Kommentar Gold für Michael Jung: Reiter schreibt Olympia-Geschichte
Spätsommer 2012, ein Stallbesuch beim Goldenen Reiter der Olympischen Spiele in London. Fernab der britischen Millionenmetropole, am beschaulichen Nordschwarzwald. „Der Michi“, wie ihn damals schon jeder nennt, hat als erfolgreichster deutscher Olympia-Teilnehmer zwei Goldmedaillen nach Horb-Altheim heimgebracht. Wer jetzt einen neuen Sport-Superstar mit entsprechender Aura erwartet hätte, sieht sich getäuscht. Zum Glück. „Man versucht, möglichst viel zu machen, aber bei mir bleibt die Reiterei im Vordergrund“, entschuldigt sich Jung beinahe dafür, dass er den Medien eine Homestory anbietet. Und seine Mutter Brigitte verrät: „Der Michi wusste schon ganz früh, dass er nichts anderes will als reiten.“
Zwölf Jahre später, da Michael Jung nach einer weiteren Goldmedaille 2016 in Rio und nun auch dem Olympiasieg in Paris zu den ganz Großen der Sporthistorie aufgestiegen ist, hat sich daran nichts geändert. Und auch an seiner Bescheidenheit nicht. Dreimal Einzelgold bei vier Spielen – das erhebt ihn in den Rang etwa eines Michael Johnson. Doch die persönlichen Begegnungen mit dem 41-Jährigen bleiben hängen, weil sie so unkompliziert, so natürlich sind. Etwa am Rande der deutschen Meisterschaften im Springen, das ist nämlich seine Lieblingsdisziplin innerhalb des Dreikampfs Vielseitigkeit, als er mit seinem Anhang unweit des Turnierplatzes unprätentiös im Pferdetransporter und vorgelagertem Zelt übernachtete. Oder nach dem Gewinn der Badenia in Mannheim, dem Großen Preis auf dem Maimarkt, als er im Regen mit leuchtenden Augen Rede und Antwort stand und mit der Aussage verblüffte, dass ihm dieser Sieg bei den Springspezialisten, trotz aller olympischer Meriten in der Vielseitigkeit, so viel bedeutet.
Doch Jung ist niemand, der sich vom großen Geld, das es im globalen Springsport zu verdienen gibt, locken lässt. Er will, genau, einfach nur reiten. Familienmensch mit Lausbubenlächeln, das ist der junge Vater Michael Jung geblieben. Und er blieb seiner Vielseitigkeit treu, die immer wieder ob fataler Stürze in der Kritik steht. Michael Jung hat mitgeholfen, dass die „Buschreiter“ überhaupt noch eine olympische Zukunft haben. Weil er seine Pferde anders als andere optimal für die Herausforderungen im Gelände ausbildet und sie so nie überfordert. Auch das ist gerade jetzt, da der Pferdesport – leider oft zu Recht – am Pranger steht, ein Beitrag zum Tierwohl.