Rheinpfalz Zwei Käfer tragen seinen Namen

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Odenbach. Er muss ein merkwürdiger Geistlicher gewesen sein, der Odenbacher Pfarrer Philipp Wilbrand Jacob Müller (1771-1851). Denn lieber als in der Kirche oder im Pfarrhaus war er bei jedem Wetter in der Natur rund um das Dorf unterwegs. Seine Spaziergänge dienten nicht der Erholung, sondern er nutzte sie, um Insekten zu sammeln. Er war ein leidenschaftlicher Insektenkundler und auf diesem Gebiet ein bedeutender Gelehrter.

Sein Porträt zeigt ein rundes Gesicht mit einer leicht gekrümmten Nase, einzelne Locken, die in seine hohe Stirn hängen, der Mund etwas schief und sehr wache Augen Er wirkt ernst, sieht aber nicht wie ein Pfarrer aus, auch nicht wie ein bedeutender Gelehrter. Schon sein Vater Georg Friedrich Ludwig Müller (1734 – 1811) unterschied sich von den meisten Geistlichen seiner Zeit. Er stammte aus dem elsässischen Kleeburg (französisch Cleebourg) bei Wissembourg und unterrichtete nach dem Theologiestudium zuerst an der Lateinschule in Bergzabern und von 1760 bis 1764 als Professor am Gymnasium in Zweibrücken, bevor er die Pfarrei Odenbach übernahm. Er galt als bedeutender Gelehrter, beherrschte außer Griechisch, Latein und Hebräisch auch mehrere orientalische Sprachen und besaß eine Bibliothek mit fast 3000 Bänden. Neben seinem Beruf beschäftigte er sich mit Mathematik, Astronomie und vor allem mit Botanik. Müller muss ein eindrucksvoller Lehrer gewesen sein, denn 1803 widmeten ihm vier junge Wissenschaftler „in Hochachtung, Liebe und Dankbarkeit“ zwei Hefte mit Arbeiten zur Entomologie. Die „Freunde der Naturgeschichte“, wie sie sich nannten, verstanden diese Veröffentlichungen als „Vorarbeit einer künftigen Fauna (Tierkunde) des Departements Donnersberg und der angrenzenden Departements.“ Einer der vier Autoren war Müllers jüngerer Sohn Philipp Wilbrand Jacob. Zu dem „Autorenquartett“ gehörte auch der Arzt Joseph Wilhelm Daniel Koch aus Kusel, mit dem Müller sein ganzes Leben lang befreundet war. Die beiden anderen, der Meisenheimer Arzt J. J. Hoffmann und der Sekretär Johann Michael Linz aus Speyer, traten später nicht mehr als Wissenschaftler in Erscheinung. Der Beruf des Vaters hatte auch das Leben seiner beiden Söhne bestimmt, denn beide studierten Theologie. Aber von dem älteren Sohn Philipp Friedrich Ludwig (1768-1835) ist nur bekannt, dass er Vikar in Lambsborn und Speyer war, bevor er Pfarrer in Altenglan wurde und dort bis zu seinem Lebensende blieb. Lediglich der jüngere Sohn erbte das wissenschaftliche Interesse seines Vaters. Er besuchte nach der Lateinschule das Gymnasium in Zweibrücken und studierte in Marburg Theologie. Dann war er 17 Jahre lang Vikar in der Gemeinde seines Vaters, bevor er nach dessen Tod die Pfarrstelle übernahm. Vielleicht waren ihm die vielen Jahre als Vikar ganz recht, denn dadurch hatte er Zeit, um seinen wissenschaftlichen Interessen nachzugehen. Anfangs war die Botanik sein Schwerpunkt, doch schon bald entdeckte er die Käferkunde als sein Spezialgebiet. Darüber schrieb er 1798 seinem Freund Koch: „Gegenwärtig gebe ich mich, wie du weißt, fast gar nicht mit Botanik ab, und ein einziges Steckenpferd, worauf mein Genius reitet, ist die Entomologie. Dieser Teil der Naturgeschichte ist für mich jetzt so anziehend, dass ich alles andere darüber vergesse, nichts als Insekten denke, davon träume und Tag und Nacht Berg und Tal, Wälder, Wiesen, Flüsse, Sümpfe etc. durchsuche, ohne mich durch Regen und Sonnenschein davon abhalten zu lassen.“ Ein erstes Ergebnis waren die beiden Hefte, die er und seine Bekannten dem Vater gewidmet hatten. Das erste Heft bestand aus einer Abhandlung über den Stutzkäfer (Histeridae), im zweiten Heft schrieb er einen Beitrag über die Gattung „Dorcatoma“, zu der die Hornschnittkäfer gehören. Der ursprüngliche Plan, ein umfangreicheres Werk über die Fauna des Departments Donnersberg zu schreiben, ließ sich nicht verwirklichen. Aber Müller veröffentlichte in den nächsten 20 Jahren zwei Dutzend Aufsätze in den Fachzeitschriften „Magazin für Insektenkunde“ und „Magazin der Entomologie“. Dazu gehören Arbeiten über Schwimmkäfer, Schnellkäfer, Düsterkäfer, Palpenkäfer oder Blattrüssler, von denen die meisten wahrscheinlich nur Wissenschaftlern bekannt sind. Zwei Käfer, die er erstmals klassifizierte, tragen seinen Namen: der Pelzflohkäfer („Leptinus testaceus