Rheinpfalz „Ankerzentren wollen wir nicht“

83 Menschen wurden im vergangenen Jahr aus der Aufnahmeeinrichtung auf dem Kuseler Windhof abgeschoben, 161 waren es aus Speyer
83 Menschen wurden im vergangenen Jahr aus der Aufnahmeeinrichtung auf dem Kuseler Windhof abgeschoben, 161 waren es aus Speyer und 101 aus Trier.

Die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Kusel hat nicht die höchsten Abschiebezahlen aller fünf Einrichtungen im Land. Das Mainzer Integrationsministerium trat dem Gerücht entschieden – und mit Zahlen – entgegen, in Kusel würden viele Leute abgeschoben, weil dort Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive konzentriert seien. 83 Abschiebungen aus der Kuseler Einrichtung standen im vergangenen Jahr 161 Fälle aus Speyer und 103 aus Trier gegenüber, teilte das Ministerium von Anne Spiegel (Grüne) auf RHEINPFALZ-Anfrage mit.

Den Begriff „Ankerzentrum“ im Zusammenhang mit der Westpfälzer Aufnahmeeinrichtung weist das Ministerium scharf zurück. „Ankerzentren haben wir in Rheinland-Pfalz nicht und wollen sie auch nicht haben.“ Bereits seit 2015 würden alle Akteure eng zusammenarbeiten, um „erforderliche Aufenthaltsbeendigungen“ soweit möglich bereits aus der Erstaufnahme vorzunehmen. 26 bis 36 Prozent aller Rückführungen erfolgten aus einer der fünf Erstaufnahmeeinrichtungen. Wie auf der Seite „Südwestdeutsche Zeitung“ zuletzt berichtet, wurden die Gerüchte in Kusel durch die Statistik der Verwaltungsgerichte genährt. Das Gericht in Neustadt, das für die gesamte Pfalz zuständig ist, hat mit 641 Durchsuchungsbeschlüssen im Zusammenhang mit dem Ausländerrecht etwa zehnmal so viele Fälle wie das Trierer Verwaltungsgericht. Aus Neustadt hieß es, signifikant viele Fälle kämen aus Kusel. Durchsuchungsbeschlüsse werden dann benötigt, wenn die Gefahr besteht, dass sich die betroffene Person beispielsweise in anderen Räumen der Einrichtung aufhält, um bewusst der Abschiebung zu entgehen. Die Sprecherin der Kreisverwaltung, Karla Hagner, hat für die erhöhte Anzahl in Kusel eine Erklärung. Wegen des hohen Stellenwerts des Grundgesetzartikels 13, der Unverletzlichkeit der Wohnung, würden die Mitarbeiter der Ausländerbehörde, sowohl jene in der Kreisverwaltung als auch jene in der Außenstelle der Behörde in der Aufnahmeeinrichtung, vor jeder anstehenden Abschiebung einen solchen Beschluss beantragen. Die hohe Anzahl resultiere nicht nur aus den vollzogenen Abschiebungen in der ehemaligen Kaserne und im Kreis, die zusammen 95 Fälle im Jahr 2018 ausmachen, sondern auch aus den letztlich gescheiterten Versuchen einer Abschiebung. 2018 weist die Statistik 97 Fälle für den Landkreis Kusel aus, wovon elf die Kommunen betreffen und 86 die Aufnahme – und das nur in den Monaten September bis Dezember 2018. Erst seit diesem Stichtag werden die gescheiterten Versuche statistisch erfasst. „Die Durchsuchungsbeschlüsse sind, auch aus Sicht der Polizei, erforderlich, um ein rechtssicheres Betreten der Wohnung der ausreisepflichtigen Personen zu ermöglichen“, sagt Hagner. Die Abschiebungen nehmen Mitarbeiter der Ausländerbehörde in der Regel zusammen mit der Polizei vor. Nach Angaben des Integrationsministeriums differenziert die Ausländerbehörde in Speyer gegenüber Kusel stärker zwischen dem Betreten ohne richterlichen Beschluss und dem Durchsuchen. Das Zimmer in der Aufnahmeeinrichtung dürfen die Mitarbeiter betreten. In den jüngeren Fällen beantrage aber auch die Ausländerbehörde in Speyer vermehrt Durchsuchungsbeschlüsse, heißt es aus Mainz. „Es ist nicht nur eine Entwicklung in Rheinland-Pfalz, sondern auch eine Entwicklung auf Bundesebene, dass Abschiebungen vermehrt auch scheitern“, heißt es aus dem Integrationsministerium. Betroffen davon seien vor allem Fälle nach dem Dublin-System. Hinter dem Namen der irischen Hauptstadt verbirgt sich das System, wonach der Asylantrag einer Person in jenem europäischen Land bearbeitet wird, in das sie als erstes eingereist ist oder in dem sie registriert wurde. Für die „Dublin-Überstellung“ ist Eile geboten, denn nach sechs Monaten geht das Verfahren auf den Staat über, in dem sich die Person aufhält. Im Ministerium ist das häufige Scheitern von Dublin-Überstellungen ein Thema: „Welche Möglichkeiten bestehen, um dieser Entwicklung zu begegnen, ist derzeit Gegenstand von Gesprächen unter Federführung der ADD zwischen Aufnahmeeinrichtung, Polizei und Ausländerbehörden.“ Der Erfahrungsaustausch soll zu einer besseren Handhabe führen.

x