwendigkeit von Reformen sehen. Auch die Zustimmung zum Reformpaket war erfreulich hoch. 179 von 207 Delegationen haben Ja zu den Reformen gesagt. Gemessen an den Skandalen, an der Schieflage in der Fifa sind es Reförmchen, mehr nicht. Selbst diese Reförmchen haben dann noch 28 Gegenstimmen bekommen, also ungefähr zehn Prozent der Wahlberechtigten haben dagegen gestimmt. Die Fifa ist noch ganz ganz weit weg ist von einem Reformdenken. Ein Großteil der Mitglieder der Fifa hat den Knall gehört und mitbekommen, wie schlimm es um die Organisation steht. Ich glaube, dass die alten Zöpfe sukzessive abgeschnitten und die alten Herren ausscheiden werden. Es werden viele junge Leute, viele Frauen in die Gremien gewählt – wenn die Reformen umgesetzt werden. Ich bin seit Freitag nicht mehr so pessimistisch, was die Zukunft der Fifa angeht. Infantino kann mit der Aufräumarbeit beginnen. Zwölf Jahre hat er dafür Zeit. Die Amtszeitbeschränkung ist neu. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Zwölf Jahre ist noch immer richtig lange. Im Laufe der Zeit baut man Seilschaften und Netzwerke auf und dadurch entsteht die Gefahr, dass Systeme korrupt werden. Je kürzer die Amtszeit, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche System allzu stark ausbilden. Infantino täte gut daran, diese zwölf Jahre nicht auszureizen. Das wäre ein wichtiges Zeichen, auch wenn es erst einmal nur symbolisch ist. Aber klar ist auch: Die Fifa wird sich in zwölf Jahren nicht komplett ändern. Geht der Weltverband zugrunde, wenn Infantino scheitert? Durch die Wahl hat die Fifa einen neuen Kopf. Der kann noch so gut sein, ohne Systemwechsel wird sich in der Fifa nichts ändern. Infantino gibt den Reformen natürlich sein Gesicht, ganz klar. Er ist zum Gewinnen verurteilt. Wenn man das Schicksal der Fifa aber nur an Infantino aufhängt, wären die gerade beschlossenen Reformen schon wieder hinfällig. Der Präsident wird künftig mehr repräsentieren und weniger regieren. Zentrale Figur soll der Generalsekretär werden. Das wird eine der ersten großen Proben für Infantino sein. Er muss diesen Prozess transparent und vernünftig gestalten. Wo kommt der neue Generalsekretär her? Vielleicht wird es sogar eine Frau. Das wäre vielleicht auch ein gutes Zeichen. Da darf man gespannt sein. Fest steht: Auch hier wird es nicht einfach, jemand von außen zu installieren, der die Fußballkultur nicht kennt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Generalsekretär der Fifa keine gute Rolle gespielt hat. Jetzt bekommt er mehr Macht denn je. Es ist zu hoffen, dass diese Entscheidung, die nun weit wichtiger ist als die Präsidentenwahl, gut überlegt getroffen wird. Medientaktisch könnte man sagen, dass diese Entscheidung weniger Aufmerksamkeit finden wird als die Präsidentenwahl, obwohl sie wichtiger ist. Damit hat sich die Fifa gewissermaßen ein bisschen unsichtbarer gemacht – trotz aller Transparenz-Versprechen. Positioniert sich die Fifa nun wie ein richtiges Unternehmen? Der Aufsichtsrat, dieses Council, ist ein eindeutiges Indiz in diese Richtung. Der Generalsekretär als Geschäftsführer mit großer Macht und der Präsident als Repräsentant, das erinnert alles stark an eine Unternehmensstruktur. Jetzt werden auch politische Signale gefragt. Hier muss die Öffentlichkeit wachsam sein. Die Fifa muss wie jedes anderes Unternehmen behandelt werden. Sie muss auch Steuern zahlen. Es muss hinterfragt werden, wenn sie bei der nächsten WM in Russland wieder keine Steuern zahlt. Darüber muss es einen Diskurs geben. Mit der Wirtschaftskraft, die die Fifa hat, ist das nur konsequent. Sie ist natürlich ein Wirtschaftsunternehmen, in dem es um sehr viel Geld geht. Dass man jetzt mit dem Council ein Gremium installiert, das das Exekutivkomitee etwas pluraler aufstockt, ist ein richtiger Ansatz. Der 36-köpfige Aufsichtrat, das Council, wird wieder aus den eigenen Kräften gespeist. Ich bin über die Formulierung des Integritätschecks gestolpert. Was ist das? Was wird da geprüft? Was sind die Kriterien? Wie wird geprüft, wer prüft? Und warum gilt er nicht für die schon gewählten Mitglieder? Die jetzigen 24 Mitglieder des Exekutivkomitees sitzen fest im Council. Das ist der schlichte Hohn, ein Unding. Vor allem, dass sie nicht geprüft werden. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass jedes der 36 Mitglieder diesen Check durchlaufen muss. Dass die, die bereits drin sind, nicht überprüft werden, ist für mich das Eingeständnis, dass sie eine ernsthafte Kontrolle nicht überstehen würden. Das ist ein Armutszeugnis sondergleichen. : Es wäre an den einzelnen Leuten, ihren Hut zu nehmen und dem Reformprozess nicht im Weg zu stehen. Die bisherigen Mitglieder sollten sich zumindest auch dem Integritätscheck unterziehen. So werden die Uhren nicht auf Null gestellt, die alte Mannschaft ist noch gut vertreten. Da hilft es auch nicht, wenn neue, geprüfte Leute an den Tisch kommen. Aber Infantino und viele andere wussten, dass man bei einem verpflichtenden Integritätscheck einige Stimmen verloren hätte.

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