Müller“), und die im Wasser lebende Gattung „Macronychus quadrituberculatus Müller“. Um sich so umfassende Kenntnisse anzueignen, waren viele Exkursionen rund um Odenbach und kleinere Reisen in der Pfalz notwendig. Die gesammelten Exemplare mussten genau untersucht, beschrieben und klassifiziert werden. Dabei wurde Müller unterstützt von anderen Fachgelehrten, die wie er Mitglied in einer naturwissenschaftlichen Gesellschaft waren oder mit denen er in einem regen Briefwechsel stand. Diese Kontakte dienten ihm auch dazu, seine Sammlung durch Tausch zu erweitern. Aber Müller sammelte nicht nur, sondern beschrieb in vielen Fällen auch die Lebensweise der Käfer. Praktische Überlegungen wie die Schäden, die bestimmte Käfer an Nutzpflanzen verursachen, zeichnete er ebenfalls auf. Manche seiner Beobachtungen wurden von späteren Autoren zitiert, zum Beispiel von Alfred Brehm in seinem „Tierleben“, und sind immer noch lesenswert. Dazu gehört seine Beschreibung von Keulenkäfern, die von Ameisen in ihrem Bau geduldet und von ihnen wie die eigene Brut behandelt werden. Auch bei einer Hornisse, die in einem leeren Bienenkorb ein Nest baute und Eier legte, verfolgte er wochenlang das Schlüpfen und Verpuppen der Larven bis zum Ausfliegen. Müller hinterließ eine Sammlung von über 1000 Käfern, die er der 1840 gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaft „Pollichia“ überließ. Leider wurde fast die gesamte Sammlung während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Aber das Pfalzmuseum für Naturkunde in Bad Dürkheim bewahrt seinen handschriftlichen Nachlass auf. Es sind Hunderte von Manuskripten, darunter Konzepte der Veröffentlichungen, Briefe, Aufzeichnungen über seine Funde und Merkzettel. Welche Auswirkungen sein wissenschaftlicher Enthusiasmus auf das Familienleben hatte, wissen wir nicht. Müller war seit 1798 mit Dorothea Karolina Luise Baumann, Tochter des Einöller Pfarrers, verheiratet und hatte einen Sohn. Christian Ludwig Müller studierte wie sein Vater Theologie und war nach dem Vikariat Pfarrer in Otterberg, Lauterecken und Altrip. Ob er auch wissenschaftliche Interessen hatte, ist nicht bekannt. Mit seinem Beruf gab es offensichtlich keine Probleme, denn von seinen Kollegen und Vorgesetzten wurde Müller geschätzt. 1818 gehörte er der Unionssynode an, die den Zusammenschluss der lutherischen und reformierten Kirche regelte. Zwei Jahre später wurde er 1820 zum Dekan für den Kirchenbezirk Obermoschel gewählt und übte dieses Amt bis 1848 aus. Vielleicht ließen ihm die zusätzlichen Aufgaben nicht mehr so viel Zeit für die Entomologie, denn im Jahr 1822 erschien seine letzte wissenschaftliche Veröffentlichung über Ameisenkäfer. Ein Gegensatz zwischen Theologie und Naturwissenschaft ist bei dem Odenbacher Pfarrer nicht zu erkennen. Wie sein Vater war er ein Zeitgenosse der Aufklärung, zu deren Zielen die wissenschaftliche Forschung gehörte. Aber sie sollte nicht nur der Erweiterung des menschlichen Wissens dienen. Vielmehr sahen Theologen in der Natur einen Bereich, in dem die Schöpfung Gottes besonders sichtbar wird. Gerade der wunderbare Mikrokosmos der Käferwelt konnte so eine Quelle der Offenbarung werden. Müller starb fast 80-jährig und wurde in Odenbach begraben, wo eine Säule sein Grab kennzeichnet. Es wird durch eine Informationstafel ergänzt, denn die Gemeinde ist sich bewusst, welch bedeutender Wissenschaftler in ihr gelebt hat. Der Biologe Manfred Niehuis aus Landau hat vor fünf Jahren die erste umfangreiche Arbeit über Müller veröffentlicht. Er schätzt ihn als einen Gelehrten, der auch heute noch bedeutsam für die Wissenschaft ist und durch seine Veröffentlichungen und seinen Briefwechsel weit über die Grenzen der Pfalz hinaus gewirkt hat. Seine Forschungen über die Klauenkäfer haben immer noch Gültigkeit, aber auch alle anderen Beobachtungen sind für die Wissenschaft wertvoll. Sie geben nämlich eine Bestandsaufnahme vieler Käfer vor 200 Jahren und ermöglichen einen Vergleich mit der Gegenwart. Denn einige der von Müller beschriebenen Arten sind ausgestorben oder zumindest selten geworden und in ihrem Bestand bedroht. Literatur Manfred Niehuis: Pfarrer Philipp Wilbrand Jacob Müller (4. Oktober 1771 – 31. März 1851), ein bedeutender Insektenkundler aus Odenbach a. Glan. Mainz 2012 (Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv, Beiheft 33).

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