Kultur Südpfalz Leidensgeschichte emotional vertieft

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Proppenvoll war die Landauer Stiftskirche am Karfreitag beim letzten Konzert von Stefan Viegelahn, das dieser in seinem Amt als Stifts- und Bezirkskantor mit der Landauer Kantorei und den musikalischen Ensembles an der Stiftskirche gab. Zur Aufführung kam nicht nur ein Großprojekt von zweieinhalb Stunden Dauer, sondern auch ein Auftragswerk für die Landauer Kirchengemeinde: das Passionsoratorium „Jerusalem“ von Gunther Martin Göttsche.

Dieser ist der Sohn des bis 1995 an der Stiftskirche tätigen, 2010 verstorbenen ehemaligen Landeskirchenmusikdirektors Heinz Markus Göttsche. Stefan Viegelahn, in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen, meisterte diesen „Kraftakt“ in genialer Weise und bot eine Wiedergabe auf höchstem Niveau. Souverän, kontrolliert und akkurat koordinierte er die Ensembles und die Solisten. Jede Handbewegung und Geste seines Dirigats war akribisch durchdacht, so dass der Text des ebenfalls vom Komponisten stammenden Librettos nachhaltig und tiefgründig zum Ausdruck kam. Und was die Zusammenstellung des Textes betrifft, gelang Göttsche eine Meisterleistung. Einzigartig ist die Verbindung von Einzelabschnitten aus den Passionsberichten der vier Evangelien mit den ergänzenden Texten aus dem Psalter, den alt- und neutestamentlichen Propheten-Büchern, den sieben „Ich bin …“-Worten aus dem Johannes-Evangelium und den Liedstrophen von Martin Luther und Philipp Nicolai, wodurch das eigentliche Thema, die Leidensgeschichte Jesu, emotional vertieft wird. Formal knüpft die Vertonung stark an die Bach’schen Passionen an: Ein Tenor als Erzähler des Bibeltextes mit Secco-Rezitativ, ein Bariton für die Jesusworte im Accompagnato, die Solisten als Soliloquenten und Kommentatoren, der Chor als des Volkes Stimme und Stellungnahme der Gemeinde. Musikalisch spricht Göttsche natürlich eine andere Sprache. Seine Musik entsteht, wie er selbst bemerkt, „auf der Grundlage eines behutsam erweiterten Dur-Moll-Systems, einer stark vom Vokalen geprägten Melodik und unter Einbeziehung harmonischer und rhythmischer Elemente des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zum Jazz.“ Gunther Martin Göttsches Musik ist ausdrucksstark, expressiv und hochgradig emotional. Die Mitwirkenden bauten in den 47 Nummern des zweiteiligen Werks Spannung und Dramatik auf, sangen und musizierten mit unvergleichlicher Empathie: Die Landauer Kantorei mit ihren über 100 Sängerinnen und Sängern, die bereits bei der Darbietung des Eingangschors die Zuhörer in ihren Bann zog und vor allem bei der Wiedergabe des Psalmes 23 durch die enorme Klangdichte einen ergreifenden Eindruck hinterließ. Die Landauer Jugendkantorei, die unter der Leitung von Susanne Roth-Schmidt in gepflegter Klangsprache die „Ich bin ...“ - Worte Jesu beitrug. Das Südpfälzische Kammerorchester in großer sinfonischer und mit Schlaginstrumenten wie Marimbaphon, Vibraphon oder Röhrenglocken erweiterter Besetzung. Die Landauer Bläserkantorei (Einstudierung: Christian Syperek), Verena Börsch am Klavier, Daniel Kaiser an der Truhenorgel und Thorsten Grasmück an der Rieger-Orgel. Auch die Gesangssolisten haben Großartiges geleistet. Eine sängerische Glanzleistung bot Daniel Schreiber als Evangelist. Stimmlich stets präsent und nimmermüde führte er seinen leuchtend-schlanken Tenor durch alle Register bis in höchste Höhen. Philip Niederberger gab mit maßvoll geführtem, markig aufleuchtenden Bariton den Jesusworten plastisches Profil. Katharina Kunz (Sopran) sang ihren Part mit strahlender Brillanz, Sandra Stahlheber (Alt) gefiel mit ihrem lyrisch-warmen Timbre. Rüdiger Linn (Tenor) und Michail Nikiforov (Bass) überzeugten mit kultivierter Klanggebung. Der nicht endenwollende Beifall am Ende des Konzerts war wohlverdient und bestätigte die außergewöhnliche Leistung der Mitwirkenden. Gewiss war er auch eine Huldigung an den dem Konzert beiwohnenden Komponisten und an den scheidenden Stiftskantor Stefan Viegelahn. Eine Uraufführung, die den Konzertbesuchern noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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