Rheinpfalz „Vor dem Sterben gibt es noch zwei Fragen“

Bad Dürkheim. Selten haben sich Menschen in Bad Dürkheim so intensiv für ein Projekt engagiert wie zuletzt für ein Hospiz. Dekanin Ulla Hoffmann spricht über Dinge, die für Sterbende wichtig sind, über Nahtod-Erlebnisse, Tabubrüche und über einen gnädigen Gott.

Frau Dekanin, sehen wir mal von den körperlichen Schmerzen ab. Wovor haben die Menschen beim Sterben Angst?

Schmerzen kann man nicht ausblenden. Aber sie haben außerdem Angst vor Einsamkeit und Sinnlosigkeit. Die Endlichkeit, mit der Sterbende konfrontiert sind, ist immer auch eine Frage nach dem Sinn und dem Wert unseres Lebens. Es geht am Ende um Dinge, die wir auf dieser Welt zu erledigen und zu lösen haben. Lassen sich diese Fragen leichter ertragen, wenn man an einen Gott glaubt? Oder anders gefragt: Kehren viele zum Schluss zu Gott zurück, weil sie hoffen, dass ein gütiger Gott sie vor dem Schlimmsten bewahrt? Das Großartige ist, dass wir im Christentum, aber auch im Judentum und im Islam immer von einem gnädigen Gott sprechen. Von einem Gott der Erlösung. Ich zitiere auf Beerdigungen oft den Spruch „Ich komme aus Licht und ich gehe ins Licht“. Genauso wenig wie die Maus der Katze entrinnen kann, können wir unserem Schöpfer oder unserem Geschöpf-Sein entrinnen. Sie sprechen jetzt von Licht. Für viele nicht gläubige Menschen ist das vielleicht eine inhaltsleere Metapher für das immer wieder gepredigte Ewige Leben. Was passiert nach dem Tod? Was genau nach dem Tod passiert, weiß ich nicht. Ich war noch nicht tot. Licht ist keine inhaltsleere Metapher, sondern damit ist gemeint, dass es nicht dunkel ist, sondern hell. Mein Opa, der ungläubig war, hatte ein Nahtod-Erlebnis und mir erzählt, wie es war, als er ins Licht gegangen ist. Er hat gesagt, dass er danach keine Angst mehr vor dem Tod hatte. Nun gibt es Menschen, denen ihr Leben schon egal ist, was ist denn dann mit dem Tod? Haben Sie schon mal jemanden getroffen, dem sein bevorstehender Tod völlig Wurst war? Es geht immer um Schmerzen und um die Frage nach der Schuld, also um das, was meine Seele bedrückt. Das belastet. Manches, was man so leichtfertig wegschiebt, ist vielleicht nicht so einfach wegzuschieben, denn was ich verdränge, kommt immer wieder. Und wenn es am Schluss meines Lebens ist. Die Frage, die sich ergibt, heißt: Gibt es eine Vergebung? Das ist die Frage nach dem gnädigen Gott. Luther hat gesagt, dass es am Schluss noch zwei Fragen gibt, die ich zu klären habe: Wem muss ich noch was vergeben? Wer vergibt mir? Es geht darum, dass ich dann loslassen kann. Es gibt nichts, das so sicher ist wie das Sterben. Warum bekommen wir trotzdem so wenig davon mit? Das ist in meinen Augen typisch für unsere Gesellschaft. Sterben und Tod sind ein Tabu und wenn Sie über dieses Thema sprechen, brechen Sie ein Tabu. Unsere Gesellschaft reagiert dann in der Regel mit Ausgrenzung. Meinen Sie mit Ausgrenzung, dass der Tod nur hinter Mauern stattfindet, so dass heute 40 Jahre alte Menschen noch nie einen Toten gesehen haben? Genau. Das Normalste, was es im Leben gibt, nämlich das Geboren werden und das Sterben wird bei uns Spezialisten überlassen, dabei sind das die natürlichsten Vorgänge. Es gibt ja kaum noch normale Geburten, es wird ja alles als Krankheit betrachtet. Genauso ist es mit dem Sterben. Nun gibt es gerade in Bad Dürkheim eine riesige Bewegung und Initiative für den Bau eines Hospizes. Verbannt man das Sterben damit nicht wieder hinter Mauern. Hier geht es ja nicht um das Haus, sondern um den Gedanken, das zu tun, was früher in einer Großfamilie geleistet wurde. Es gibt Situationen, wo es zu Hause nicht mehr geht und eine Palliativstation es nicht mehr leisten kann. Da brauchen wir ein Netz, um diese Menschen aufzufangen. Der Hospizgedanke steht dafür, dass wir eine Endstation des Lebens auch benennen. Letztlich ist der Hospizgedanke gegen dieses Tabu gerichtet. Er macht deutlich: In dieser Gesellschaft wird gestorben. Dies kann und muss menschlich sein.

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