Rheinpfalz Aus dem Luxusleben in die Drogenwelt

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Landau

. Geschlagene 13 Minuten braucht der aus Koblenz angereiste Staatsanwalt Alexander Fassel, um einen einzigen Satz aus seiner Anklageschrift vorzulesen. Der besteht vor allem aus einer nicht enden wollenden Reihe von Ziffern. Sie stehen für Drogenlieferungen an Menschen, die unter Kundennamen wie „Kartoffelsuppe“, „Rattengift“ oder, besonders gewitzt, „Cannabisschendauern“ ihr Rauschgift auf der Seite „Chemical love“ bestellt hatten. Wer wann was zu welchem Preis bekam, stand, ordentlich durchnummeriert, auf Listen, die Ermittler im Schlafzimmer eines der Angeklagten fanden. Wegen Drogenhandels in insgesamt mehr als 2200 Fällen müssen sich die drei Männer deshalb jetzt verantworten. Einer von ihnen, ein 32-Jähriger, lebte bis zu seiner Verhaftung im südpfälzischen Rülzheim. Die Ermittler meinen: Im eigenen Keller lagerte und sortierte dieser umgänglich auftretende und verheiratete Vater zweier kleiner Kinder die aus den Niederlanden importierte Drogen. Sein im Raum Pforzheim wohnender und zwei Jahre jüngerer Bruder soll sie dann, in Pakete verpackt, zur Post gebracht und so den Bestellern geschickt haben. Nun drücken die beiden schmächtigen Männer gemeinsam die Anklagebank. Ihnen gegenüber sitzt, mit trainiertem Körper und gefesselten Füßen, der aus dem Raum Stuttgart stammende 30-Jährige, der unter dem Pseudonym „z100“ der eigentliche „Chemical love“-Chef gewesen sein soll. An diesem ersten Verhandlungstag wollen die Richter um ihren Vorsitzenden Urban Ruppert von ihm vor allem wissen, wie sein bisheriges Leben verlaufen ist. Das zu beschreiben, fällt dem Angeklagten schwer. Er nuschelt, und vor allem: In seiner Erinnerung klaffen Lücken. Nur mit Mühe und so ganz in etwa kann er sagen, wann er wo zur Schule ging. Dass er zwei frühe Lebensjahre in einem deutsch-griechischen Kindergarten in Athen verbracht haben dürfte, fällt ihm überhaupt erst wieder ein, als Richter Ruppert mit ihm seinen Lebenslauf zum zweiten Mal durchgeht. Immerhin: Der Angeklagte weiß noch, dass er schon in recht jungen Jahren an Drogen geriet. Und dass er sie exzessiv nahm. Irgendwann, sagt er, landete er im Krankenhaus, weil er im Kokainrausch zusammengebrochen war und eine Art epileptischen Anfall hatte. Als er sich mit 18 oder 19 Jahren die Nasenscheidewand richten ließ, stellte eine entsetzte Ärztin fest, dass die schon durchlöchert war. Dabei, sagt der 30-Jährige, ist er behütet aufgewachsen. Vor allem seiner Mutter scheint er emotional verbunden zu sein. Um so schwieriger, berichtet er, ist es für ihn, als er merkt, dass der Vater Affären hat. Für sein Schweigen darüber lässt er sich von ihm bezahlen. Schließlich braucht er Geld: Für seine damalige Freundin, sagt er, ist ein Leben mit teuren Autos, Besuchen in angesagten Clubs und Abstechern in schicke Urlaubsorte normal. Mit seinen eigenen unternehmerischen Versuchen allerdings hat der spätere mutmaßliche Chef-Drogendealer nur wenig Erfolg. Sein erster Online-Versand – mit legaler Angebotspalette – scheitert. Und als Immobilienmakler bleibt er abhängig vom Vater. Dieser Ex-Fußballprofi ist zum wohlhabenden Bauträger geworden – ehe er 2013 krachend pleite geht. Danach braucht auch der Sohn eine neue Existenzgrundlage. Er bewegt sich ins Rotlichtmilieu, vermietet Wohnungen an Prostituierte in Karlsruhe und Stuttgart, aber auch in Hamburg und Lübeck. Mit der fast 20 Jahre älteren Betreiberin eines Bordells in Karlsruhe ist der Angeklagte nach eigenen Angaben inzwischen verlobt. Warum er obendrein zum Dealer wurde, lässt ihn das Gericht an diesem ersten Verhandlungstag noch aussparen. Klar ist nur: Im November 2015 wurde er schon einmal wegen Drogenhandels verurteilt, damals noch zu einer Bewährungsstrafe. Nun allerdings geht es um Vorwürfe in ganz anderer Größenordnung, mehr als 3,5 Millionen Euro soll „Chemical love“ eingebracht haben. Um seine ganze Anklage vorzulesen, brauchte der aus Koblenz angereiste Staatsanwalt geschlagene 54 Minuten.

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