Rheinpfalz Ein Recht auf Freigang - wie Maßregelvollzug funktioniert

Ein hoher Zaun umschließt die landesweit größte forensische Klinik Nette-Gut in Weißenthurm bei Andernach. Von dort war ein 34-j
Ein hoher Zaun umschließt die landesweit größte forensische Klinik Nette-Gut in Weißenthurm bei Andernach. Von dort war ein 34-jähriger Mörder vergangene Woche geflüchtet. Die Polizei konnte den Mann am Freitag fassen, inzwischen ist er wieder in der geschlossenen Abteilung der Einrichtung untergebracht.

Eine Woche suchte die Polizei einen flüchtigen Mörder, der in der Psychiatrie in Andernach untergebracht war. Nun wurde er gefasst. Wie funktioniert der Maßregelvollzug in Rheinland-Pfalz?

Polizisten haben am frühen Freitagmorgen einen 34-jährigen Mörder im unterfränkischen Karlstein am Main festgenommen. Er war einer Streifenwagenbesatzung aufgefallen und kontrolliert worden. Der Mann war am Donnerstag vergangener Woche aus der Abteilung für psychisch kranke Straftäter einer Klinik in Andernach im Landkreis Mayen-Koblenz geflüchtet. Inzwischen befindet er sich wieder in der geschlossenen Abteilung der Einrichtung. Vor seinem Verschwinden hatte er in der Klinik angegeben, wegen einer Erkältung seinen Hausarzt aufsuchen zu wollen, allein.

Schuldunfähig

Der Mann war verurteilt worden, weil er 2005 in einer Gemeinde im Westerwald seinen Vater umgebracht hatte. Er hatte damals auch seinen Bruder angegriffen, der sich allerdings in Sicherheit bringen konnte. Der Mann kam in die forensische Abteilung in Andernach, weil er seine Taten aufgrund einer psychischen Erkrankung begangen und ein Gericht ihn deshalb als schuldunfähig eingestuft hatte. Seine Flucht lässt nun die Frage aufkommen: Wie funktioniert der Maßregelvollzug in Rheinland-Pfalz?

Drei forensische Psychiatrien

Im Land gibt es drei forensische Psychiatrien – also Kliniken für psychisch kranke und suchtkranke Straftäter –, in denen zurzeit rund 600 Erwachsene untergebracht sind, wie das Landessozialministerium mitteilt, das zuständig ist für den Maßregelvollzug – so lautet der offizielle Begriff. Die Einrichtungen befinden sich in Andernach, Alzey und Klingenmünster im Kreis Südliche Weinstraße. Straftäter werden dann in eine Forensik eingewiesen, wenn ihre Tat mit einer psychischen Erkrankung oder einer Sucht zusammenhängt. Zudem muss die Störung „mindestens zu einer erheblich verminderten oder aufgehobenen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ geführt haben. „Darüber hinaus müssen zukünftig weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sein, aufgrund derer der Täter weiterhin als für die Allgemeinheit gefährlich gilt“, erklärt das Sozialministerium der RHEINPFALZ am SONNTAG auf Anfrage.

Lockerungen gehören zum Maßregelvollzug

Die Klinik in Andernach hatte nach dem Verschwinden des 34-Jährigen in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass nicht davon auszugehen sei, dass der Geflüchtete aktuell gefährlich ist. Der Mann durfte aufgrund „seiner Therapiefortschritte, die sowohl von richterlicher Seite festgestellt als auch von externen Gutachtern bestätigt wurden“, die Klinik seit Dezember 2015 allein verlassen. Er habe zuletzt in einer Außenstation der Einrichtung gelebt und in einem externen Betrieb gearbeitet. Die Klinik betont zudem, dass Lockerungen zentraler Bestandteil im Maßregelvollzug seien. Zum selben Schluss kommt das Sozialministerium. Bei gutem Behandlungsverlauf müssten die Patienten auf ein freies Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden, was über einen längeren Zeitraum erprobt werden müsse. Dieser Prozess sei mit „sorgfältigen Prüfungen, Gutachten und sachverständigen Bewertungen“ verbunden, zudem kämen wissenschaftlich anerkannte Verfahren zum Einsatz.

Totschlag bis Vergewaltigung

Im Gesetz sind mehrere Lockerungsstufen definiert, die unterschiedliche Vorgehensweisen vorsehen. Sie reichen von einem Verbot, eine Einrichtung zu verlassen, bis hin zu unbegleiteten Freigängen. Innerhalb dieser Stufen gibt es laut dem Ministerium Differenzierungen, in dem etwa bestimmte Auflagen für Ausflüge erteilt werden. Lockerungen müssten die zuständigen Staatsanwaltschaften zustimmen. Grundsätzlich würden Gerichte eine Unterbringung in forensischen Einrichtungen auf eine unbestimmte Zeit aussprechen. Länger als zehn Jahre dürften aber nur Straftäter untergebracht werden, bei denen es wahrscheinlich sei, dass diese erneut schwere Straftaten begehen werden. Menschen in forensischen Einrichtungen haben Delikte wie versuchten und vollendeten Totschlag, Mord, Körperverletzung, Raub, Brandstiftung und Vergewaltigung begangen. In der forensischen Abteilung des Pfalzklinikums in Klingenmünster sind aktuell rund 170 solcher Straftäter stationär untergebracht, etwa 160 werden ambulant betreut, wie die Einrichtung auf Anfrage mitteilt. Zwischen 70 und 80 dürfen demnach täglich diese Einrichtung verlassen. Nach dem Gesetz hätten diese Menschen ein Anrecht darauf, sofern keine Sicherheitsbedenken bestehen, heißt es.

Vier von fünf Ausbrechern wurden gefasst

In Rheinland-Pfalz gab es in den zurückliegenden Jahren nach Angaben des Sozialministeriums fünf Ausbrüche aus forensischen Einrichtungen. Bei den Freigängern missbrauchten 2006 acht Personen diese Lockerungen, 2011 waren es zehn, 2016 hielten sich 15 Straftäter nicht an die Vereinbarungen. Vier der fünf Ausbrecher wurden wieder gefasst, einer hat sich ins Ausland abgesetzt. Drei beim Freigang entflohene Patienten haben sich „mutmaßlich ebenfalls ins Ausland abgesetzt“, heißt es aus Mainz.

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