Rheinpfalz Kirchheimbolanden: Lisel Heise (100) ist das wahrscheinlich älteste Ratsmitglied der Welt

Putzmunter und kritisch stand Lisel Heise am Montag internationalen Medienvertretern Rede und Antwort.  Foto: Stepan
Putzmunter und kritisch stand Lisel Heise am Montag internationalen Medienvertretern Rede und Antwort.

Die „grüne Welle in Europa“ hält sie für ein gutes Omen und dass es kein Freibad in Kibo gibt für ein Unding. Die Wähler haben Lisel Heise dafür von ganz hinten auf den Spitzenplatz der Liste „Wir für Kibo“ geschubst. Gestern stand die 100-Jährige im Mittelpunkt der seit Jahrzehnten ersten internationalen Pressekonferenz in ihrer Stadt.

20 Minuten mussten Medienvertreter und Weggefährten am Montagmittag im Westflügel der Orangerie warten, weil Lisel Heise vor der Pressekonferenz noch ein separates Date mit dem SWR hatte. Dann aber gab’s Spalier und Beifall für Kirchheimbolandens Hundertjährige, die die Wähler am Sonntagabend mit 991 Stimmen von Platz 20 auf den Spitzenplatz der Liste „Wir für Kibo“ katapultiert hatten.

Sie lag damit noch vor dem Vorsitzenden Thomas Bock, der sich mit 776 Stimmen und Platz 2 begnügen musste – aber darüber nicht unglücklich ist. Zumal Bock genau weiß, dass er diesen zweiten Sitz einzig und allein Lisel Heise und dem leidenschaftlichen Einsatz der früheren Lehrerin für ein Freibad in Kibo zu verdanken hat. Die hat bereits bekundet, ihr Mandat anzunehmen. Zu zweit haben „Wir für Kibo“ künftig Fraktionsstatus. Allerdings, und das bedauerte Bock, könnte Lisel Heise im neuen Stadtrat, zumindest nach derzeitigem Stand, eine von nur noch fünf Frauen sein. Und als Fraktionssprecherin, was ihr mit Platz eins zusteht, erst recht eine ganz seltene Spezies.

Professionell hatte sich „Wir für Kibo“, nun schon seit Monaten vertraut mit einem förmlich weltumspannenden Medien-Hype um die Hundertjährige, auf die seit Jahrzehnten erste internationale Pressekonferenz im Städtchen vorbereitet: mit Stellwänden voller Zeitungsausschnitten, über Bildschirme flimmernden Fotos und Filmbeiträgen, von denen es ja jede Menge gibt, und mit Event-Fachmann Fabian Kelly als Moderator. Der wird in dieser Stunde noch in besonderer Mission tätig, indem er der alten Dame die über Saal-Mikros gestellten Fragen laut und deutlich wiederholt. „Sie müssen entschuldigen“, seufzt Lisel Heise, „ich habe sehr schlechte Ohren“. Vielleicht, so denkt die RHEINPFALZ-Vertreterin, wäre das ja endlich mal ein Anlass, die lausige Tontechnik im Ratssaal nachzujustieren.

Erfolg der Grünen „gutes Omen“

Aber sonst ist die alte Dame putzmunter und kritisch wie eh und je vor den Medienvertretern von der Deutschen Presseagentur über die englische Reuters bis zum russischen Fernsehsender „ntv“ – mediale Größen aus dem näheren Umfeld mal außen vor gelassen. Warum sie in die Stadtpolitik geht, in diesem Alter, will eine Journalistin wissen. „Weil unsere Politik sich vom Humanismus zum Kapitalismus gewandelt hat!“ Wow, starke Worte. Als Indiz dafür sieht Lisel Heise die Schließung des seit ihren Kindertagen geliebten Thielwoog-Bades im Jahr 2011, für sie ein Unding gerade auch unter gesundheitlichem Aspekt. Wie hat sie ihr Wahlergebnis aufgenommen? „Ein Überraschungseffekt.“ Klingt eher unaufgeregt. Und wie das Wahlergebnis insgesamt? Da wird sie wieder emotionaler: Bis in die Nacht hinein habe sie die Wahlberichterstattung verfolgt, sich „über die grüne Welle gefreut, auch europaweit, das ist ein gutes Omen“.

Ein Grüner sitzt nun auch am Tisch vorn mit ihr: Jamill Sabbagh, zweiter Stichwahl-Kandidat für die Stadtbürgermeisterwahl. Gleich am Tag nach der Wahl kommt die Gruppierung „Wir für Kibo“ aus der Deckung und bekundet Unterstützung für Sabbagh im zweiten Wahlgang am 16. Juni. Hat das Freibad für ihn ebenfalls Priorität? „Es steht auf der Agenda“, sagt Sabbagh. „Es ist auf jeden Fall wichtig, denn heute haben wir die Situation, dass jedes zweite Kind in Deutschland nicht schwimmen kann.“ Dass es bis zu einem Freibad kein Parforceritt werden wird, ist auch ihm klar – aber forcieren möchte man die Sache schon. Auch und gerade für die Jugend, der nach Lisel Heises Empfinden zu wenig Aufmerksamkeit in der Stadtpolitik gilt.

Verwaltungskram „nix für mich“

Warum sie nicht gleich als Bürgermeisterin kandidiert habe, will ein einheimischer Sympathisant wissen, der sich unter allgemeiner Heiterkeit überzeugt zeigt, „dass man dann die Stichwahl gespart hätte“. „Das tut mir jetzt schrecklich leid, aber so Verwaltungskram wäre nix für mich“, entschuldigt sich Lisel Heise ebenso gewitzt.

Danach steht sie noch in Einzelinterviews ihre Frau. Auch dem Fernsehsender „ntv“ aus Moskau, der eine kleine Crew für eine Reportage-Woche auf Deutschland-Reise geschickt hat mit Stopp in Kirchheimbolanden. Herausgefunden haben will der Sender, dass Lisel Heise weltweit die älteste Kandidatin für ein Parlament ist. Reporterin Swetlana Andrejewa bezieht sich bei RHEINPFALZ-Nachfrage zu diesem Recherche-Resultat auf Nachforschungen im Internet. Wir können da leider so gar nicht mitreden, denn selbst eine schriftliche Anfrage bei der Pressestelle des Bundeswahlleiters, ob Lisel Heise in einem überschaubaren Raum wie Deutschland die älteste Kandidatin sei, blieb unbeantwortet. Wir gehen, ohne uns fake-news-verdächtig zu machen, einfach mal fest davon aus.

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