Rheinpfalz Aus der Synagoge wird eine Schreinerei

Zwölf Teilnehmer begaben sich anlässlich des Europäischen Tages der jüdischen Kultur am Sonntag auf Spurensuche durch das jüdische Dahn. Eingeladen hatten die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Arbeitskreis Judentum im Wasgau. Heimatforscher Otmar Weber führte den Rundgang.

„Diese Region ist die einzige in der Pfalz, wo das gesamte jüdische Kultusambiente auf so dichtem Raum zu sehen ist“, sagt Weber und verweist auf jüdische Spuren in Dahn, Busenberg, Erlenbach und Vorderweidenthal: In all diesen Orten habe es jüdische Gemeinden gegeben. Am Gefallenendenkmal in der Dahner Ortsmitte beginnt Weber den Rundgang mit den Lebensgeschichten von Dahner Juden, die im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatten und ausgezeichnet wurden. „Patriotischer ging es nicht, aber dies alles sollte ihnen später nichts nutzen“, so Weber. Er schildert das Schicksal von Siegmund Kullmann, der bereits 1914 in die USA ausgewandert war. Kullmann habe in Briefen von seinem Vater aus Dahn erfahren, dass das Deutsche Reich in Not sei. Er schrieb ihm zurück: „Liewer Vadder, ich komme mit dem nächsten Schiff, um dem Kaiser siegen zu helfen.“ Der Brief existiere noch. Drei Wochen nach Kriegsbeginn war Kullmann für sein Vaterland gefallen, sein Vater wurde später, mit 86 Jahren, deportiert und kam um. „So der Dank des Vaterlandes“, sagt Weber. Er erzählt auch vom „Stürmerkasten“, der an der Mauer am Denkmal angebracht war. Ein Schaukasten, in dem die Hetzschrift „Der Stürmer“ ausgehängt war, von einem lokalen Künstler gestaltet mit zwei Figuren, einem Juden und einem SA-Mann, der ihm in den Hintern tritt. Die zweite Station führt entlang der Stolpersteine vor das katholische Pfarrhaus, in dem 1934 Pfarrer Jakob Schwalb aus Göllheim wohnte. Er war 1933 wegen seiner nicht regimekonformen Predigten verhaftet und gefoltert worden. Mit der Versetzung nach Dahn habe man ihn aus der Schusslinie bringen wollen. Er starb im August 1934 an den Folgen seiner Misshandlungen. Zur nächsten Station geht es auf die Kirchenmauer, „weil man von dort den besten Überblick über das jüdische Dahn hat“, sagt Weber. Um das Jahr 1900 haben in Dahn rund 100 Juden gewohnt. Sie waren Kaufleute, Händler, Metzger. Im Jahr 1933 habe sich das Klima auch in Dahn geändert, sagt Weber. Mit Fotos schildert er die Schicksale der Dahner Familien. Die meisten Dahner Juden seien zwischen 1934 und 1936 weggegangen. „Insgesamt sind 70 Leute aus der Region durch den Holocaust umgekommen“, sagt Weber: 28 Personen aus Dahn, 25 aus Busenberg, sieben aus Erlenbach, neun aus Hauenstein und eine aus Erlenbach. „Drei von den Juden, die hier geboren sind, leben noch, in den USA und in Israel.“ Der jüdische Leichenwagen, der unterhalb der Kirchenmauer in der Kanalstraße seinen Standort gehabt habe, sei dem nationalsozialistischen Pöbel zum Opfer gefallen. Man habe ihn auf die Straße gezogen, mit Hämmern zertrümmert und die Reste als Brennholz verwendet. „Viele haben mehr getan, als sie mussten“, sagt Weber, wenn er die Widerwärtigkeiten schildert, mit denen jüdische Mitbürger schikaniert wurden. Es gehe ihm nicht darum, eine „Nazijagd“ zu veranstalten, sagt Weber, aber die Frage bleibe offen, inwieweit die Leute sich mit dem Regime solidarisierten, ohne dass eine Notwendigkeit bestand. Dass Letzteres durchaus der Fall sein konnte, räumt Weber ein. Er selbst habe die Indoktrinierung mit NS-Inhalten schon im Kindergarten erlebt, wo man vor dem Hitler-Bild mit zwei Kerzen das sogenannte „Hitlergebet“ habe sprechen müssen. Weber habe die Worte nie vergessen, und als er sie vor der Gruppe aufsagt, meldet sich eine Besucherin, die als Kind die gleiche Erfahrung gemacht hatte und den Spruch sogar ergänzen kann. Weiter geht es über die heutige Bushaltestelle, an der das Haus der Familie Levy stand. Hier erzählt Weber auch vom Dahner Kapuzinerpater Ingbert Naab, der bereits Ende der 20er-Jahre gegen den Nationalsozialismus geschrieben und gepredigt habe. Weiter geht es über die Judengasse – heute heißt sie Schäfergasse – zum ehemaligen jüdischen Schulhaus, zu Kellermikwe und Synagoge. „Bis 1936 wurden in der Synagoge noch Gottesdienste gefeiert, bis die Repressalien zu groß wurden“, erklärt Weber. Dann sei während des Gottesdienstes die SA-Kappelle aus Pirmasens laut musizierend vor dem Gebäude marschiert, es flogen Steine durch die Fenster, die Gottesdienstbesucher wurden beschimpft. 1938 wurde das Gebäude von Familie Flory gekauft, um eine Schreinerei einzurichten. Das sicherte dem Gebäude das Überleben. „Hier bin ich immer willkommen, wenn ich mit Gruppen komme, das freut mich sehr“, sagt Weber über die heutigen Besitzer. Die Originaltüren und die Originaltreppe ins Obergeschoss, dem Frauenteil der Synagoge, sind noch erhalten. Ebenso die Schablonenmalereien, die der heutige Besitzer nur mit Gips überzogen hatte. Im Obergeschoss schimmern Sterne auf blauem Untergrund durch die Farbschicht hindurch. Sie stehen für die Verheißung Gottes an Abraham: „Deine Nachkommen sollen zahlreich sein wie die Sterne am Himmel.“ „Das hier ist ein Kulturdenkmal, nach dem sich so mancher Ort heute die Finger lecken würde“, meint Weber. Am Ende der zweieinhalb Stunden sind sich die Teilnehmer einig: Sie könnten noch stundenlang zuhören. Vor ihren geistigen Augen ist dank Webers Wissen und Erzählungen die Vergangenheit lebendig geworden.

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