Leitartikel Direktzüge sind viel wert

Von Mannheim fahren direkte ICE unter anderem auch nach Berlin und Hamburg.
Von Mannheim fahren direkte ICE unter anderem auch nach Berlin und Hamburg.

Züge, die lange Strecken fahren, erhöhen das Risiko von Verspätungen. Sie haben aus Sicht der Reisenden aber große Vorteile. Wenn Pünktlichkeit oberste Priorität bekäme, dürfte Mannheim wohl zu den Verlierern zählen.

Die Verspätungen bei der Deutschen Bahn (DB) werden mehr und mehr zu einem Thema, das nicht nur in den Medien breite Resonanz findet, sondern auch Politiker auf den Plan ruft. Dabei ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht für alle Sachlichkeit das oberste Gebot. Das gilt besonders für Vertreter der CSU, die besonders gerne gegen die Missstände bei der DB polemisieren und dabei ausblenden, dass die CSU von 2009 bis 2021 den Bundesverkehrsminister stellte und damit einen wesentlichen Teil der Verantwortung für den Schlamassel trägt, in dem sich der deutsche Schienenverkehr aktuell befindet.

Zwar gibt es auch in der CSU – vor allem in Bayern auf Landesebene – Politiker, die sich engagiert für den Bahnverkehr eingesetzt haben, aber ihre beiden letzten Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer gehören sicher nicht dazu.

Gastel fordert kürzere ICE-Linien

Ein Politiker, dem man ernsthaftes Engagement für den Schienenverkehr nicht absprechen kann, ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. Er fährt selbst viel mit der Bahn und hat auch als Kunde unter den Mängeln des DB-Betriebs zu leiden. Er hat nun einige Vorschläge gemacht, um die Pünktlichkeit des Bahnbetriebs zu verbessern, die immerhin diskussionswürdig sind, teilweise aber auch sehr problematische Folgen hätten und sich keinesfalls als Patentrezept eignen.

Das gilt vor allem für die Forderung, ICE-Linien zu verkürzen. Gastel steht mit dieser Idee nicht allein, sie ist auch keineswegs neu. Schon seit Jahrzehnten gibt es immer wieder den Konflikt zwischen dem einen Ziel eines möglichst pünktlichen Betriebs und dem anderen, möglichst viele bei Reisenden beliebte Direktverbindungen anzubieten.

Mehdorns „Hubs and Spokes“ kamen nie

Was Gastel nun offenbar vorschwebt, ähnelt kurioserweise einem Konzept, für das sich kurz nach seinem Amtsantritt 1999 der damals neue Bahnchef Hartmut Mehdorn begeisterte. Laut diesem mit Airline-Terminologie „Hubs and Spokes“ (Naben und Speichen) genannten Konzept sollten ICE-Züge nur noch zwischen wenigen Groß-Knoten fahren und alle anderen Städte durch Zubringer an diese Knoten angebunden werden. „Absurde Bandwurmzüge“ (so die polemische Bezeichnung für Züge mit langem Laufweg) sollte es nicht mehr geben. In einer Visualisierung dieses Konzepts, die auf der Expo 2000 zu sehen war, gehörte Mannheim nicht zu diesen Groß-Knoten. In ein solches Konzept passte auch Mehdorns Projekt, eine neue ICE-Schnellstrecke zu bauen, die an Mannheim vorbei führen sollte.

Letztendlich gelang es aber den Bahn-Fachleuten bei der DB, Mehdorn einen Fernzug-Taktfahrplan, der viel mehr Städte bediente und etablierte Direktverbindungen bewahrte, als Konzept „Hubs and Spokes plus“ zu verkaufen. Obwohl dieses System verspätungsanfälliger ist, war es für die Fernverkehrsbedienung Deutschlands sicherlich die eindeutig bessere Entscheidung. Falls heute eine Entscheidung getroffen würde, ICE-Linien – etwa in Frankfurt – zu kappen, wären die in der Rhein-Neckar-Region sehr geschätzten Direktzüge von Mannheim nach Berlin und Hamburg wohl weg.

Viele Direktzüge in NRW-Städte verloren

Unfreiwillig ergibt sich aktuell ein ganz ähnlicher Effekt durch die Sperrung der Riedbahn. Mannheim hat derzeit fast alle gewohnten Direktzüge in nordrhein-westfälische Städte nördlich von Köln verloren. Für die meisten Reisenden ist das sicher keine Verbesserung, auch wenn die Züge von Köln nach Mannheim dadurch höchstwahrscheinlich pünktlicher geworden sind.

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