Rheinpfalz Der Dom, den er liebte

Der Sarg Helmut Kohls erreicht in Begleitung des engsten Kreises Speyer. Die „MS Mainz“ wird eskortiert von zwei Schiffen der Wa
Der Sarg Helmut Kohls erreicht in Begleitung des engsten Kreises Speyer. Die »MS Mainz« wird eskortiert von zwei Schiffen der Wasserschutzpolizei.

Der Speyerer Dom bedeutete Helmut Kohl sehr viel. Das wird beim Requiem

noch einmal deutlich. Etliche Pfälzer begleiten den Altkanzler auf seiner letzten Reise.

Sie säumen die Ufer des Rheins und die Straßen in Ludwigshafen und Speyer.

Von Rolf Gauweiler, Axel Nickel und Patrick Seiler

Die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach – das Musikstück, das Helmut Kohl am liebsten für seine Staatsgäste erklingen ließ, wenn er, der Bundeskanzler, sie in seine Hauskirche führte, wie er den Kaiserdom zu Speyer gern nannte. Es ist 17.45 Uhr, als Domorganist Markus Eichenlaub der Orgel die ersten Töne entlockt. Das Kirchenschiff ist in fahles Licht getaucht; angestrahlt ist lediglich die Marienstatue, neben der ein Porträtbild des Verstorbenen mit schwarzer Schleife steht. Zu Beginn des Requiems nähert sich aus dem Seitenschiff die Prozession aus Ministranten, den Mitgliedern des Domkapitels und dem Bischof von Speyer, Karl-Heinz Wiesemann. In seinem Gefolge unter anderem: Reinhard Kardinal Marx, Konzelebrant und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Wiesemanns Vorgänger im Amt des Speyerer Oberhirten, Friedrich Kardinal Wetter und Anton Schlembach. Nach Minuten der Stille flammen plötzlich Scheinwerfer auf. Die Säulen und der Altarraum erstrahlen in fast unwirklich blau-gelbem Glanz. Nun erst sieht die Trauergemeinde den Sarg mit den sterblichen Überresten Kohls zu Füßen des Hochaltars. Anders als am Vormittag in Straßburg ist er jetzt bedeckt mit der deutschen Fahne samt Bundesadler. Daneben ein Kranz mit roten Rosen, auf der weißen Schleife steht geschrieben: In Liebe, deine Maike. Die Witwe Kohls sitzt in der ersten Reihe zwischen dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und dem EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Sie trägt einen Hut mit Netz, ihre Augen verdeckt eine Sonnenbrille. Kohls Söhne Walter und Peter hingegen fehlen. Gegenüber haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsidentin Malu Dreyer Platz genommen. Ebenfalls in der ersten Reihe sitzt Ungarns umstrittener Regierungschef Viktor Orbán, der den Verstorbenen als einer der Letzten in Oggersheim besuchen durfte. Auch alte Weggefährten Kohls sind da, treue Anhänger wie Bernhard Vogel, aber auch Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, mit denen sich Kohl unversöhnlich zerstritten hatte. Im Domgarten verfolgen mehrere hundert Menschen auf einer Großleinwand die Totenmesse. In seiner Predigt drückt Bischof Wiesemann sowohl der Witwe als auch den abwesenden Söhnen und deren Angehörigen sein Mitgefühl aus. Er sagt: „Wir nehmen Abschied von einem Menschen mit allem, was Menschsein in Kraft und in Schwäche bedeutet.“ Der Bischof erinnert an die Verbundenheit Kohls mit dem Dom– wie er als Bub mit seiner tiefgläubigen Mutter regelmäßig an den Gottesdiensten teilgenommen habe, wie er als Jugendlicher häufig 20 Kilometer von Ludwigshafen nach Speyer geradelt sei, wie er bei der Verleihung des Weltkulturerbe-Titels eine „Liebeserklärung“ an den Dom abgegeben habe, den er als Kanzler zur „Weltbühne“ gemacht habe – und damit Speyer. Das Gotteshaus sei für Kohl der „real erfahrbare Ort“ für das gewesen, was ihm im Leben wichtig gewesen sei: „die Verschmelzung tiefer Heimatverbundenheit mit dem großen Atem der Geschichte, mit den weiten Bögen geistiger, kultureller und religiöser Zusammengehörigkeit Europas“. Deshalb habe er seine Gäste aus aller Welt in die Pfalz geführt, mit ihnen Saumagen gegessen und sie in den „alle eng geführten Geisteshaltungen überschreitenden Dom“ geleitet. So habe Kohl Vertrauen bei seinen politischen Partnern gewonnen „für die entscheidende Stunde seines politischen Lebens und der europäischen Nachkriegsgeschichte“. Vielleicht sei Kohl aber auch immer wieder in den Dom gekommen, weil ihm bewusst gewesen sei, „dass der Mensch allein sein Werk nicht vollenden kann“. Unvergesslich seien für ihn, so der Bischof, Kohls letzte Besuche kurz vor