Rheinpfalz Skandale als Messlatte für Normen

Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum im Januar in Davos. Just zu diesem Zeitpunkt kochten Gerüchte über eine Affäre Trumps mit
Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum im Januar in Davos. Just zu diesem Zeitpunkt kochten Gerüchte über eine Affäre Trumps mit einer Pornodarstellerin hoch.
Wettermann Kachelmann ist zu Unrecht beschuldigt worden, eine Frau vergewaltigt zu haben. Uli Hoeneß hat Steuern hinterzogen. Was haben Sie damit zu tun?

Zum Glück nichts. Unabhängig davon, was den genannten Herren vorgeworfen wurde und ob das juristisch relevant war, interessiert es mich aber, wie über (angebliche) Normverstöße berichtet wird, wann ein handfester Skandal daraus wird und wie sich das auf die Mediennutzer auswirkt. Mediale Informationen stellen in der Regel die einzige Informationsquelle für Bürger dar, um sich über einen solchen Normverstoß zu informieren, und deswegen hat die mediale Berichterstattung hierbei einen enormen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung. Interessanterweise können Medienberichte auch Einfluss auf Staatsanwaltschaften, Richter und weitere Journalisten haben, von denen letztere dann wiederum über einen Fall berichten. Also werden Skandale zuweilen von der Presse instrumentalisiert? Den Begriff „Instrumentalisierung“ würde ich nicht verwenden. Allerdings tun Journalisten und Nachrichtenmedien einiges dafür, dass sich Normüberschreitungen, ob relevant oder nicht, zu Skandalen entwickeln. Politiker werden beispielsweise visuell isoliert dargestellt und skandalträchtige Informationen werden scheibchenweise veröffentlicht, um einen Fall „anzuheizen“. Auch wenn die Rolle eines politischen Akteurs noch unklar ist, können solche Darstellungen zu ungerechtfertigten Vorverurteilungen führen. Leider gibt es aber auch genügend Beispiele dafür, dass gravierende Normüberschreitungen, mit einem großen Schaden für die Allgemeinheit, nicht intensiv thematisiert und öffentlich verhandelt werden. Das ist ein großes Problem für die Demokratie. Journalisten müssen insbesondere über gravierende Normüberschreitungen berichten, die einen hohen gesellschaftlichen Schaden verursachen, dabei multiperspektivisch vorgehen, das heißt, vielen Akteuren, die unterschiedliche Perspektiven vertreten, eine Stimme geben. Das erzeugt Glaubwürdigkeit. Was ist überhaupt ein Skandal? Ein Skandal ist ein (angeblicher) Normverstoß. Ob juristisch relevant oder nicht, über Skandale wird intensiv in den Massenmedien berichtet. Außerdem handelt es sich erst dann um einen Skandal, wenn das angeprangerte Verhalten von einer klaren Mehrheit öffentlich verurteilt wird. Welche Relevanz hat ein Skandal für unsere Demokratie? Im Grunde geht es hier zunächst um eine öffentliche Kontrollfunktion, wie beispielsweise bei politischen Skandalen. Ein Politiker, der grob gegen bestehende Normen verstößt, muss damit rechnen, dass sein Verhalten öffentlich verhandelt wird. Dies ist in der Regel nicht reputationsfördernd. Akteure versuchen somit, Normen und Regeln einzuhalten. Skandale können somit also sehr wichtig für offene Gesellschaften sein und dienen auch dazu, dass sich eine demokratische Gesellschaft ihrer Normen und Werte versichert und diese neu aushandelt. Wenn sich ein führender Politiker vor 20 oder 25 Jahren offen zu seiner Homosexualität bekannt hätte, wäre hieraus mit einer nicht ganz geringen Wahrscheinlichkeit ein Skandal entstanden. Zugleich hätte sich aber auch eine öffentliche Diskussion entwickeln können. Sind unsere Wertvorstellungen noch angemessen? Diese Diskussionen haben glücklicherweise stattgefunden und es ist heute kein generelles Problem mehr in Deutschland, sich als Politiker zu einem homosexuellen Lebensstil zu bekennen. Im Profisport sieht dies jedoch immer noch anders aus. Profi-Fußballspieler werden es sich gut überlegen, sich in ähnlicher Weise öffentlich zu bekennen, da ein solches „Outing“ noch immer ein bedeutsames Skandalpotenzial birgt. Der Medienrechtler Christian Schertz hat im Hinblick auf Kachelmann mal gesagt: „Wir leben in einer gnadenlosen Gesellschaft, es gibt einen regelrechten Vernichtungswillen.