Sport WM-Tagebuch: Berliner Innenansichten

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RHEINPFALZ-Redakteur Udo Schöpfer.

An der Bushaltestelle „Unter den Linden“ bin ich mit einer rüstigen Rentnerin, einer scharfzüngigen Seniorin, ins Gespräch gekommen. Konkreter: Sie fing an mit mir zu reden. Ich wollte Richtung Hauptbahnhof, sie wollte zur Philharmonie und musste sich kurz vergewissern, welche Buslinie die richtige ist, obwohl sie Berlinerin ist. Ich fand meinen TXL, sie fand ihre Linie 200, alles gut. „Sie brauchen einen Busfahrer nie etwas zu fragen, sie wissen es nicht, sie sind alle aus dem Umland“, sagte die Frau. Irgendwie war rasch klar, dass sie mit der Stadtverwaltung generell nicht so zufrieden ist. „Es gibt zwei Leitungen im Amt. Eine interne, da müssen die Mitarbeiter zwangsläufig dran gehen, es könnte ja der Chef von oben sein. Und es gibt eine externe, da ist anrufen zwecklos. Auf einer Nummer versuchen mein Mann und ich es schon seit mehr als zwei Jahren“, berichtete sie wenig amüsiert. Innenansichten ... Sie sieht die Stadt Berlin dem Ende geweiht, findet die Gelbwesten in Frankreich beachtlich und prophezeit ähnliche Verhältnisse bald auch in der Hauptstadt. „Der Regierende Bürgermeister hat aus der Zeitung erfahren, dass in der City West der Verkehr lahmgelegt wird, die hoch bezahlten Senatorinnen waren nicht in der Lage, ihn zu informieren. Stellen Sie sich das mal vor“, echauffierte sie sich. Und dann kam auch schon mein Bus. Auf der Rückfahrt später abends habe ich mich übrigens um die Berliner Verkehrsbetriebe verdient gemacht. Einer der Fahrer aus dem Umland verpasste mit seinem Riesengefährt die Einmündung „Platz vor dem neuen Tor“, und da ich gerade ganz vorne stand, bat er mich höflich, auszusteigen und ihm beim Rückwärtsfahren behilflich zu sein. Auch das noch. Ich stieg aus, Widerstand zwecklos, winkte eifrig in den Spiegel, leitete Autos am Bus vorbei, fand, dass ich einen tollen Job gemacht habe. Als ich dann wieder in den Bus kam, meinte der Fahrer, er habe mich nicht gesehen. Also wieder raus und wieder gewinkt. In der Seitenstraße stand ein Polizeiwagen vor einer roten Ampel und tat: nichts. Der Bus kriegte schließlich die Kurve, wir haben es zusammen geschafft, der Busfahrer aus dem Umland und der Reporter aus dem Südwesten ...

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