Rheinpfalz Flucht nach Polen bringt keine Rettung

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Am Sonntag, 5. Juni, wird um 14 Uhr am jüdischen Friedhof Busenberg eine Informations- und Gedenkanlage eingeweiht. Auf der Gedenktafel sind die Holocaust-Opfer verzeichnet, die im Wasgau geboren sind oder hier längere Zeit gewohnt haben. Unter den fast 70 Opfern befinden sich auch die Namen der Familie Jarochowski aus Hauenstein. Der Vater, Ludwig Jarochowski, und acht seiner Kinder sind im Warschauer Ghetto umgekommen.

Ludwig Jarochowski, geboren am 20. April 1892 in Osorkow bei Lodz (damals Russland, heute Polen), kam 1911 als gelernter Schäftemacher nach Hauenstein. Er war Jude und ist in Hauenstein zum katholischen Glauben konvertiert. Jarochowski war bis 1937 bei der Firma C. A. Seibel als Schäftemacher und Steppmeister beschäftigt. Zweimal war er mit katholischen Frauen verheiratet. 1913 hatte Jarochowski in erster Ehe Lina Brandenburger aus Völkersweiler geheiratet, die er als Schuhfabrikarbeiterin in Hauenstein kennengelernt hatte. Nach der Heirat wohnten sie in Völkersweiler. Drei Töchter, Irma, Anna und Rosa, gingen aus dieser Ehe hervor. Am 12. April 1920 ist Lina Jarochowski nach der Geburt ihres dritten Kindes an Tuberkulose gestorben. Am 11. Dezember 1920 heiratete Ludwig Jarochowski Barbara Haus, eine Cousine seiner ersten Frau, die ebenfalls aus Völkersweiler stammte. Barbara Haus, geboren am 18. März 1899, arbeitete bei ihren Eltern, Peter und Maria Josefa Haus, in der Landwirtschaft. 1927 zog Familie Jarochowski von Völkersweiler nach Hauenstein. Bis 1937 wohnten sie in der Burgstraße 61 im Haus der Familie Philipp Braun. Barbara Jarochowski führte den Haushalt der stetig wachsenden Großfamilie: Thekla, Philipp und Reinhold kamen noch in Völkersweiler zur Welt, Walter Wilhelm, Herbert Alfons und Josef Friedrich wurden in Hauenstein geboren. Die Kinder gingen in Hauenstein zur Schule, hatten hier ihre Freunde und waren, wie die ganze Familie, in die Dorfgemeinschaft integriert. Nach Hitlers Machtergreifung am 31. Januar 1933 begannen für Familie Jarochowski die Schikanen durch die Nationalsozialisten. Auf Druck der DAF (Deutsche Arbeitsfront) verlor Ludwig Jarochowski seinen Arbeitsplatz bei der Firma C. A. Seibel. Die Kinder wurden in der Schule schikaniert. Die älteren Töchter durften nicht mit Jungs gehen. Örtliche SA-Männer marschierten über Wochen mehrmals täglich in der Burgstraße vor dem Haus Nummer 61 auf und ab und skandierten antisemitische Schmähungen: „Juden raus!“ und „Juden sind unser Unglück!“ Als das Leben in Hauenstein für die Familie immer unerträglicher wurde, befolgte Jarochowski, der die polnische Staatsbürgerschaft besaß, den wohlgemeinten Rat von Ortspfarrer Georg Sommer. Er zog im Juni 1937 nach Polen in seinen Heimatort Osorkow und von da nach Bromberg (heute Bydgoszcz). Am 28. August 1937 ließ er seine Frau und die neun Kinder nachkommen, die ebenfalls die polnische Staatsbürgerschaft besaßen. Die Familie durfte insgesamt zwei Zentner Wäsche und Kleidung mitnehmen. Alles andere musste zu einem niedrigen Preis verkauft werden. Barbara Jarochowski war zu dieser Zeit hochschwanger. Das zehnte Kind, Tochter Maria, kam am 20. November 1937 zur Welt. Nach großen Anfangsschwierigkeiten ging es der Familie etwas besser, weil Vater Ludwig und vier seiner Töchter Arbeit gefunden hatten. Doch mit Hitlers Überfall auf Polen am 1. September 1939 und der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht begann die Leidenszeit und Vernichtung der Familie