Rheinpfalz Ein erfolgreiches Kind feiert Geburtstag

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Ein erfolgreiches Kind des Evangelischen Diakoniewerkes Zoar feiert in diesem Jahr runden Geburtstag: die Werkstätten in Rockenhausen. Zum 50. Jubiläum sind dort Investitionen von über einer Million Euro vorgesehen – auch verbunden mit Umstrukturierungen. Ziel ist es, die Werkstätten attraktiv zu machen, betont Zoar-Vorstand Peter Kaiser. Deren Zukunft sieht er positiv entgegen – wenngleich die Auswirkungen des neuen Bundesteilhabegesetzes noch nicht ganz klar sind.

Peter Kaiser muss erst einmal durchschnaufen. „Logistisch war das ein riesiger Akt“, sagt er. Die Rede ist von einem Großprojekt, dass die Zoar-Möbelschreinerei erfolgreich hinter sich gebracht hat. Die Zimmer der größten Jugendherberge in Berlin wurden von der Schreinerei der Zoar-Werkstätten Rockenhausen ausgestattet. 445 Betten befinden sich in dem Gebäude im Bezirk Lichtenberg. Zehn Millionen Euro wurden in den Umbau des denkmalgeschützten Hauses investiert. Bis die Räume fertig waren, hatten auch rund 30 Mitarbeiter der Zoar-Werkstätten allerhand zu tun. Sechs davon waren mit Bauleiter Peter Fröse vor Ort, um die Möbel zu montieren. Neun Mal musste ein 30-Tonnen-Laster von Rockenhausen fahren, bis das komplette Material schließlich in der Bundeshauptstadt war. Geplant und gesteuert wurde das Gesamtprojekt seitens der Zoar-Werkstätten von der kaufmännischen Abteilung der Werkstätten und von Arbeitsbereichsleiter Markus Nerbas. Er verdient sich wie alle anderen Mitarbeiter ein dickes Lob von den Zoar-Direktoren Martina Leib-Herr und Peter Kaiser: „Das war eine tolle Geschichte, da kann man nur die komplette Werkstatt dafür loben!“ In diese wird das Evangelische Diakoniewerk in den kommenden Monaten einiges investieren. Kaiser spricht von weit über einer Million Euro – für Barrierefreiheit oder Sozialräume. „Außerdem werden wir unsere Tagesförderstätte vom Inkelthalerhof nach unten verlegen“, berichtet der Direktor. In der Tagesförderstätte werden derzeit 13 schwerstbeeinträchtigte Menschen betreut, „die tagsüber trotzdem bestimmte Dinge machen sollen“. Beispielsweise kleinere vorbereitende Arbeiten. Sie erhalten eine intensive Hilfe und Betreuung. Sie sollen künftig auch in den Werkstätten in der Rockenhausener Industriestraße tätig sein. „Es ist ein Schritt mehr zur Integration der Schwerstbeeinträchtigten“, sagt Kaiser. So ist vorgesehen, den Berufsbildungsbereich in der Industriestraße, der von der Straße aus zugänglich ist, auszubauen und die Werkstatt mit einem Aufzug zu verbinden. „Neben der Werkstatt befinden sich noch drei Garagen, die derzeit als Lager genutzt werden. Diese werden komplett ausgebaut und integriert. Das Lager wird entsprechend anders organisiert“, berichtet Martina Leib-Herr. Bis zu den Jubiläumsfeiern vom 21. bis 23. September sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Eine sportliche Aufgabe, das weiß auch Peter Kaiser. „Das hat schon bei manchen Beteiligten zu dicken Backen geführt“, sagt er. Die Investitionen sind für Leib-Herr und ihn auch ein wichtiger Schritt, um die Werkstätten fit für die Zukunft zu machen. „Wir wollen die Werkstatt so attraktiv machen, dass noch mehr Menschen kommen, die da arbeiten wollen“, sagt Kaiser – ergänzt aber auch: „Demografisch wird das schwierig. Perspektivisch werden wohl weniger Menschen dort arbeiten.