Mannheim Messerattacke trifft Mannheim mitten ins Herz

Die Erschütterung ist ihnen anzusehen: Bundespräsident Steinmeier (rechts) und Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretsc
Die Erschütterung ist ihnen anzusehen: Bundespräsident Steinmeier (rechts) und Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann. Dahinter haben sich Polizisten zur Schweigeminute aufgestellt.

Es ist ein Tag der Gegensätze in Mannheim: stilles Gedenken für den vor einer Woche bei einem Messerangriff getöteten Polizisten Rouven L. am Vormittag, Demonstrationen und Kundgebungen verschiedener politischer Lager am Nachmittag und Abend. Die AfD schlägt auf dem Paradeplatz scharfe Töne an.

Der Glockenschlag der Uhr am Alten Rathaus markiert den Beginn der offiziellen Schweigeminute, ein zweiter deren Ende. 11.34 Uhr – exakt um diese Zeit hat vor einer Woche der 29 Jahre alte Polizeibeamte Rouven L. bei einem heimtückischen Messerangriff die Stichverletzungen erlitten, denen er zwei Tage später erlegen ist. An diesem Vormittag stehen die Opfer der Tat, die ein Afghane an einem Stand der islamfeindlichen Bürgerbewegung Pax Europa begangen hat, im Mittelpunkt. Und Opfer – das sind nicht zuletzt die Eltern und Geschwister des getöteten Polizisten. Es ist ein starkes Zeichen, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sie auf dem Marktplatz dorthin geleiten, wo der Teppich aus Blumen und Kerzen noch einmal größer geworden ist.

Zu den Gegendemonstrationen hatten unter anderem Gewerkschaften, das Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ und die Mannheimer Antifa a
Mannheim

Liveblog: 700 bei der AfD, 3300 bei der Gegendemo

Am Rande der Absperrung vor dem Brunnen, die eine große Fläche vor der improvisierten Gedenkstätte dort freihält, hat sich ein Trupp Polizeibeamter aufgereiht. Als sie auf den Platz laufen, spenden die Menschen hinter den Metallbarrieren Applaus – eine Sprecherin des Mannheimer Präsidiums schätzt deren Anzahl auf 1500 bis 2000. Bis kurz vor Steinmeiers Eintreffen kommen immer wieder einzelne Passanten, aber auch Gruppen, legen Sträuße und Karten ab, manche verharren kurz und nicken stumm, manche bekreuzigen sich. Die Messerattacke mitten in ihrer Stadt – sie hat die Mannheimer mitten ins Herz getroffen.

Ein schwerer Gang

Einsatzkräfte sorgen ruhig und umsichtig dafür, dass die letzten Besucher den Bereich unmittelbar vorm Brunnen verlassen. Einen Hundehalter ermahnen sie, sich mit seinem kläffenden Vierbeiner zu entfernen. Gegen 11.20 Uhr rollt der Tross des Bundespräsidenten vom Paradeplatz kommend auf den Marktplatz.

Die vielleicht 50 Meter Strecke vom Alten Rathaus bis zum Schauplatz der Bluttat vom vergangenen Freitag, die Steinmeier und seine Begleiter umringt von Personenschützern des Bundeskriminalamts zurücklegen, dürften zu den schwersten Gängen des Staatsoberhaupts in seiner bisherigen Amtszeit gehören.

Die Erschütterung ist ihnen anzusehen: Bundespräsident Steinmeier (rechts) und Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretsc
Die Erschütterung ist ihnen anzusehen: Bundespräsident Steinmeier (rechts) und Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann. Dahinter haben sich Polizisten zur Schweigeminute aufgestellt.
11.34 Uhr: Um diese Zeit hat am Freitag vor einer Woche die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz stattgefunden.
11.34 Uhr: Um diese Zeit hat am Freitag vor einer Woche die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz stattgefunden.
Am Paradeplatz halten Bereitschaftspolizisten in Schutzmontur Gegendemonstranten und Teilnehmer der AfD-Kundgebung auseinander.
Am Paradeplatz halten Bereitschaftspolizisten in Schutzmontur Gegendemonstranten und Teilnehmer der AfD-Kundgebung auseinander.
Nach einem Gerichtsbeschluss am Nachmittag musste die AfD am Abend mit ihrer Veranstaltung umziehen.
Nach einem Gerichtsbeschluss am Nachmittag musste die AfD am Abend mit ihrer Veranstaltung umziehen.

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Der Bundespräsident legt sein Gesteck mit dem schwarz-rot-goldenen Band am Rand des Blumenmeers ab, verneigt sich im Gedenken an den Beamten, dessen aus ganz Baden-Württemberg und benachbarten Bundesländern in Mannheim zusammengezogenen Kollegen heute nicht nur für seine Sicherheit sorgen, sondern ab dem Nachmittag auch noch mindestens drei Demonstrationen und Kundgebungen im Auge haben müssen. In Anwesenheit Steinmeiers und Kretschmanns wiederholt sich, was am Montag schon beeindruckt hat: Die Zeit und das Leben auf dem zentralen Platz scheinen stillzustehen.

