Wirtschaft Leica: Seit fast einem Jahrhundert Kult

Sehr klassisch, sehr hochwertig, sehr teuer: Leica setzt mit der M11 die traditionelle M-Serie fort. Und kooperiert mit einem ch
Sehr klassisch, sehr hochwertig, sehr teuer: Leica setzt mit der M11 die traditionelle M-Serie fort. Und kooperiert mit einem chinesischen Hersteller bei der Entwicklung eines Kamera-Smartphones der Spitzenklasse.

Ein deutsches Traditionsunternehmen mischt mit exklusiven Produkten im globalen Foto- und Optikgeschäft mit. Der neueste Coup ist ein Kamera-Smartphone der Spitzenklasse von Xiaomi, für das Leica die Optik beigesteuert hat.

Fotoenthusiasten in aller Welt warten auf das Xiaomi 12S, das heute offiziell in einer Normalversion, als 12S Pro und 12S Ultra vorgestellt wird. Zu kaufen wird es zunächst nur in China sein. Der Deutschlandstart steht noch nicht fest. Die Kooperation mit Leica sorgt aber für ein Alleinstellungsmerkmal, das auch in Deutschland Käufer locken wird. Das S12 Ultra kommt mit einem riesigen 1-Zoll-Sensor von Sony und einem passenden Leica-Zoom-Objektiv daher. Entsprechend groß fällt auch die Kameraöffnung aus. Ein Sensor, der um 170 Prozent größer ist als beim Apple iPhone 13 Pro Max und mit Leica-Optik kombiniert wird, dürfte noch mehr Käufer von der Digitalkamera hin zum Smartphone locken. Die anderen Modelle des Trios bekommen mit einem 1/1.28-Zoll-Sensor plus Leica-Objektiv ebenfalls eine herausragende Kameraausstattung. Preise sind noch nicht bekannt, dürften aber über dem gegenwärtigen Spitzenmodell 12 Pro liegen, das nominell 1150 Euro kostet, für etwa 1000 Euro aber im Handel zu haben ist.

Kannibalisiert Leica mit der Zulieferung für solche Smartphones nicht seine eigene Kamerapalette? Wohl kaum. Die Kameras von Leica zehren von fast 100 Jahren Kleinbildkamera-Tradition. Und seit dem Start der legendären M-Serie im Jahr 1954 können alle seither produzierten Leica-Objektive an allen M-Kameras bis zur ganz neuen M11 dank eines einheitlichen Objektivbajonetts genutzt werden. Auf Grund der traditionell herausragenden Qualität der Objektive existiert für Leica-Zubehör auch ein Gebrauchtmarkt, auf dem ältere Stücke oft teurer als Neuware sind. Zwischen „Gebrauchtware“ und „Antiquität“ ist da manchmal schwer zu unterscheiden. Rare Stücke erreichen Höchstpreise; Extrembeispiel ist die Versteigerung eines Leica-Vorserienmodells im Juni dieses Jahres, das für 14,4 Millionen Euro unter den Hammer kam. Es gilt damit als die teuerste Kamera der Welt.

Das „M“ der klassischen Leicas steht für „Messsucher“ – womit viele Digitalkamerabesitzer nichts anfangen können oder wollen. Ein Messsucher ist schließlich ein rein optischer Durchguck im Gehäuse neben dem Objektiv. Man schaut also nicht durchs Objektiv wie bei einer DSLR oder einer spiegellosen Systemkamera. Zur Einschätzung, was das Objektiv sieht, dienen einige in den Sucher eingeblendete Rahmen, die den Bildausschnitt für Standardbrennweiten zeigen. Damit fällt auch der Autofokus flach. Scharf gestellt wird bei M-Leicas durch einen Schnittbild-Entfernungsmesser, bei dem händisch zwei Glassegmente in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Fans sprechen dabei von „Entschleunigung“ und „Konzentration auf das Wesentliche“. Der Vorteil: M-Leicas waren immer schon kleiner und leiser als Spiegelreflexkameras. Heutige Spiegellose mit elektronischem Sucher haben hier aber gleichgezogen.

Anfang dieses Jahres stellte Leica die M11 vor. Es ist eine digitale Kamera mit Vollformatsensor mit immerhin 60 Megapixeln Auflösung. Wie zu erwarten, sprachen die meisten Tests von überragender Schärfe. Als Nachteile müssen aber das Fehlen eines Autofokus, eines Bildstabilisators und einer Videofunktion verbucht werden – alles Funktionen, die eigentlich zu den Standards einer Digitalkamera gehören. Immerhin gibt es ein rückwärtiges Display mit Touchfunktion, mit dem die digitalen Bilder beurteilt werden können. Trotz aller Entschlackung kostet das Gehäuse der M11 etwa 8400 Euro, selbstverständlich ohne Objektiv. Für ein Weitwinkel- oder Normalobjektiv müssen nochmals mindestens 3000 bis 4000 Euro hinzugerechnet werden. Und für ein 50-mm-Noctilux mit einer extremen Blende von f/0,95 werden sogar gut 11.000 Euro fällig.

Warum findet so eine Kamera einen Markt? Weil Leica Kult und Qualität in einer Weise verbindet, die nicht mehr rational aufzulösen ist. Und weil der Preis auch in kompromissloser mechanischer Qualität begründet ist, die im Wetzlarer Werk durch konsequenten Einsatz von Handarbeit gewährleistet wird. Das spürt man, wenn das sehr stabile M11-Gehäuse aus einer Aluminium-Magnesium-Legierung in der Hand liegt. Hinzu kommt, dass Leica von einem Retro-Trend profitiert, zu dem im günstigen Preissektor auch der Boom der Polaroid-Kamera gehört.

Dazu passen auch Sondermodelle, die seit Jahren gepflegt werden. So kommt die Leica M Monochrom seit dem ersten Modell von 2012 noch entschlackter daher, denn mit ihr können nur Schwarzweißbilder aufgenommen werden. Die Reduzierung führt zu schärferen und feiner durchgezeichneten Bildern, denn eigentlich haben alle Digitalkameras nur monochrome Sensoren. Die Farbe kommt hinzu, weil Farbfilter darübergelegt werden, die nur einen Farbbereich durchlassen. Der pure 40-Megapixel-Sensor der Leica ist ohne solche Filter empfindlicher und nimmt ein breiteres Farbspektrum wahr. Wer auf hoch ästhetische Bilder in größten Formaten setzt, muss allerdings etwa 8200 Euro ausgeben.

Noch minimalistischer, fast archaischer geht es bei der Leica M-A zu. Das „A“ steht für analog; es dürfen also klassische Kleinbildfilme zum Einsatz kommen. Und ganz konsequent ist der Verzicht auf eine Batterie, denn die M-A kommt gänzlich ohne Strom aus. Der Verschluss arbeitet komplett mechanisch. Die Belichtung braucht einen erfahrenen Fotografen – oder einen externen Belichtungsmesser. Und auf ein Display muss auch verzichtet werden.

Der Kult wird zum elitären Luxus, wer sich diese Leica in einer auf 250 Exemplare limitierten Titan-Ausführung gönnt. Die aktuelle Preisempfehlung beträgt 19.990 Euro. Das global begehrte Modell sorgt dann schnell für fünf Millionen Euro des derzeitigen Leica-Umsatzes von etwa 400 Millionen Euro. Nach einigen Krisen um die Jahrtausendwende, einem späten Schwenk zum Digitalen und einem aktuell klug gemischten Hochpreis-Portfolio geht es dem deutschen Unternehmen wieder ausgezeichnet.

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