Rheinpfalz Der „Systemsprenger“

Vermummter Terrorist mit Gewehr.

Mainz/Ludwigshafen. Möglicherweise wollte der Junge seine Bombe auf dem Ludwigshafener Weihnachtsmarkt explodieren lassen. Doch was er aus Feuerwerkskörpern und Nägeln zusammenbastelte, war nach Einschätzung der Ermittler „nicht zündfähig“. Trotzdem ist der potenzielle Attentäter zu „einer Art Systemsprenger“ geworden. Ludwigshafens Jugenddezernentin Cornelia Reifenberg (CDU) verwendet dieses Wort für den 13-Jährigen, weil Deutschland auf jemanden wie ihn gar nicht vorbereitet ist. Denn einerseits hält das für die Ermittlungen zuständige Landeskriminalamt (LKA) den Deutsch-Iraker weiterhin für gefährlich, will ihn daher sicher verwahrt hinter Schloss und Riegel wissen. Doch andererseits ist der Junge noch nicht strafmündig: In Haft gesteckt und vor Gericht gestellt werden können Jugendliche in Deutschland erst, wenn sie älter als 13 Jahre sind. Und so, findet die Mainzer Familien- und Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne), muss es auch bleiben: „Erst mit 14 Jahren kann man sein Unrecht einsehen.“ Was stattdessen mit noch nicht strafmündigen Kriminellen geschehen soll, überlegt sich nun eine im Januar gegründete Arbeitsgruppe der Landesregierung. Wer alles dazu gehört, ist vertraulich. Bei den „Fallkonferenzen“, die sich mehrfach mit dem Schicksal des 13-Jährigen befasst haben, kamen Vertreter aus fünf Ministerien, dem LKA, dem Landesjugendamt und der Stadtverwaltung zusammen. Währenddessen wurde der Junge in verschiedene Einrichtung gesteckt, unter anderem in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie. In der Fasnachtswoche ließ ihn ein Ludwigshafener Familienrichter dann wieder in die Wohnung seiner Eltern zurückkehren. Und nach juristischem Hickhack entschied das Oberlandesgericht in Zweibrücken: Der Junge kann tatsächlich nicht länger in einer geschlossenen Einrichtung bleiben, weil er dort im Eilverfahren hingeschickt worden war. Doch so geht das nur für bis zu drei Monate. Nun ist wieder ein Familienrichter an der Reihe: Er muss entscheiden, was langfristig mit dem Jungen passieren soll. Die Ludwigshafener Jugenddezernentin Reifenberg sagt: Als Termin dafür ist der 21. März angesetzt. Doch auch wenn der 13-Jährige dann längerfristig in ein geschlossenes Heim geschickt wird, ist das Problem noch längst nicht gelöst. Reifenberg berichtet: Die Stadtverwaltung hat schon mehr als 100 Einrichtungen abtelefoniert, aber keine will den Jungen nehmen. Ministerin Spiegel sagt: Dazu ist auch keine verpflichtet. Also will das Land jetzt selbst Lösungen suchen. Doch wie die aussehen können, lässt die Politikerin noch offen. Spiegel sagt: „Das ist eine Fragestellung, die als Thematik weiterbearbeitet wird.“ Der Leiter der Familienabteilung im Ministerium, Klaus-Peter Lohest, wird etwas konkreter: „Wir denken in die Richtung, dass wir mit vorhandenen Einrichtungen neue Instrumente schaffen.“ Anders klang Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vor zwei Wochen. Da sagte die Regierungschefin: Rheinland-Pfalz wolle auf Bundesebene aktiv werden, bundesweit seien etwa zwei zentrale Einrichtungen nötig. Doch in Fachkreisen stößt die Sozialdemokratin mit dieser Idee auf Kritik: Es sei nicht sinnvoll, radikalisierte Jugendliche oder Intensivtäter auch noch geballt zusammenzubringen. Der 13-Jährige jedenfalls ist mittlerweile an einem „sicheren und geschützten“ Ort außerhalb Ludwigshafens. Dort kommt die Polizei laut Innenministerium auch nur noch „sporadisch“ vorbei. Vor der Eltern-Wohnung in der Innenstadt hingegen hatten rund um die Uhr Zivilfahnder ausgeharrt, als der Junge in der Fasnachtswoche dort war. Außerdem, sagt Reifenberg, gibt es eine Institution, die den 13-Jährigen pädagogisch betreut – und das auch weiterhin tun würde. Wer das ist, bleibt geheim. Klar ist nur: Keine Rolle spielt dabei die vor knapp einem Jahr gegründete Beratungsstelle „Salam“, die sich im Auftrag des Landes um islamistisch geprägte Jugendliche kümmern soll. Laut Integrationsministerium ist sie bislang in 42 Fällen aktiv geworden, fünfmal sei es dabei um Kinder unter 14 Jahren gegangen. Aber der Ludwigshafener war nicht darunter. Nun will Spiegel die Struktur so umbauen, dass Berater sich – wie in Programmen für Rechtsextremisten – intensiver schon stark radikalisierten jungen Menschen widmen können. Denn die IS-Terroristen versuchen vermehrt, Kinder als Attentäter zu rekrutieren, zum Beispiel mit eigens dafür programmierten Apps. Die Landesregierung befürchtet: Der Fall des „Systemsprengers“ aus Ludwigshafen wird nicht der einzige bleiben.

91-95603850.jpg
x