Rheinpfalz Sound of Silence

Früher war mehr Gebimmel. Wenn heute überhaupt noch ein Handy klingelt, dann ist eigentlich nur so ein langweiliger Standard-Rufton zu hören. Laut ist out. Weil niemand ein Gedudel braucht, wenn das Smartphone ohnehin die ganze Zeit in der Hand ist. Ein Nachruf auf den Klingelton. Von Jan Peter Kern

Neulich im Zug. Eine Frau Mitte 40 sitzt da, vertieft in ein Buch – bis sie plötzlich angerufen wird. „Are You Ready for Paaartyyy?“, tönt eine Männerstimme aus den Lautsprechern ihres Handys, hinterlegt mit wildem Ufz-Ufz-Beat. Und alle Reisenden starren die Frau komisch an. Wohl nicht, weil sie sich gestört fühlen oder die Ansage mega peinlich finden (gut, vielleicht das auch ein bisschen), sondern weil sie sich bestimmt denken: Bei der Alten piept’s wohl. Weil die noch einen Klingelton auf dem Handy hat. Und dann auch noch einen peinlichen Partyknaller. Denn, so scheint es heute zu sein: Das Handy muss auf stumm geschaltet sein. Immer und überall. Laut ist out. Vor gut 15 Jahren war das noch ganz anders. In den Nuller-Jahren galt das Handy als Statussymbol, sollte am besten von der Marke Nokia sein. Mit Klingeltönen hob man sich von der Masse ab, zunächst monoton (Tüdeldüdeldüdeldü) und so ab 2002 polyphon, also mehrstimmig. Je ausgefallener und auffälliger der Klingel-Klimbim, desto besser. Wer cool sein wollte, der musste sich einfach einen individuellen Jingle verpassen, eine individuelle akustische Signatur. Es entstand ein neuer Wirtschaftszweig, in dem mit Ruftönen mächtig Kohle gescheffelt wurde. Die kreativen Klingelton-Designer von Jamba dachten sich possierliche Animationsfiguren aus, die in Form von „Sparabos“ (weil man sich das Abo wohl sparen sollte) den Süchtigen untergejubelt wurden: „Sende FROG1 für den polyphonen Klingelton! Sende FROG2 für den MP3-Klingelton! Sende FROG3 für den Videoklingelton! An fünfmal die drei!“ Die bekannteste Figur ist wohl der „Crazy Frog“, der bei Musiksendern wie Viva oder MTV rund um die Uhr den Song „Axel F“ darbot. Eine SMS mit dem Inhalt FROG3 an 33333 und – zack! – das schleimige Amphibium mit Rennfahrerhaube tanzte übers Handydisplay. Erinnert sei auch an die folgenden Klingel-Quälgeister: an das superflauschige Küken Sweety, das herzige Häschen Schnuffel oder das wuchtbrummige Nilpferd mit Flip-Flops, das Rave-Hippo. Sie sorgten dafür, dass am Ende des Taschengelds noch ziemlich viel Monat übrig war. Aber nicht nur Schüler spielten sich auf dem Pausenhof gegenseitig Klingeltöne vor, sondern auch Erwachsene in Kneipen. So wie in jenem Werbespot, in dem ein hektischer Typ in Schlüpfer seinem Kumpel entgegenbrüllt: „Alter, ruf mich auf meinem Handy an!“ 2014 etwa wurden Klingeltöne im Wert von 183 Millionen Euro verkauft – allein in Deutschland. Etwas später waren plötzlich die Smartphones da, die irgendwie alles besser, schneller und hübscher konnten als die Handys mit pixeligen Displays aus Finnland. Das puristische iPhone brachte zum Beispiel nur eine begrenzte Auswahl an Klingeltönen mit, darunter jenen Standard-Klingelton, der auf den Namen „Marimba“ hört und der zu dem wurde, was ein paar Jahre zuvor die schlicht „Nokia Tune“ genannte Dreivierteltakt-Melodie gewesen war: ein echter Klassiker. Und auch heute, fast zehn Jahre nach der Einführung des Apfel-Telefons, gibt’s vor allem Standard-Melodien. Schlicht und einfach. Zurück zu den Wurzeln. Wer im Soundmenü nicht fündig wurde und eine Filmmelodie oder einen aktuellen Popsong als akustisches Anrufsignal haben wollte, der konnte sich Apps fürs Klingelton-Designen runterladen. Es ist ziemlich still geworden um den Klingelton. Das Gebimmel spielt einfach keine große Rolle mehr. Zum guten Ton von heute gehört der Vibrationsalarm. Bssssssss. Und wenn überhaupt noch jemand angerufen wird, dann ertönt eigentlich nur noch irgendein vorinstallierter Ton – beim iPhone eben „Marimba“ oder dessen Nachfolger mit dem schillernden Namen „Auftakt“. Auch die Ruftöne anderer Geräte hören sich ähnlich an. Sehr schmucklos. Die Folge: Bimmelt ein Handy in einem Restaurant, was hier und da aus Versehen schon noch passieren kann, gucken alle hektisch auf ihr Handy, obwohl jeder genau weiß, dass es auf lautlos steht. Ist das vielleicht doch meins? Das Mobiltelefon muss still sein. Die Menschen whatsappen lieber, als mit dem besten Kumpel oder der Mama zu telefonieren. Und da das permanent so ist, will man nicht nur sein Umfeld vor dem fiesen Dauergepiepse bewahren, sondern auch sich selbst. Sogar in den Hosentaschen der Schüler, aus denen es noch vor ein paar Jahren lautstark düdelte, ist oft nur noch ein sanftes Brummen zu hören. Klar, schließlich braucht ja niemand mehr ein akustisches Signal, wenn das Telefon permanent griffbereit ist und mehrmals in der Stunde aus der Hosentasche gekramt wird, um zu checken, wie viel Uhr es ist, an welchem Strand der Facebook-Freund gerade posiert oder wann die Partnerin zuletzt online gewesen ist. Wer auf der Höhe der Zeit sein will, der muss nicht mehr wie früher große Töne spucken, sondern sich mit den neuesten Smartphone-Modellen und auffälligen Schutzhüllen von anderen abgrenzen. Für alle, die übrigens mal so richtig uncool sein wollen: Jamba-Sparabos gibt’s auch heute noch. Für 4,99 Euro die Woche können unter anderem zwei MP3-Klingeltöne heruntergeladen werden. Und auch der „Crazy Frog“ lebt noch, zum Beispiel bei Youtube. Im Gegensatz zu den modernen Alleskönner-Smartphones mit Stereo-Lautsprechern ist der listige Lurch nämlich noch nicht verstummt.

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