Kultur Südpfalz Neue Stipendiaten im Herrenhaus Edenkoben
„Die idyllische Lage in den Weinfeldern, die Gemeinschaft Kunstschaffender der Bildenden Kunst, Literatur und Musik, die herzlichen Gastgeber Barbara und Konrad Stahl, die historischen Räume, der große Garten“ – eine Fülle positiver Eindrücke nimmt der Komponist Moritz Laßmann im Juni von seinem viermonatigen Aufenthalt im Herrenhaus mit nach Hause. Und am liebsten hätte er obendrein auch noch den „tollen Flügel“ eingepackt, an dem er so gut arbeiten konnte. Entstanden ist in der Südpfälzischen Enklave das Werk „Im Bann“, das der 36-jährige Weinheimer, der am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt sowie an der Hochschule für Musik in Karlsruhe studierte, seinem dortigen Lehrer Wolfgang Rihm widmete.
Der hatte ihn als Herrenhaus-Juror noch für dieses Stipendiat empfohlen, bevor er im Juli mit nur 72 Jahre einem Krebsleiden erlag. Der Titel „Im Bann“ so erläutert Laßmann, der seit 2021 selbst einen Lehrauftrag für Instrumentation und Notationstechnik in der Fächerstadt hat, würde seine Gemütslage beim Komponieren dieses neunminütigen Werks widerspiegeln. „Es gab kein Thema, keinen Grundgedanken, aber einen Einfall, der plötzlich da war und weiter entwickelt werden musste“, erinnert sich der Tonkünstler. Zwar sei diese Vorgehensweise für ihn keine Seltenheit, diesmal aber sei der Kompositionsdruck so groß gewesen, dass er ihn sogar nachts „Im Bann“ gehalten, „zum Kämpfen und Weitermachen“ aufgefordert, keine Zerstreuung zugelassen habe.
Brüche und Überraschungsmomente
Niemand, der das Werk nun hört, wird erkennen, dass es ein „Schnipsel Mozart“ ist, mit dem es beginnt, aber Klangschönheit und Harmonien, die Laßmann der zeitgenössischen Musik – im Gegensatz zu manchen Kollegen – durchaus zugesteht, sollen ganz bewusst durchscheinen. Der junge Komponist wiegt die Zuhörer in scheinbar bekannte Sequenzen und Wiederholungen, die dann durch Brüche und andere Überraschungsmomente eine unerwartete, gerne heitere Wendung nehmen. „Im Bann“ ist das längste Werk das er bisher für eine relativ große Besetzung geschrieben hat, andere Arbeiten haben sich beispielsweise auf Musicals bezogen oder auf die kleine Form mit Klavier und Gesang konzentriert. Für neue Liedtexte hat er im Herrenhaus eine ganz unerwartete Quelle entdeckt: Einige Literaturstipendiaten haben ihm Gedichte versprochen, mit denen er bald einen ganzen „Edenkoben-Zyklus“ komponieren will.
Anfang August ist nun Leonardo Marino in die Komponisten-Wohnung im Herrenhaus eingezogen. Der gebürtige Sizilianer, der in Mailand lebt und sich mit allen Sinnen vom Fleck weg auch in der Südpfalz heimisch fühlt, hat die Auftragsarbeit für die Uraufführung am Sonntag schon im Gepäck. Seine knapp achtminütige „Elegia“ ist auch für ihn etwas Besonderes und Neuartiges. Denn im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten, die komplexe Inhalte von Opernlibretti in musikalische Bilder übersetzten oder intellektuelle Gedanken zu Politik und Zeitgeschehen aufgriffen, sollte dies „Elegia“ nichts Intellektuelles, Komplexes, Vielschichtiges verhandeln. Dem vielseitigen Compositore, der Harmonielehre und Analyse am Conservatorio G. Verdi in Como unterrichtet, war es ein Bedürfnis, in einer Zeit des Verlustes ihm wichtiger Menschen – darunter seinen Förderer und Herrenhaus-Juror Péter Eötvös – ganz zu sich selbst zu kommen und „sehr intim zu werden, ohne pathetisch zu sein“.
Gespannt auf Aufführung
In diesem einfachen, unkomplizierten musikalischen Destillat passiert gleichwohl viel Melodisches. „Einzelne Elemente bilden Relationen, fügen sich zu Linien, Harmonien“. Weil Marino klassische Musik und Jazz studierte, waren ihm Harmonien „von Anfang an wichtig“. Dissonanzen nutzt er nicht als Schocktherapie, sondern um sie zu integrieren und spannende neue Impulse zu setzen. Marino hält absolut gar nichts von der weit verbreiteten Devise, dass sich zeitgenössische Musik stets völlig neu erfinden müsse. „Wir sollten uns nicht selbst von der Vergangenheit selektieren“, meint der Strawinsky-, Schostakowitsch- und Ravel-Fan, sondern auf organische Weise neue Wege gehen. Laßmann und Marino sind nun freilich sehr gespannt darauf, sich persönlich kennenzulernen und die Uraufführung ihrer Werke durch das angesehene IEMA-Ensemble, der Ausbildungsstätte des Ensemble Modern, gemeinsam zu erleben.
Info
Von beiden Komponisten findet man Werkbeispiele auf Youtube. Konzert des IEMA-Ensemble 2023/24, Sonntag, 15. September, 17 Uhr, Herrenhaus Edenkoben. Moritz Laßmann: „Im Bann“ (2024 - Uraufführung), Leonardo Marino „Elegia“ (2024 -Uraufführung); Johannes Motschmann: Oktett (2023), Oxana Omelchuk :„MON CHIER AMI“ (2012)