Jarochowski. Ludwig Jarochowski wurde wegen seiner jüdischen Abstammung verhaftet, für zehn Monate ins Gefängnis gebracht und erst kurz vor Weihnachten 1940 entlassen. Am 6. Februar 1941 um 2 Uhr nachts musste die Familie – samt dem an Lungenentzündung erkrankten Vater – binnen zehn Minuten die Wohnung verlassen. Bei Widerstand drohte man mit Erschießung. Bei Eis und Schnee wurde die Familie in das Sammellager Potolitz gebracht, wo sie in einem mit Stroh ausgelegten Raum mit mehreren hundert Personen zusammengepfercht hausen mussten. Ludwig Jarochowski und sein ältester Sohn Philipp wurden hier misshandelt. Nach sechs Wochen im Lager Potolitz wurde die Familie ins Warschauer Ghetto gebracht. Hier hausten sie in einem Keller unter primitivsten Verhältnissen. Auch die kleine Maria erkrankte hier an Lungenentzündung, der schwer kranke Vater kam ins Krankenhaus. Barbara Jarochowski wurde als Arierin von der Gestapo mehrfach aufgefordert, das Ghetto zu verlassen, doch sie blieb und trug den Judenstern. Am 20. November 1941 kam sie mit Typhusverdacht in ein Krankenhaus. Zwei Tage später starb ihr Mann Ludwig im Ghetto. Nach sechs Wochen im Krankenhaus kehrte Barbara Jarochowski zu ihren kranken und hungernden Kindern zurück. Dem ältesten Sohn Philipp gelang die Flucht aus dem Ghetto. Mit falschen Papieren kam er in Lublin zum Arbeitseinsatz bei der Organisation Todt, einem paramilitärischen Bautruppe, benannt nach ihrem Führer Fritz Todt. Von da gelangte er als Ostarbeiter nach Deutschland, wo er in einer Zuckerfabrik bei Magdeburg Arbeit fand. Barbara Jarochowski musste wegen Ruhr erneut ins Krankenhaus. Die Kinder waren auf sich alleingestellt und mussten Hunger leiden. Bei der Gestapo bemühten sie sich unablässig um Entlassung aus dem Ghetto, weil die Mutter krank und der Vater tot war. Die Gestapo gab schließlich die Erlaubnis, und alle Kinder kamen in ein Außenlager. Tochter Rosa meldete sich als polnische Landarbeiterin zur Arbeit in Deutschland. Sie hatte Glück und war bis zum Kriegsende in einer Mühle mit Landwirtschaft in Gadow, Kreis Bad Oldesloe, beschäftigt. Am 16. August 1942 um 4 Uhr morgens wurden die acht verbliebenen Kinder aus dem Lager abgeholt. Als ihre Mutter aus dem Krankenhaus zurückkam und nach dem Verbleib ihrer Kinder fragte, erhielt sie von der Gestapo die Antwort, sie seien freigelassen worden. Als es Barbara Jarochowski gesundheitlich besser ging, arbeitete sie beim deutschen Militär, um zu überleben. Dank der Bemühungen ihrer Verwandten in Völkersweiler durfte sie im Juni 1944 nach Deutschland ausreisen und bis zum Kriegsende als polnische Arbeiterin bei ihrem Bruder in Völkersweiler wohnen. Nach dem Krieg kehrte sie sofort nach Bromberg/Bydgoszcz zurück, um ihre Kinder zu suchen. Sie fand Rosa und Philipp, die den Holocaust beide überlebt hatten. Erst jetzt erhielt sie von einem Polen, der im gleichen Lager wie ihre Kinder gearbeitet hatte, die schreckliche Nachricht, dass ihre acht Kinder im August 1942 auf einem Schulhof erschossen wurden. 1958 durfte Barbara Jarochowski mit Hilfe ihrer Verwandten nochmals ihre pfälzische Heimat besuchen. Im Januar 1971 ist sie in Polen gestorben. Seit dem 8. Mai 2005 erinnert die Gemeinde Völkersweiler mit einer Gedenktafel auf einem Sandsteinfindling an das tragische Schicksal der Barbara Jarochowski, geborene Haus. Der Bericht basiert im Wesentlichen auf einem Interview, das Alfred Klemm im Oktober 1983 mit Rosa Jarochowski in Hauenstein geführt hat, und auf eigenen Recherchen.

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