Weihnachten, in denen sie gemeinsam eine Kerze angezündet und das Vaterunser sowie das Ave Maria gebetet hätten. „Ich denke, er wusste auch um seine Ecken und Kanten, darum, dass er vieles erreicht hatte, aber manches auch zu kurz gekommen war“, sagt Wiesemann. Ludwigshafen, Kohls Heimatstadt, hat schon zuvor Abschied vom „Kanzler der Einheit“ genommen. Auf dem Ludwigsplatz in der Innenstadt versammeln sich bis kurz vor 15 Uhr rund 1000 Bürger, die in mehreren Reihen entlang der Straße stehen. Dann tauchen fünf Motorräder und mehrere Limousinen samt zwei Leichenwagen im Blickfeld auf. Kohls Ehrenrunde beginnt – und ist kaum 60 Sekunden später wieder vorbei. Das überrascht und irritiert so manchen. Wie die Polizei später erklären wird, sei ein geringeres Tempo nicht möglich gewesen: aus Sicherheitsgründen, und damit die Motorräder in der Spur bleiben. Die schnelle Abschiedsrunde zwingt auch die Ludwigshafener CDU zum Improvisieren. Ihr Spitzenpersonal wartet am Europa-Hotel mit weißen Rosen, die dann eben nachträglich im stillen Gedenken auf die Straße gelegt werden anstatt aufs Fahrzeug wie ursprünglich geplant. Oberbürgermeisterin Eva Lohse will über das Tempo des Konvois nicht diskutieren: „Etwas langsamer hätte mich gefreut, aber das steht nicht im Mittelpunkt. Wichtig ist, dass wir überhaupt hier Abschied von ihm nehmen konnten.“ Wie sehr der Altkanzler den Bürgern seiner Heimatstadt am Herzen liegt, zeigt sich auch, als der Sarg am frühen Nachmittag aus Straßburg zurückkehrt. Rund um die Autobahnpolizei in Ruchheim, auf deren Gelände die drei Hubschrauber landen, geht nichts mehr. Ab 14 Uhr hat die Polizei die A 650 in die Stadt weiträumig abgesperrt. Die Menschen, die hier Kohl die letzte Ehre erweisen, haben deutlich mehr Zeit als diejenigen in der Stadtmitte, weil der Trauerzug dem Zeitplan voraus ist und warten muss, bis die Polizei die Strecke komplett abgesperrt hat. Um 14.45 Uhr ist alles fertig: Kohls letzte Fahrt beginnt. Sie führt bis ins Reffenthal nördlich von Speyer, wo der Sarg von Soldaten auf die „MS Mainz“ verladen wird. Die wenigen Kilometer bis zur Domstadt legt er, eskortiert von Schiffen der Wasserschutzpolizei, auf dem Rhein zurück. Je näher er Speyer kommt, desto mehr Beobachter säumen die Ufer, auch vor dem Dom sammeln sich die Menschen. Schon mittags lagern vor dem nördlichen Seitenportal des Domes zahlreiche Kränze: CDU und FDP sind vertreten, Baden-Württemberg ebenso. Die BASF natürlich, deren Interessen der Nachwuchspolitiker Kohl Anfang der 1960er-Jahre als Lobbyist des rheinland-pfälzischen Chemieverbands wahrte. Und der frühere Hitparaden-Moderator Dieter Thomas Heck. Auch Janko Cerin ist zum Domportal gekommen. Der 77-jährige Malermeister aus Speyer ist treues CDU-Mitglied und saß auch im Speyerer Stadtrat. Er erinnert sich an Kohl noch aus der Zeit der Jungen Union, erzählt von endlosen Debatten in lokalen Parteigremien, bei denen Kohl immer kämpferisch auftrat und die jungen Himmelsstürmer mitriss. Kurz nach 16 Uhr trifft die Kanzlerin ein. Sie begrüßt Schaulustige am Rand des Domplatzes und geht ins Bischofspalais. Viele politische Weggefährten Kohls verbringen die Zeit bis zum Beginn des Requiems im Historischen Museum. Norbert Blüm und Heiner Geißler plauschen am Museumskreisel, ein Polizist fotografiert sie mit dem Handy. Die meisten der rund 1500 Ordnungshüter sind entspannt. Es sind weniger Zuschauer gekommen als erwartet. Auch der Dom war nicht ausgebucht, so dass der Vorstand der Jungen Union Speyer gleich sechs Einladungen nachgereicht bekam: „Ich habe in einem Brief an das Bundesinnenministerium daran erinnert, dass Kohl Mitbegründer der Jungen Union war“, erzählt JU-Vorsitzender Michael Spirk stolz. Als der Leichenwagen jedoch nach dem Ehrengeleit um 20.07 Uhr durch Speyers Prachtstraße zu Kohls letzte Ruhestätte auf dem Friedhof des Domkapitels fährt, sind die Straßenränder zumindest einreihig dicht bestanden. Zuvor hat eine Abordnung Soldaten den Sarg aus dem Gotteshaus getragen. Zu den Klängen der Kaiserglocke. Der Sage nach soll diese beim Tod des Saliers Heinrich IV. in Lüttich von selbst begonnen haben zu läuten. Nun begleitet sie mit ihrem Klang den Ausgang Helmut Kohls aus dieser Welt.

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