Rheinpfalz Von St. Laurentius aus den Angreifern getrotzt
«NIEDERSCHLETTENBACH.» Das Dorf an der Lauter und seine Kirche feiern in diesem Jahr ihre erste urkundliche Erwähnung vor genau 950 Jahren. Mit verschiedenen Veranstaltungen wurde das Ereignis bereits gefeiert, beim „Tag des offenen Denkmals“ am kommenden Sonntag, 9. September, folgt die nächste. In loser Folge stellen wir das Dorf, seine Geschichte und die Feierlichkeiten vor. Heute machen wir eine Zeitreise ins Mittelalter und stellen die Laurentius-Kirche als Wehrkirche vor.
Hoch über dem Dorf steht das alte Gotteshaus und überragt alle umliegenden Häuser. Trutzig ragt der massive 28 Meter hohe Sandsteinturm wie ein Fingerzeig gen Himmel. Wenn der Turm abends angeleuchtet ist und aus dem Häusermeer ragt, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Turms, der zahlreichen Kriegen im Grenzland getrutzt hat. Nach dem überlieferten Kirchenbau von 1068 erfolgte 1220 eine Erweiterung des Gotteshauses. Erst später wurde an der Südostecke der Turm angebaut. Sein Baudatum ist nicht überliefert, er dürfte laut dem Landeskonservator Kaiser im 14. Jahrhundert entstanden sein und besteht aus behauenem Quaderwerk mit Zangenlöchern. Auf der Westseite in 4,50 Metern Höhe hat er einen Schrägsims. Auf diesem lag früher die Türschwelle für den einzigen Zugang auf. Die wuchtige Bauweise des Turmes mit einer Mauerstärke von 1,40 Metern lässt Schlüsse über den Zweck dieses Bauwerkes zu. Als reiner Glockenturm wäre solch ein trutziges Bauwerk nicht erforderlich und hätte nur unnötige Kosten verursacht. Betrachten wir uns seine Konstruktion. Der Turm hat im Erdgeschoss keinen Zugang nach oben. Dort befindet sich lediglich die alte Sakristei mit geschlossenem Kreuzgewölbe. Der Zugang zum Turm war bis 1945 nur über eine Außentreppe in 4,50 Metern Höhe möglich. Dessen schmale Zugangstür ist noch rundbogig, die Türschwelle hat seitliche Einkerbungen, in die sich einmal die hölzernen Treppenwangen aufgelegt haben. Diese Zugangsform hat eindeutigen Wehrcharakter: Eine schmale Aufgangstreppe mit ungeschützter rechter Flanke für den Angreifer und eine einzige, mit wenig Aufwand zu verteidigende Eingangstür erinnern schon sehr an die Wehrarchitektur unserer Burgen. Ein Indiz für den Verwendungszweck des Gebäudes liefert auch die Gestaltung der Fenster. Bis auf die Fenster der Glockenstube sind alle als Schießscharten ausgebildet. Also je zwei im Erdgeschoss, in der Uhrenstube, im zweiten Obergeschoss sowie die beiden Fenster der Glockenstube in Richtung Westen und Norden. Innen weiten sich die Fenster zu mannshohen Nischen mit Stichbögen. So konnte ein Bogenschütze darin Platz finden. Die Scharten sprechen eine eindeutige Sprache: Das Gebäude ist weniger zu sakralen Zwecken erbaut, sondern als Schutz- oder Wehrturm für die Bevölkerung in kriegerischen Zeiten. Nach Ansicht des Historikers Eckhard Braun, Spezialgebiet Wehrtechnik, dienten sie der Verteidigung der Wehranlage und der näheren Umgebung. Wegen seiner Höhe ist der Turm natürlich ein hervorragender Ausguck. Von dort oben sind anrückende Angreifer schon frühzeitig zu erkennen. Die Errichtung des Wehrturmes an dieser Stelle hat verschiedene primäre Gründe. Im Mittelalter ist die Kirche eines der