Rheinpfalz Romantisch, in Teilen bedürftig

91-96435313.jpg

Rheinland-Pfalz feiert 2017 einen runden Geburtstag. 70 Jahre sind vergangenen, seitdem die Bürger sich am 18. Mai 1947 in einer Volksabstimmung für eine Verfassung des neuen Bundeslandes entschieden und den ersten Landtag wählten. Rheinland-Pfalz, lange Zeit als Land der Retorte bezeichnet, scheint mittlerweile zusammengewachsen zu sein; seine Regionen haben sich aber ihren eigenständigen Charakter bewahrt. Diese RHEINPFALZ-Serie porträtiert die verschiedenen Landesteile. Heute: ein Besuch im Mittelrheintal.

Wie stolz er die Felsen passiert, an den Städten vorbeizieht und die Weinberge grüßt. Der Rhein ist Namensgeber dieser Landschaft und er ist der Star, vielfach besungen und vermarktet. Er bewegt Menschen, öffnet das Tor zur großen Welt und er ist Schicksalsfluss. Für Schiffer, die ihr Leben verlieren, für Anrainer, die er immer wieder mal zu Hause aufsucht und für Menschen im romantischen Teil des Mittelrheintales, die gerade die letzte Fähre verpasst haben. Womit sich auch diese Beschreibung vom Pathetischen entfernt und in das profane Leben eintaucht, das sich entlang des Rheinabschnitts zwischen Bingen und Bonn-Bad Godesberg, jenseits der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz, vorbei an Boppard, Koblenz und Remagen abspielt. Das Oberzentrum Koblenz boomt, das Selbstbewusstsein der Einwohner zeugt vom preußischen Glanz. Koblenz war im 19. Jahrhundert Sitz des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, noch heute dürfte die Beamtendichte in Koblenz landesweit mit an der Spitze liegen. Die Stadt hat touristisch sehr von der Bundesgartenschau 2011 profitiert, wie auch Bingen drei Jahre zuvor dank der Landesgartenschau herausgeputzt wurde. Der Stadt geht es heute gut im Speckgürtel des Rhein-Main-Gebietes. Zwischen dem Mittel- und dem Oberzentrum, eingeengt von den Mittelgebirgen Hunsrück und Taunus, säumen Burgen die Höhenzüge, sind Wanderwege angelegt, rechts der Rheinsteig, links der Burgenwanderweg, und es ragt der wohl berühmteste aller deutschen Felsen empor, die Loreley. Das Plateau wird gerade umgebaut, aber der Weg zur Spitze und der schönen Aussicht ist frei. Die Städtchen sind malerisch, die sich auf beiden Seiten des Rheins am Ufersaum in die Landschaft schmiegen. Aber gut geht es ihnen nicht. Fehlende Perspektiven und Arbeitsplätze drängen junge Menschen aus St. Goarshausen, aus Kaub, Oberwesel oder Bacherach weg. Leerstand ist die Folge. Das gastronomische Angebot ist nicht überall auf der Höhe der Zeit, obwohl es an vielen Stellen gute Entwicklungen gibt – weg von den Massenveranstaltungen der 70er Jahre hin zu einem Tourismus, der die Kulturlandschaft wieder in den Vordergrund stellt. Das brachte einst sogar die britische Königin Victoria an den Rhein. Damals plagte das enge Tal aber noch nicht der Bahnlärm. Der Segen und die Weltoffenheit, den der Bau der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts gebracht hat, ist zum Fluch geworden. 2031 soll die Region nach dem Willen der Landesregierung eine Bundesgartenschau erhalten, vielleicht erfüllt die Politik den Menschen bis dahin auch den sehnlichen Wunsch nach einer Rheinbrücke. Wer über verhinderte Entwicklungen im Mittelrheintal spricht, beklagt noch heute die „Kleinstaaterei“. Im Spätmittelalter war die Region Beute der konkurrierenden Kurfürsten, später markierte der Rhein mehrfach Grenzen – die deutsch-französische zur Zeit Napoleons, nach dem Wiener Kongress 1815 regierten die Preußen das Gebiet linksrheinisch und die Bewohner rechts des Rheins gehörten zum Herzogtum Nassau – bis die Preußen 1866 das Gebiet annektierten. Die späteren Kriege brachten die Ordnung wieder durcheinander. Heute gehört ein Teil der Region zu Rheinland-Pfalz, ein kleinerer zu Hessen und im Norden erstreckt sich das Tal bis nach Nordrhein-Westfalen. Seit 2002 ist die Region zwischen Bingen und Koblenz Unesco Welterbe. Dass es bei Koblenz enden muss, liegt nicht an Schloss Stolzenfels, dem Inbegriff der Rheinromantik. Was hinter Koblenz rheinabwärts kommt, gilt als nicht vorzeigbar: das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich. Seit Jahrzehnten steht es als Mahnmal für den misslungenen Ausflug des Landes in die Atomkraft. Der Abriss des Kühlturms ist angekündigt. Im Norden profitieren die Menschen von der Nähe zu Bonn und Köln. Wer in Remagen in einem netten Restaurant am Rheinufer sitzt und leckeren Ahr(!)-Wein trinkt, ist der Landeshauptstadt Mainz und den südlichen Landesteilen weit entrückt. Zu Zeiten der Bonner Republik war der Künstler-Bahnhof Remagen-Rolandseck eine unkonventionelle Anlaufstelle für Kunstsinnige, für die Avantgarde des politischen Betriebs. Aufregend, irritierend, so wie es immer noch die erotischen Malereien von Steven McKenna in den Toiletten des Bahnhofs sind. Dahinter erhebt sich der weiß strahlende Richard-Meyer-Bau mit dem Arp-Museum – als kultureller Leuchtturm deklariert, zieht er Kulturhungrige an, aber nicht in Massen. Am Ende erlaubt sich diese Geschichte einen Ausflug in jenes Milieu, das noch immer die meisten Mittelrheintouristen anzieht. Zu geballtem Kitsch wie ganzjähriger Weihnachtsdeko, zu teurem Wein und zum Touristennepp – in die Drosselgasse. Zum Glück liegt Rüdesheim in Hessen. Für Rheinland-Pfälzer also allenfalls ein Grund zum Fremdschämen. Nächste Folge 18. April: der Hunsrück

91-96435312.jpg
91-96435314.jpg
91-96435315.jpg
x