Rheinpfalz „Was ist typisch jüdisch?“
Speyer. Die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz ist eine eher strenggläubige Gemeinde. Sie hat derzeit rund 140 Mitglieder. Viele stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Eine Hierarchie gibt es nicht. Der Vorstand organisiert das Gemeindeleben.
„Wir sind uns uneinig darüber, was Judentum ist“, sagt Daniel Nemirovsky, Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz. Mit dem Satz möchte er eines verdeutlichen: „Ist das Judentum nun eine Religion? Bei uns gilt aber unter anderem die Regelung, dass wenn ein Kind von einer jüdischen Mutter geboren wurde, es automatisch Jude ist. In anderen Religionen muss man sich bewusst dafür entscheiden, wie beispielsweise die christlichen Eltern zur Taufe ihres Kindes“, erläutert er. Juden als Nation und Ethnie? „Man muss aber eine Prüfung ablegen, um jüdisch zu werden. Ich kann aber durch eine Prüfung nicht Deutscher werden.“ Israel sei für ihn ein Land, in dem Freunde und Verwandte lebten. „In erster Linie bin ich Deutscher.“ Seit fünf Jahren ist Nemirovsky Geschäftsführer der 140 Mitglieder zählenden Kultusgemeinde. „Ich erhalte vom fünfköpfigen Vorstand die Aufträge“, berichtet er. Nemirovsky wurde in der Ukraine geboren, war mit 16 Jahren ein Jahr lang im Kibbuz, danach kurz in den USA, kam dann nach Deutschland. An der Uni Heidelberg hat er Jüdische Studien und Religionswissenschaft studiert, wurde Religionslehrer in Düsseldorf, kam nach Speyer, als ihn die Gemeinde darum bat, dort Geschäftsführer zu werden. Der Vorstand wird alle vier Jahre von der Gemeinde gewählt. Er bestimmt über alles, was die Gemeinde angeht. In den jüdischen Vorständen in Deutschland gebe es einen hohen Frauenanteil, sagt Nemirovsky und weist damit auf die Rolle der Frau innerhalb der Gemeinde hin. „Der Rabbi ist ein Angestellter und kommt einmal die Woche“, erläutert Nemirovsky die internen Abläufe. Der Rabbi sei zuständig für die Seelsorge, für religiöse und jüdisch-rechtliche Fragen. Allerdings sei seine Meinung nicht die allein gültige in einer Gemeinde. „Die Vernetzung im Internet macht es möglich, dass man als Gemeindemitglied unter verschiedenen Rabbinern wählen kann. Die einen sind liberaler als die anderen. Ich kann mir die Antwort dementsprechend unter den Rabbinern heraussuchen, die am besten passt“, berichtet Nemirovsky. Dass es keine Hierarchie in der Gemeinde gebe, sei Fluch und Segen zugleich, sagt er schmunzelnd. Die meisten der Gemeindemitglieder sind in den 1990er Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion ausgewandert, wie der Geschäftsführer berichtet. „Die Gemeinde ist eher streng. In einer atheistischen Gesellschaft groß geworden, haben sie sich eher auf die jüdische Tradition zurückbesonnen.“ Mittlerweile leben die Juden in Speyer und im Umland wie etwa in Dudenhofen, Römerberg und Otterstadt. In der Synagoge gibt es 85 Sitzplätze. „Es kommen im Schnitt 30 bis 40 Leute. An großen Festen wie Chanukka kommen sehr viel mehr. Die Christen haben die Weihnachtschristen, wir haben die Chanukka-Juden“, sagt er mit einem Lächeln. Chanukka, das Lichterfest, wird Ende des Jahres gefeiert. Vor der Eröffnung der Synagoge, 2011 in der Nähe des St.-Guido-Stifts-Platzes, wurden die Gottesdienste im Haus der Vereine gehalten, wie Nemirovsky berichtet. „Hier in Speyer kommt es selten vor, dass jemand konvertieren möchte. Ich glaube, wir haben ein, zwei Familien“, sagt Nemirovsky. Das liege auch am langen Aufnahmeprozedere von zwei bis drei Jahren. Was die Altersstruktur angeht, zeige sich der allgemeine demografische Wandel. Jüdisches Leben ist in der Geschichte Speyers tief verwurzelt. Seit dem 11. Jahrhundert haben sich Juden in der Stadt angesiedelt, haben viele Höhen und Tiefen erlebt, wie die Pest, die die Gemeinde 1349 praktisch ausgelöscht hat oder die Verfolgungen, die dazu führten, dass es Ende des 16. Jahrhunderts praktisch keine Juden mehr in der Stadt gab. Die Gemeinde fühlt sich in Speyer sehr wohl. Anfeindungen habe es nie gegeben. „Die Anschläge von Paris haben uns sehr betroffen gemacht. Die Journalisten konnten ihren Beruf wählen, sie konnten darüber entscheiden, bei diesem Magazin zu arbeiten. Die Menschen, die in dem jüdischen Supermarkt umgebracht wurden, hatten keine Wahl. Sie waren von Geburt an Juden“, sagt der Geschäftsführer. Es seien nicht nur Anschläge auf die Presse-, sondern auch auf die Religionsfreiheit gewesen.