wenigen Gebäude im Dorf, das ganz aus Stein erbaut und somit standhaft ist. Turm und Kirche bilden so eine feste und schützende Einheit. Ein anderer Grund war die strategische Lage hoch oben auf dem Kirchberg. Wie bei einer Burg muss ein Angreifer mühsam den Hang ersteigen und ist ohne Deckung den Waffen der Verteidiger ausgesetzt. Um dies noch zu erschweren und die Wehranlage abzurunden, hat man den die Kirche umgebenden Friedhof befestigt. Anzunehmen ist, dass einst auf dem das Friedhofs-Plateau begrenzenden Grat eine Sandsteinmauer stand. Von dieser Ringmauer fehlen heute jegliche Reste. Aber ein Visitationsprotokoll von 1718 berichtet, dass der Kirchhof befestigt und „umschlossen“ war. Bei einer Visitation von 1747 ist erneut von der Kirchhofmauer die Rede, die da jedoch „völlig zerfallen“ ist und neu aufgebaut werden müsste. Wahrscheinlich ist diese Mauer der Wehrkirche in den Wirren des 30-jährigen Krieges beschädigt worden. Der alte Aufgang führte bis 1945 in einer steilen Steintreppe vom Dorf zum Kirchhof hinauf, den man durch ein Tor in der Mauer betrat. So war auch dieser Zugang strategisch gut zu verteidigen. Ein Schwachpunkt der Schlettenbacher Kirchenburg ist das nordwestlich ansteigende Gelände. Um diese neuralgische Stelle zu entschärfen, hat man beim Bau der Wehranlage einen künstlichen Halsgraben angelegt. Der Graben ist etwa fünf Meter breit und auf der Westseite noch heute fünf Meter tief. Das ausgehobene Erdreich und Felsgestein wurde auf der östlichen Grabenseite aufgeschüttet. So ist auf dem Kirchberg ein Wall entstanden, der noch die Bergseite jenseits des Grabens überragte. Dieser Halsgraben war von der Wallkrone und Mauer aus besser zu verteidigen. In den Halsgraben wurde 1977 die heutige Kirchstraße gebaut, die Grabensohle lag ursprünglich 1,50 Meter tiefer. Der Wall wurde damals eingeebnet. Die Anlage auf dem Kirchenplateau ist noch durch die Geländeform und die Grundstücksgrenzen andeutungsweise zu erkennen. Einen weiteren Hinweis auf die damalige Wehrkirche finden wir während der Sickingischen Fehde. Bei der Zerstörung der Burgen Franz von Sickingens durch die drei verbündeten Fürsten – dem Pfälzer Kurfürsten Ludwig V., dem Trierer Erzbischof und Kurfürst Richard von Greiffenklau und dem Landgrafen Philipp von Hessen – im Mai 1523 im Wasgau hatte der Kurfürst sein Feldlager in Niederschlettenbach aufgeschlagen. Während die Landsknechte (700 bis 900 Mann) auf den Feldern kampierten, hatte der Kurfürst selbst auf dem befestigten Kirchhof gelagert. Es wird berichtet, dass der Domsänger und spätere Bischof von Speyer, Philipp von Flersheim, die drei Kriegsfürsten „auf dem Kirchhof zu Schlettenbach“ vergeblich um Verschonung der Sickinger gebeten hat. Wann die Wehranlage auf dem Schlettenbacher Kirchberg erstanden ist, darüber schweigen die Quellen. Da der erhaltene Wehrturm das Kernstück der Anlage bildete, muss er in der gleichen Zeit erstanden sein. Er kann als Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung dienen. Auf Grund der Baufolge der Kirche ist das nach 1220 und bis zum 14. Jahrhundert geschehen. Derzeit gibt es hoffnungsvolle Ansätze, das Baudatum des Turmes, welcher die Inschrift „meister niclaus von offenheim“ trägt, genauer zu ermitteln.