Kultur Südpfalz Finstere Schattenwelt

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Heute schon getwittert, gechattet, in den so genannten sozialen Netzwerken rumgesurft, vielleicht zwei oder drei Partyfotos gepostet? Man hat ja nichts zu verbergen. Da könnte ein Besuch im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe erhellend sein .

Das gibt zu seinem Projekt „Globale“ mit der Ausstellung „Global Control and Censorship“ („Weltweite Überwachung und Zensur“) einen bemerkenswerten und beunruhigenden Einblick in jene Welt, die uns alle zunehmend zu reinen Datenträgern zu reduzieren trachtet, ausgewertet und gesteuert zum Nutzen von „Diensten“ und Unternehmen. 67 Künstler, Wissenschaftler und Net-Aktivisten aus mehreren Kontinenten nehmen – mal verspielt, mal plakativ, mal provozierend – eindrucksvoll Stellung. Die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch an „1984“ erinnern: 1949 hat der englische Autor George Orwell in einem Roman die Schrecken eines totalen Überwachungsstaates beschrieben. Nun ist 1984 lange her und Orwell hatte noch keine Ahnung von den Möglichkeiten eines heutigen Internet. Die hat der Gastredner bei der Eröffnung umso mehr. William Binney war 37 Jahre in Diensten der NSA, zuletzt als Technischer Direktor, ehe er Ende 2001 aus Protest gegen die nach den Anschlägen in New York heimlich massiv ausgeweitete Datenbespitzelung zum Whistleblower wurde. Also lange vor Edward Snowden. Seitdem, so Binney, sammelt die NSA bis heute ohne jede Hemmung bis heute weltweit Daten. Das neueste Instrument sei „Treasuremap“. Die Software ermögliche, jedes vernetzte Gerät überall und zu jeder Zeit anzuzapfen und zudem das Netzwerk der Inhaber zu überblicken. Was in der Praxis bedeutet: Niemand zwischen Berlin oder Tokio kann sicher sein, ob er nicht irgendwelcher Kontakte im Netz zappelt. „Wissen ist Macht. Noch mehr Macht hat jedoch, wer den Fluss der Informationen beherrscht“, schreibt Bernhard Serexhe, zusammen mit Lívia Rózsás Kurator dieser Ausstellung, in seiner Einleitung zum Begleitheft lapidar. Und weiter: „Noch bevor sie ihre Empfänger erreicht haben, werden diese Daten massenhaft durch private Dienstleister und staatliche Dienste abgegriffen, kontrolliert und anschließend für deren Zwecke verwertet.“ Das sei dann der Türöffner „zur perfekten Überwachung und Steuerung von Milliarden Menschen.“ Freiheit perdu? Zum Glück sind die meisten dieser Arbeiten nicht verkopft, sondern gehen – auch durch Interaktion – verstehbar und mitunter beängstigend realistisch mit dem Thema um. So werden auf der Treppe zum ersten Obergeschoss die Mobiltelefone der Besucher erfasst und die jeweiligen Vernetzungen auf einem Monitor sichtbar. Ein fiktiver DNA-Test, die Erfassung von Fingerabdrücken, Body-Scanning oder eine Installation, die auf einer auf dem Boden sichtbaren Karlsruher Innenstadt-Karte sichtbare Standorte mit einer Monitorenwand verbindet, tun das Übrige. ZKM-Chef Peter Weibel sieht sein Haus als eine Art Trojanisches Pferd, dessen nobelste Aufgabe es sei, seinerseits zu kontrollieren, wenn auch nicht im Sinne der „Dienste“. Von den USA seien verschiedene Formen von Krieg ausgegangen: neben dem Waffen- und dem Wirtschaftskrieg eben auch der Überwachungs- und der Datenkrieg. Eine Folge solcher Destabilisierung sei die Flüchtlingskrise in Europa. EU und insbesondere die Bundesregierung verharrten dem gegenüber in einer Unterwürfigkeit, die an eine Kolonie erinnere. Obamas „Yes we can“ könne auch als „Yes we scan“ gelesen werden. Dem ausgerechnet im russischen Exil festsitzenden Edward Snowden hat Kurator Serexhe in der Ausstellung ein komplettes Büro eingerichtet. Snowden hat 2013 den Internationalen Whistleblower-Preis erhalten. Der wird in diesem Jahr, noch im Oktober, in Karlsruhe vergeben werden, so der dortige Oberbürgermeister Frank Mentrup. Also da, wo 1984 die erste Internet-E-Mail bei einem eigenständigen deutschlandweit verfügbaren E-Mail-Server empfangen wurde. Als die Netz-Welt noch vergleichsweise unschuldig und die Euphorie groß war. Jedenfalls dürfte aus dieser Ausstellung jeder Besucher nachdenklicher herauskommen, als er hineingegangen ist. Info Bis 1. Mai im ZKM (Lichthof 1 und 2). Geöffnet: Mittwoch bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr. Weitere Informationen unter www.zkm.de.

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