Rheinpfalz ENF in Koblenz: „Wir wollen keine Einheit“

91-93900586.jpg

Weg mit der EU: Diese Forderung eint die Mitglieder der rechtspopulistischen Fraktion im Europaparlament, die gestern in Koblenz zusammentrafen. Europas Staaten und Bürger müssten vom Joch der Gemeinschaft befreit werden, lautet die radikale These. Von Ralf Joas

Auf diese Idee muss man erst mal kommen. Lange Zeit bekamen rechte Parteien auf europäischer Ebene kaum einen Fuß auf den Boden. Immer wieder standen ihre nationalen bis nationalistischen, sich zum Teil widersprechenden Konzepte einer tragfähigen Zusammenarbeit im Europaparlament entgegen. Aber glaubt man Marine Le Pen, ist dieses Problem in Wahrheit gar keines. „Unterschiede in unseren Programmen sind völlig unwichtig. Wir wollen keine einheitliche Politik“, entgegnete die Chefin des rechtsextremen Front National aus Frankreich gestern jenen, die Zweifel an der Nachhaltigkeit der in Koblenz demonstrierten Einigkeit hegen. Ein gemeinsames Feindbild soll für den Zusammenhalt der in der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) zusammengeschlossenen Parteien und Abgeordneten sorgen: Das „alte“ Europa in Form der EU wollen sie auf den Müllhaufen der Geschichte befördern und an seine Stelle ein neues Europa setzen. Die Besucher in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle, in der zahlreiche Stühle frei blieben, bekamen gestern unterschiedliche Varianten geboten, wie dieses Europa à la ENF denn aussehen soll. Notwendig sei ein „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, meinte etwa der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell, der mit seiner Weigerung, einigen Zeitungsjournalisten und den öffentlich-rechtlichen „GEZ-Medien“ die notwendige Akkreditierung zu gewähren, der Veranstaltung ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verschafft hatte. Als einziges Mitglied der deutschen ENF-Delegation hatte der nordrhein-westfälische AfD-Chef seine Kollegen der 40-köpfigen ENF-Fraktion nach Koblenz eingeladen. Pretzells Forderung klingt, für sich genommen, alles andere als radikal. Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist bei Euro oder Schengen bereits Realität. Marine Le Pen ging da schon deutlich weiter. Die Völker Europas seien der „Tyrannei“ der EU unterworfen; nun gelte es, sie aus diesem „Gefängnis“ zu befreien, forderte die Kandidatin für die französische Präsidentschaftswahl. Und Geert Wilders, dessen rechte PVV-Partei zwei Monate vor den Parlamentswahlen in den Niederlanden laut Umfragen deutlich vorne liegt, warnte vor einem „neuen Totalitarismus“. Die AfD-Vorsitzende und Pretzell-Gattin Frauke Petry formulierte ebenfalls unmissverständlich, wo die EU auf der historischen Leiste des Kontinents einzuordnen sei: Europa habe nie über längere Zeit eine Vormacht geduldet, weder Nazi-Deutschland noch das sowjetische Russland. Und es werde auch die EU „nicht länger dulden“. Für Petry, die in einigen Monaten das erste gemeinsame Kind mit Marcus Pretzell erwartet, war das von Hunderten in- und ausländischen Journalisten begleitete Treffen in Koblenz auch eine Gelegenheit, im AfD-internen Machtkampf Profil zu zeigen. Petry wird nachgesagt, bei der Bundestagswahl gerne als alleinige Spitzenkandidatin ihrer Partei antreten zu wollen, was ihre innerparteilichen Gegner verhindern möchten. Die Europäische Union, das ist in den Augen von ENF und AfD ein jede nationale Eigenheit und Vielfalt erstickendes Monster, dessen Befürworter einen seiner Freiheit beraubten „gelenkten, entmündigten Bürger“ wollten. Deshalb, so Frauke Petry, müsse die von Helmut Kohl einst angekündigte „geistig-moralische Wende“ endlich umgesetzt werden. Das Ziel dieser Umkehr, da ist sich Petry mit allen Rednern einig, müsse es sein, den Staat und die Politik wieder „dem Volk“ zurückzugeben. Das sind Töne, wie sie auch der neue US-Präsident Donald Trump anschlägt, wenn er ankündigt, gegen Establishment und Eliten ins Feld zu ziehen. Trumps Sieg, das wird in Koblenz deutlich, ist Wasser auf die Mühlen von AfD, Front National und Co.. Trump weise den USA den Weg aus der Sackgasse, freut sich Petry, und Geert Wilders prophezeit: „Gestern ein neues Amerika, heute Koblenz, und morgen ein neues Europa.“ Wobei: So „neu“ ist dieses Europa dann doch nicht. Besonders viel Beifall gab es, wenn das beschworen wurde, was in anderen Zusammenhängen als „gute alte Zeiten“ bezeichnet wird. Tag für Tag erlebten die Europäer den „Verfall unserer liebgewonnenen Werte“, zeichnete Geert Wilders ein vor allem durch die „Massenimmigration“ und den Islam verdüstertes Bild Europas und schlussfolgert: „Wir wollen bleiben, wer wir sind.“

x