Rheinpfalz Im „Goldenen Hirsch“ fängt alles an

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Mannheim. Die 150-jährige Geschichte der Mannheimer SPD hat Höhen und Tiefen – wie alle Parteichroniken. Der 16. November 1995 war der Tag, an dem alle gebannt in die Stadt an Rhein und Neckar schauten. In einer dramatischen Kampfabstimmung beim Bundesparteitag im Rosengarten stürzte der Stellvertreter Oskar Lafontaine seinen Parteivorsitzenden Rudolf Scharping. An diesem Ort fand schon der erste Parteitag der örtlichen SPD statt. Eine Chronik.

Wie überall entstehen im Zuge der industriellen Revolution um 1860 auch in Mannheim Gesellen- und Arbeiterbildungsvereine. Sie wollen das Leben der Gesellen und Handwerker, der Lohn- und Fabrikarbeiter verbessern. Wirtschaft und Industrie boomen in der nordbadischen Metropole in einem unerwarteten Ausmaß. Als Ferdinand Lassalle den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ als Stammzelle der heutigen SPD ins Leben ruft, spricht sich das in der Kurpfalz schnell herum. Der örtliche Deutsche Tabakverein und die Schneidergehilfen Mannheims nehmen nun ihre Interessen selbst in die Hand. Ab dem Jahr 1867 trifft sich diese Gesinnungsgemeinschaft regelmäßig im „Goldenen Hirsch“, einer Kneipe im Quadrat S 1. Die Mannheimer Partei wächst weiter und zählt zur Jahrhundertwende über 4000 Mitglieder. Mit großem Stolz begrüßt daher der Mannheimer SPD-Reichstagsabgeordnete August Dreesbach 400 Delegierte, die sich im September 1906 im Rosengarten zum ersten Parteitag versammelt haben. Bei diesem Großereignis wird in einem „Mannheimer Abkommen“ die wachsende Eigenständigkeit der Gewerkschaften anerkannt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zählt die Mannheimer Sozialdemokratie fast 8000 Mitglieder. Im Oktober 1934 holt die Gestapo zu ihrem ersten großen Schlag gegen die illegale Partei aus. Viele Sozialdemokaten werden verhaftet. Zwei Jahre später wird die Widerstandsbewegung zerschlagen und die SPD-Aktivsten zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Nach dem Krieg setzt Jakob Trumpfheller als Vorsitzender die Partei wieder aufs Gleis. Auf seinen Antrag genehmigen schließlich die Militärbehörden am 2. Oktober 1945 die Wiederzulassung der Mannheimer SPD. Am 10. Oktober findet in der Wohlgelegen-Schule die erste ordentliche Parteiversammlung statt. Die SPD zählt bereits wieder über 300 Mitglieder und bis Ende des Jahres sind es fast 1500. Bei den ersten Kommunalwahlen am 26. Mai erringt die SPD 40 Prozent der Stimmen und wird auf Anhieb die stärkste Fraktion in der Quadratenstadt. 1956 wählt der Mannheimer Stadtrat den SPD-Kreisvorsitzenden Ludwig Ratzel als Nachfolger von Jakob Trumpfheller zum Ersten Bürgermeister der Stadt Mannheim. Der bürgernahe Politiker führt die Genossen 16 Jahre lang. Bei den Landtagswahlen 1972 erzielen die Sozialdemokraten über 52 Prozent der Stimmen und neben Walter Krause ziehen Walter Spagerer und Helmut Münch in den Landtag ein. Mit großer Mehrheit wählt die Mannheimer Bürgerschaft am 2. Juli den bisherigen Ersten Bürgermeister Ludwig Ratzel zum neuen Oberbürgermeister. Sein Nachfolger als Vorsitzender des Mannheimer SPD-Kreisverbandes wird Herbert Lucy. Bei der im November 1972 stattfindenden Bundestagswahl holt die Mannheimer SPD mit fast 54 Prozent ihr bestes Ergebnis seit 1912. Werner Nagel zieht als Nachfolger von Carlo Schmid in den Bundestag ein. Damit wird Mannheim wie vor der Jahrhundertwende in Baden nun auch in Baden-Württemberg wieder zur SPD-Hochburg. Seit damals stellt die SPD stets den Oberbürgermeister: Ludwig Ratzel, Wilhelm Varnhold, Gerhard Widder und heute Peter Kurz. Zu einem Desaster für die Kurpfälzer Sozialdemokraten werden allerdings die Wahlen zum baden-württembergischen Landtag 2016. Stefan Fulst-Blei kann erstmals das Direktmandat im Mannheimer Norden nicht gewinnen und ist auf die Zweitauszählung angewiesen. Das Gleiche widerfährt Boris Weirauch, der für Helen Heberer in den Landtag einzieht. Und in ihrem Jubiläumsjahr sinkt die Zahl der Mitglieder im Kreisverband Mannheim auf 1700. Selten ist ein Hoffnungsträger für die Sozialdemokraten wichtiger gewesen: In dieser Rolle sieht sich nun der neue Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz. Er kommt heute zum 150-jährigen Bestehen der Partei in die Mannheimer Rheingoldhalle. Die meisten Genossen werden wohl an seinen Lippen hängen. Einen Erfolg kann Schulz schon vor seinem ersten Wort für sich verbuchen: Die Halle ist „ausverkauft“ – das war eine Mannheimer SPD-Veranstaltung bis dato noch nie.

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