Rheinpfalz Das Südpfälzer Drogen-Paradies

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Die Razzia in Rülzheim bemerkten zunächst nur ein paar Nachbarn. Inzwischen ist klar: Es ging um Deutschlands größten Internet-Versandhandel für Drogen. Nun sitzen ein Südpfälzer und vier weitere Verdächtige in Untersuchungshaft. Zu ihnen gehört auch ein Ex-Fußballprofi.

RÜLZHEIM. Aus dem Bildschirm strahlt eine dunkelhaarige Schönheit, die verzückt und ganz langsam eine weiße Papiertüte hochhebt. Die Einkaufstasche ziert ein pinkfarbenes Logo: Herz neben bauchiger, halbvoller Karaffe, in der lustige Blubberbläschen aufsteigen. Daneben prangt ein Firmenschriftzug: „Chemical Love“, zu Deutsch: chemische Liebe. Was genau so beworben wird, erläutert auch noch ein kleiner Schriftzug: Es geht um ein „Narcotic Paradise“, ein Drogen-Paradies. Der Werbefilm flattert über eine Internet-Seite, die so funktioniert wie ein Online-Shop für Schuhe, Bücher oder Erotikspielzeug: Es gibt eine normale und eine Premium-Abteilung, Rabattaktionen, eine Liste besonders häufig gestellter Kundenfragen samt Antworten sowie jede Menge bunte Bilder, auf denen die angepriesene Ware zu sehen ist. Nur dass hier per Mausklick Kokain, Crystal Meth oder Ecstasy-Tabletten geordert werden. Fünf Gramm besonders reinen Heroins aus Pakistan beispielsweise kosten 275 Euro – plus sechs Euro Versandgebühr. Ab Mai 2015 beliefern die Hintermänner der Seite so ihre Kunden. Schnell gelten sie als Nachfolger des Anbieters „Shiny Flakes“. Dieser gerade einmal 20 Jahre alte Leipziger ist im Frühjahr 2015 geschnappt worden, von seinem Kinderzimmer aus soll er eine knappe Tonne Rauschgift übers Internet verhökert haben. „Chemical Love“ scheint das Geschäftsmodell noch größer aufzuziehen. Ermittler sagen: Bis zu 50 Lieferungen werden pro Tag verschickt – bis zum 14. April 2016. Dann bleiben E-Mails auf einmal unbeantwortet, bestellte Ware kommt nicht mehr an. Im Internet spekulieren Kunden über einen Zusammenhang mit Razzien in den Niederlanden. Immerhin steht auf der „Chemical Love“-Seite, dass die Ware von dort importiert werde. Und das scheint auch zu stimmen. Deutsche Ermittler allerdings sagen: Kuriere haben die Ware von dort aus in einen Keller im südpfälzischen Rülzheim gebracht. Zunächst nur von ein paar Nachbarn bemerkt, ist dort am 14. April die Polizei angerückt. Beamte finden 25.000 Ecstasy-Tabletten, vier Kilogramm Heroin, 54 Kilogramm Amphetamin, 1,3 Kilogramm Kokain. Außerdem nehmen sie drei Personen fest. Neben dem Bewohner des Hauses erwischen die Polizisten in Rülzheim einen Pforzheimer und einen Stuttgarter. Gleichzeitig werden zwei weitere mutmaßliche Komplizen in Baden-Württemberg festgesetzt. Handschellen klicken in Weissach (Kreis Böblingen) und in Stuttgart, wo der Ex-Profifußballer Walter Kelsch verhaftet wird. Wie genau der 60-Jährige in den Drogenhandel verwickelt sein soll, behalten die Ermittler einstweilen für sich. Geheim bleibt vorerst auch, wie sie den mutmaßlichen Internet-Dealern überhaupt auf die Spur gekommen sind. Ihren Online-Shop hatten die Dealer zwar nicht nur im geheimnisumwitterten „Dark Net“, sondern auch im frei zugänglichen Netz platziert. Doch wer die Seiten kontrolliert, hatten sie gut abgeschirmt. Und bezahlen ließen sie sich nur mit der Internet-Währung Bitcoin, die schmutzige Geldgeschäfte im Verborgenen möglich macht. Naheliegend ist daher die Vermutung, dass die Fahnder außerhalb der Netz-Welt fündig wurden. Denn wenn Internet-Versandhändler ihre Ware verschicken, können sie zwar immer noch falsche Namen benutzen. Aber die Polizei kann zumindest nachvollziehen, wo die Sendungen aufgegeben worden. Im „Chemical Love“-Fall geschah das laut Staatsanwaltschaft meistens im Raum Pforzheim. Diese Erkenntnis könnte ein Ansatzpunkt für ganz klassische Ermittlungsarbeit gewesen sein, zum Beispiel für Observationen. So hatten Fahnder auch schon dem Kinderzimmer-Dealer aus Leipzig entdeckt. Nun drohen nicht nur seinen mutmaßlichen Nachfolgern im Drogen-Versandhandel harte Strafen. Die Staatsanwaltschaft lässt zwar offen, wie viele Informationen zu den „Chemical Love“-Kunden sie eingesammelt hat. Sie macht aber klar, dass auch auf Empfänger der Rauschgift-Pakete Ärger zukommt. Und noch eine Aufgabe bleibt den Beamten. Die Bestellungen bei „Chemical love“ laufen zwar ins Leere, aber im Internet steht die Drogen-Seite trotzdem noch. Ihrer Endung zufolge ist sie im Pazifik-Königreich Tonga registriert. Und außerdem, sagen die Ermittler, haben die Betreiber auf die Dienste eines US-Unternehmens gesetzt, das die Internet-Inhalte seiner Kunden besonders hartnäckig gegen Überwachungsbehörden verteidigt. Also müssen deutsche Staatsanwälte nun auf zwischenstaatliche Amtshilfe setzen, damit irgendwann auch noch die dunkelhaarige Schönheit mit der weißen Papiertüte von den Bildschirmen verschwindet.

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