Eisenberg Bilder und Gegenbilder

91-89857597.jpg

Jeder malt sich seine eigene Welt. Über der Zufahrt zum Parkplatz der Jahnturnhalle hängt oben auf zwei dicken Kabeln eine ausgefranste Deutschland-Fahne. Es ist gegen 16.15 Uhr. Ums Eck, vor dem Lokaleingang, fünf Männer. Einer hält Reden ans Volk. Aber das ist noch gar nicht da. Egal. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die AfD die SPD im nächsten Jahr überholen wird“, schwadroniert er. Jeder malt sich seine eigene Welt. Einige Stunden später wird die Bundesvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Frauke Petry, die Welt der AfD in einer 56-minütigen Rede in der Jahnhalle aufmalen. Es ist eine garstige Welt: Die Europäische Union (EU) stehe „auf vielen Gebieten kurz vor dem Zusammenbruch“, ebenso das Finanzsystem. Die Europäische Zentralbank (EZB) versuche mit Methoden aus der Krise zu kommen, „die uns in diese Krise erst hereingebracht haben“. Und als Pointe schließlich: „Wie behilft man sich? Indem man den Bürger weiter schröpft!“, empört sie sich. Zusammenbruch. Krise. Bürger schröpfen. Bargeld abschaffen. Flüchtlinge. Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Gefährdete Meinungsfreiheit. Burkas. Stichworte in der Endlosschleife, die vom nahenden Ende künden. Mit fundierten Beiträgen zur EU, zum Finanzsystem oder zur EZB ist Petry bisher nicht aufgefallen. In Kirchheimbolanden malt sie dennoch ihre Welt – einfach, verführerisch. Rund 160 überwiegend männliche Zuhörer klatschen. Später wird sich herausstellen: Die Petry-Zuhörer sind teilweise weit gereist. Sie kommen auch aus Germersheim, Ludwigshafen, Bad Dürkheim, Kaiserslautern und Dresden. Vor der Halle malen rund 140 meist jüngere Protestierer eine andere Welt. Die ist bunt. Petry kennt die Buntmaler. Sie mag sie nicht. Routiniert kramt sie einen alten Spruch aus ihrem Zettelkasten für Versatzstücke: „Bunt ist auch ein Komposthaufen.“ Begeisterung im Saal. Die Demonstranten pfeifen, johlen, lärmen. Sie halten Plakate: „Braune Politik in blauer Farbe – AfD“. Einer trägt ein Shirt mit der Aufschrift: „Rassisten sind Arschlöcher. Überall.“ Wer die Schwelle zur AfD-Veranstaltung übertritt, wird gnadenlos ausgepfiffen. Das wird der Kriegsfelder AfD-Landtagsabgeordnete Damian Lohr später aufgreifen. Für ihn steht die Meinungsfreiheit auf dem Spiel. „Wenn ich das da draußen sehe – das erinnert mich an Weimarer Verhältnisse.“ Jeder malt sich seine eigene Welt. Petry wäre nicht Petry, würde sie nicht eine Brandmauer gegen das eben noch beschworene Zusammenbruchs-Szenario errichten: „Wir müssen den Bürgern wieder sagen, … dass Selbsterhaltung eines Volkes eben kein Rassismus ist und Deutschsein etwas ganz Normales ist.“ – „Jawoll!“ Lebhafte Zustimmung. Rettung naht. Petry weiter: „Wir wollen in einem Land leben, in dem Frauen nachts spazieren gehen können, ohne Angst vor jungen Männern südländischen Aussehens zu haben.“ Lebhafte Zustimmung. Auf dem Römerplatz untermalt Uwe Holzmann mit dem Song „Universal Soldier“ eine weitere Gegendemo. Im Lied heißt es übersetzt: „Und Brüder, seht ihr’s nicht ein? So kann man den Krieg nicht aus der Welt schaffen.“ Luise Busch von der Initiative „Aktiv gegen rechts“ sagt: „Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung von Schwächeren werden wir nicht dulden.“ Die 130 Zuhörer klatschen. Der SPD-Bundestagabgeordnete Gustav Herzog tritt für Offenheit und Toleranz ein. Die AfD trage den Spaltpilz in die Gesellschaft, indem sie die Sorgen der Menschen missbrauche für ihr politisches Süppchen, sagt er. Nicole Brückner (Bolanden) spricht für die CDU, Doris Hartelt (Göllheim) für die Grünen. Auf einem Plakat steht: „Wir sind bunt, nicht braun.“ Es ist die Gegenwelt zur AfD. Jeder malt sich eben seine Welt.

91-89857598.jpg
x