“ Was sagen Sie dazu? Das sind drastische Worte. Aber über manche (angebliche) Normüberschreitungen wird in der Tat unverhältnismäßig und in unangemessener Weise berichtet. Dann wird unbedeutendes privates Verhalten angeprangert und die Privatsphäre von Personen nicht geachtet. Details werden einseitig, übertrieben oder sogar fehlerhaft dargestellt. Unabhängig davon, ob ein Fehlverhalten objektiv vorliegt oder nicht, diese intensiven Skandalisierungen hinterlassen bei Betroffenen erhebliche Spuren. Stress, Ängste, Schlaflosigkeit, aber auch familiäre und berufliche Probleme können die Folge sein. Außerdem wird ihr Image dauerhaft geschädigt. Das sollte ebenso kritisch durch die Medien gehen, wie der Skandal selbst. Aktuelle Ergebnisse zeigen zudem, dass sich Skandalisierungen von nur wenig relevanten angeblichen Normverstößen negativ auf eine berichtende Zeitung selber auswirken. Wer profitiert von der Skandalberichterstattung? Im Idealfall sollte Skandalberichterstattung relevante Missstände aufdecken. Hiervon profitiert dann die Gesellschaft insgesamt. Aber auch Medien profitieren und versuchen, ihr journalistisches Profil zu schärfen und Zeitungen zu verkaufen. Auch populistische Parteien können profitieren. Indem sie das Establishment skandalisieren, die politischen Eliten, „die da oben“, greifen sie eine höhere Wählerschaft ab. Ein gutes Beispiel ist Herr Trump: Seine verbalen Normüberschreitungen richten sich immer wieder gegen „die Eliten“. Er ist damit in seiner Anhängerschaft recht erfolgreich. Die scheinen oftmals nicht verstehen zu wollen, dass er selbst zu dieser „Elite“ gehört, zumindest wenn man den Begriff recht allgemein auslegt. Auch in Europa versuchen populistische Politiker dies zu nutzen, beispielsweise FPÖ-Politiker in Österreich oder AfD-Politiker in Deutschland. Diese sind jedoch oftmals selber von Skandalen betroffen. Müssen die Medien selbstkritischer werden? Ich denke nicht. Unsere Qualitätsmedien leisten insgesamt gute Arbeit. Ein gewisses Maß an Selbstkritik ist natürlich nie schlecht. Insbesondere dann, wenn aus Fehlern wirklich gelernt wird. Bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ war das im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Christian Wulff zu beobachten. Hier hat man sich im Nachhinein mit der eigenen Berichterstattung auseinandergesetzt und selbstkritisch versucht nachzuzeichnen, was zukünftig besser gemacht werden kann. Dies sollten sicherlich mehr Medien umsetzen. Was sagen sie zu „Fake News“? Ein Phänomen, dem man mit großer Ernsthaftigkeit begegnen sollte. Bürger sollten sich klarmachen, welcher Quelle sie vertrauen. Dies gilt insbesondere für soziale Medien. Diese sind wunderbar. Man kann sich mit Freunden vernetzen, schauen, wo die alten Schulfreunde den Urlaub verbringen. Auch Nachrichten werden hier ein zunehmend wichtiger Inhalt. Hier sollte man aber sehr vorsichtig sein: Wer hat den Artikel verfasst? Werden verschiedene Sichtweisen präsentiert und decken sich die Inhalte mit Informationen anderer Qualitätsmedien? Was muss geschehen, damit die Öffentlichkeit kritischer mit den ihnen gebotenen Informationen umgeht? Nutzer müssen sich wieder bewusst machen, dass qualitativ hochwertige Informationen etwas kosten. Das ist nicht anders als mit anderen Produkten des alltäglichen Gebrauchs. Es hilft, sich auf Profis zu verlassen und den traditionellen Qualitätsmedien Aufmerksamkeit zu schenken. Das kostet unter Umständen Geld, ist anstrengend, weil die Wirklichkeit oftmals doch komplexer und facettenreicher ist, als es beispielsweise bei Boulevardmedien oder in sozialen Medien manchmal erscheint. Am Ende ist man aber wirklich informiert. Medienkompetenz sollte zudem stärker in Bildungseinrichtungen vermittelt werden, Lehrer müssen geschult werden. | Interview: Clemens Sarholz

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