“ Derzeit sind 302 Personen in den Werkstätten in Rockenhausen beschäftigt. Dass künftig auch der eine oder andere beeinträchtigte Mensch, der bislang in Rockenhausen bei Zoar tätig war, sein Glück bei einem anderen Arbeitgeber versuchen wird, ist nicht auszuschließen. Das ist die Folge des neuen Bundesteilhabegesetzes. „Es schafft neue Konkurrenz“, sagt Peter Kaiser. „Wir nennen das Werkstätten light. Im Prinzip kann jeder, der es möchte, für Menschen mit Beeinträchtigung Arbeitsangebote machen.“ Der Zoar-Vorstand macht keinen Hehl daraus, dass er davon wenig begeistert ist. „Wir selbst kritisieren das, und zwar nicht unerheblich. Es ist zwar ein Schritt zur Inklusion, auf der anderen Seite werden dort null Anforderungen gestellt, zum Beispiel an Barrierefreiheit, Betreuung oder Fachlichkeit, was bei uns sehr, sehr abgefragt wird.“ Seine Befürchtung: Dadurch werden die stärksten Mitarbeiter aus Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung abgezogen. „Weil sie relativ günstige Arbeitnehmer sind. Das passt nach meiner Auffassung nicht.“ Kaiser glaubt nicht, dass Firmen auf Dauer in der Lage sein werden, beeinträchtigte Menschen in ihren Arbeitsablauf zu integrieren, „ohne ein entsprechendes Umfeld zu schaffen. Wir haben das.“ Auch wenn die Gefahr drohe, gute Arbeitskräfte zu verlieren, so zeigen sich Leib-Herr und Kaiser zuversichtlich, was die Zukunft der Werkstätten betrifft: „Wir gehen davon aus, dass unsere Werkstätten in Rockenhausen, Kaiserslautern, Alzey und Heidesheim auch weiterhin richtig gute Qualität machen und auch weiter nachgefragt werden.“ Ein Grund hierfür sei auch der Berufsbildungsbereich. „Da machen wir sehr viel mehr als in der Vergangenheit und viel mehr als andere“, sagt Leib-Herr. Unter anderem gemeinsame Lehrgänge und Ausbildungen mit der Industrie- und Handelskammer. „In einigen Fällen befähigen diese auch, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten“, sagt Kaiser. Unabhängig davon mangelt es derzeit nicht an Arbeit in den Werkstätten, wie Kaiser berichtet. So werden für ein Studentenwohnheim in Darmstadt neue Möbel gebaut. „Da haben wir wieder einen neuen Bauabschnitt hinzubekommen. Das sind immer so 200, 300 Wohnungen, die wir machen“, erzählt der Direktor – und fügt hinzu: „Wir haben zudem mittlerweile ein neues Angebot für Reha-Kliniken, unser Reha-Zimmer. Da sind auch die ersten Anfragen da und die ersten Einbauten, in Bad Kreuznach und Bad Schwalbach zum Beispiel. Das läuft wunderbar.“ Außerdem gibt es in den Zoar-Werkstätten nicht nur die Schreinerei. „Für mich sind zum Beispiel die Bereiche Aquarientechnik, Kisten- und Palettenproduktion, Metall und Mechanik sowie die Kleinteile-Montage genauso wichtig. Dort arbeiten sehr viel mehr Mitarbeiter mit Beeinträchtigung, die zum Teil einen höheren Betreuungsaufwand haben und die nicht so ganz komplexe Arbeiten machen können.“ Leib-Herr ergänzt: „Wir übernehmen für andere Firmen auch Montage- oder Verpackungsarbeiten.“ Leib-Herr und Kaiser sind stolz auf das, was in den Werkstätten geleistet wird. Ein Grund mehr, den 50. Geburtstag ausgiebig zu feiern. In dessen Zuge soll es auch wieder ein Inklusionsfest geben. Bei der Premiere im vergangenen Sommer kamen rund 650 Besucher in den Schlosspark. |ssl

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