AfD sauer über Umzug

Nur zu gerne hätten die AfD-Landesverbände Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz am Freitag ausgerechnet an diesem Ort ihre Kundgebung stattfinden lassen. Knapp anderthalb Stunden vor dem um 18 Uhr geplanten Beginn bremst der Verwaltungsgerichtshof die Partei in zweiter Instanz aus: Er gibt der Beschwerde der Stadt Mannheim gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom Donnerstag statt. Dessen Richter hatten den Eilantrag der AfD zunächst positiv beschieden. Jetzt ist es also amtlich: Die Rechtspopulisten müssen umziehen – vom Markt- auf den Paradeplatz.

Das passt ihnen erkennbar nicht in den Kram. Markus Frohnmaier, Co-Vorsitzender der AfD Baden-Württemberg, kündigt zwar vor zu diesem Zeitpunkt noch vielleicht 300 Anhängern seiner Partei eine Veranstaltung in „Würde und Anstand“ an. Rhetorische Zurückhaltung scheint er darunter nicht zu verstehen: Vor in der Spitze laut Polizei rund 700 Mitstreitern räumt er einerseits ein, dass die AfD mit der Wahl ihres ursprünglichen Versammlungsorts am Marktplatz ein Signal habe setzen wollen. Den Rednern und Gästen der dortigen Gedenkveranstaltung „Mannheim hält zusammen“ am vergangenen Montag, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), wirft er andererseits „politischen Missbrauch“ des Tatorts vor.

„Ungeheure Provokation“

Als die ersten Teilnehmer der vom Alten Messplatz aus gestarteten Gegendemo am Paradeplatz eintreffen und sich an der Absperrung sammeln, animiert Frohnmaiers Vorstandskollege Emil Sänze seine Getreuen zu „AfD-AfD“-Schlachtrufen. Bereitschaftspolizisten in Vollschutz halten die Lager auseinander. Gegen 19.30 Uhr ist Schluss – die Sicherheitskräfte versuchen ein Zusammentreffen und mögliche Scharmützel dadurch zu unterbinden, dass sie AfD-Sympathisanten in Richtung Schloss vom Paradeplatz schleusen.

Schon eineinhalb Stunden vor Beginn der AfD-Veranstaltung hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu einer Kundgebung auf dem Alten Messplatz aufgerufen, gut einen Kilometer entfernt vom Versammlungsort der AfD. Dass diese sich ursprünglich auf dem Marktplatz, einem ausgewiesenen Gedenkort, versammeln wollte, fasste der Mannheimer DGB-Kreisvorsitzende Ralf Heller als eine „ungeheure Provokation“ auf. Der Hauptredner der Kundgebung, DGB-Bezirksvorsitzender Kai Burmeister, warf den Rechtspopulisten vor, das Verbrechen am Marktplatz und den Tod von Rouven L. für ihre Zwecke zu instrumentalisieren – „das wollen wir nicht durchgehen lassen“. Er forderte die Zuhörer auf, am Sonntag zur Europa- und Kommunalwahl zu gehen: „Wählt demokratische Volksvertreter, keine Volksverhetzer!“

Ohrenbetäubendes Pfeifkonzert

Vom Alten Messplatz macht sich die Gegendemo auf den Weg zum Paradeplatz. Dort trifft sie unter „Nazis raus“-Sprechchören und einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert auf das Publikum der AfD. Beide Gruppen wurden von Metallbarrieren und einem Großaufgebot an bewaffneten Polizisten voneinander getrennt.

„Ich bin überwältigt“, freut sich unterdessen Demo-Anmelderin Tanja Hilton vom Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ über die große Resonanz, als der von einem großen Polizeiaufgebot eskortierte Demozug über den teils gesperrten Ring (wo sich der Verkehr merklich staut) und die Fußgängerzone den Paradeplatz und die AfD-Kundgebung erreicht. Hilton spricht von 4000 Teilnehmern, die Polizei von 3300. „Ihr seid wunderbar laut“, brüllt die 50-Jährige ins Mikro. „Ganz Mannheim hasst die AfD“ oder „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“, skandiert die Menge.

Leiser und nur mit einem kleinen, auf seinem Fahrrad montierten Schild protestiert ein älterer Mann zuvor auf der Neckarbrücke. Auf dem gelben Plakat steht „AFD: Abbau für die Demokratie“. Mit Blick auf die Kommunalwahl am Sonntag meint er: „Wir müssen doch was tun und die Wackligen für uns gewinnen. Jene, die die AfD wählen wollen, aber eigentlich nur frustriert und keine Rechten sind.“ Die Meute hinter ihm schreit ihn fast nieder: „Alle gegen Faschismus.“

Polizei Trauerfeier

Für ihren getöteten Kollegen Rouven L. plant die Mannheimer Polizei am Freitag, 14. Juni, eine Trauerfeier. Sie soll im Rosengarten stattfinden. Da die Plätze begrenzt seien, könnten vorrangig nur Angehörige, geladene Gäste und Beschäftigte des Polizeipräsidiums teilnehmen. Außen soll es eine Übertragung geben, um vielen Menschen die Chance zum Trauern zu bieten.

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