Rheinpfalz Streicheleinheiten für „Wunderkind“ Götze

Rio de Janeiro. 1954, 1974, 1990 – und nun 2014: Die deutsche Mannschaft feierte am Sonntag in Rio de Janeiro den vierten WM-Triumph durch das 1:0 gegen Argentinien nach Verlängerung, wie es ausgelassener nicht sein kann.

Natürlich zeichneten die Weltmeister auch die schönsten Bilder dieser WM. Auf dem Feld spielten sich nach dem Coup wundervolle Momente ab. Jeder herzte und busselte jeden, die Spielerfrauen waren gleich dabei, die Kinder kamen dazu, es war eine große Familie, die den Sieg feierte. Eine schrecklich glückliche Familie, mit der Obermutti auf der Tribüne. Sie können auch feiern. Per Mertesacker führte später auf dem Weg zum Bus die Truppe der Sänger um Sami Khedira und Mesut Özil an. Lautstark. Narrhallamarsch. „Wir sind die besten der Welt“, intonierten Mertesacker und Khedira. Oder so. „Ich kann das alles noch nicht realisieren, ich ahne aber, es fühlt sich gut an“, sagte Abwehr-Ass Mats Hummels. The German Wunderkind, Teil II. Es war Mario Götze, der das Finale entschied. Vom Flop zum Matchwinner. Die Wege während der WM waren für den Spieler zuweilen unergründlich. Götze entschied das Spiel in der 113. Minute mit einem sagenhaften Linksschuss, vorbildlich die Ballannahme mit der Brust. Exzellent bedient wurde er von André Schürrle. Bundestrainer Joachim Löw brachte Götze genau zum richtigen Zeitpunkt, als Miroslav Klose müde wurde. „Ich habe ihm gesagt: Zeige der ganzen Welt, dass du besser bist als Messi. Ich hatte ein gutes Gefühl. Er ist zu allem fähig. Götze kann alles spielen, er ist ja auch ein Wunderkind. Er hat fantastische Möglichkeiten. Das Tor hat er hervorragend gemacht. Ich wusste, dass er ein Spiel entscheiden kann“, rekapitulierte Löw. Götze wurde – klar – zum Spieler des Finales gewählt. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wirklich großartig. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen, ich bin stolz, auf das, was passiert ist“, erläuterte der Offensivspieler des FC Bayern München. Bis zum Finale blieb er weit unter seinen Möglichkeiten. In der Vorrunden-Partie gegen Ghana, in der er auch traf, wurde er zwar ebenfalls zum besten Spieler der Partie gekürt, aber diese Wahl war nicht korrekt. Götze zauderte zu viel, zauberte nicht und verlor seinen Stammplatz wieder an Miroslav Klose. Götze dankte am Sonntag seiner Familie und seinen engsten Freunden – ließ durchblicken, dass das vergangene Jahr, sein erstes beim FC Bayern, kein einfaches gewesen war. Auf Nachfrage wollte er sich dazu nicht detailliert äußern, Götze war gerade Weltmeister geworden. Basta. „Wir haben es auf jeden Fall verdient“, sagte der Edeltechniker. Das Wunderkind. Das German Wunderkind. Die 113. Minute entschied das Spiel, als Martin Demichelis, der Routinier, einmal nicht aufpasste, einmal falsch stand. Argentinien hatte seine Möglichkeiten, hätte früh in Führung gehen können, ja müssen. Aber Gonzalo Higuain zeigte Nerven. Er versagte frei vor dem Tor. Und so scheiterte Argentinien an Deutschland wie im Finale 1990. Lionel Messi wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt. Als er sich seinen Pokal abholte, zeigte er keine Regung. „Der Goldene Ball zählt in diesem Moment nicht viel für mich. Ich wollte nur den WM-Pokal in die Höhe heben“, gab der enttäuschte Superstar zu Protokoll. Zwei Chancen erspielte er sich auch, verzog jedoch. Stoiker Alejandro Sabella war sehr enttäuscht. „Natürlich sind wir sehr traurig“, sagte der argentinische Trainer, betonte aber auch: „Alle können in den Spiegel schauen. Die Spieler verdienen es, daheim gut empfangen zu werden. Sie haben ein wunderbares Turnier abgeliefert. Sie haben sich für die Farben Argentiniens aufgeopfert. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack.“ Einen nicht gegebenen Elfmeter reklamierten die Argentinier bei Manuel Neuers Rettungstat in der 57. Minute. Nun ja. Sinnbild des deutschen Erfolges war Bastian Schweinsteiger. Er konnte kaum noch laufen, konnte kaum noch grätschen, wurde von den Argentiniern böse in die Mangel genommen, zog sich nach einem Schlag Sergio Agueros auch noch einen Cut im Gesicht zu – aber Schweinsteiger gab nicht auf, hielt blutend bis zum Ende durch. Und war am Ziel. Das 108. Länderspiel wird als eines der besten seiner Karriere in die Geschichtsbücher eingehen. 15,3 Kilometer lief der 29-Jährige im Finale. Wille, Kampfgeist, Durchsetzungsvermögen: Künftige Mittelfeldmotoren werden sich an der Leistung Schweinsteigers messen lassen müssen. An dem Auftritt des Unverwüstlichen, der die Mannschaft führte und strukturierte, sie zusammenhielt. „Wir haben 2005 angefangen mit unserer Mannschaft, 2006 waren wir nach der WM auf der Fanmeile, und die Leute haben uns trotz des dritten Platzes zugejubelt. Nun haben sie etwas zurückbekommen“, sagte er: „Das ist eigentlich das schönste am Titel: dass wir die Leute happy gemacht haben.“ Schweinsteiger hat alles dafür gegeben, diesen Titel mit nach Hause zu nehmen. Verletzungen warfen ihn während der Saison zurück, er musste operiert werden. Das DFB-Pokalfinale verpasste er wegen einer Knieverletzung. In Brasilien wurde es ein Spiel auf Zeit. Aber Bastian Schweinsteiger schaffte es. Mit dem dritten Gruppenspiel gegen die USA war er da, führte die deutsche Mannschaft durch die K.o.-Runde. „Ich wollte hier mit aller Gewalt weit kommen. Es war ganz wichtig, dass ich meine Gesundheit zunächst etwas schonen und fit werden konnte“, sagte er. Der 29-Jährige zog sich zunächst völlig zurück, das ließ Raum für Spekulationen. Schweinsteiger sei verärgert über seine Reservistenrolle, dachten viele. Alles Mumpitz. „Die Mühen haben sich gelohnt“, meinte er. Und wie. Bastian Schweinsteiger, der Anführer, der Chef, er ist auch der Comeback-König. Und seit Sonntagabend für alle Zeit einer der ganz Großen im deutschen Fußball. „Das Besondere hier waren die Auswechselspieler. Die, die nicht so zum Zuge gekommen sind. Wie sie im Training die erste Mannschaft gefordert haben, stimmt mich auch zuversichtlich für die nächsten Jahre“, schwärmte Schweinsteiger. Er lobte noch einmal ausdrücklich den Teamgeist. Und grüßte seinen Förderer Uli Hoeneß, „ohne den wir nicht hier wären“. Auch das ist Bastian Schweinsteiger.

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