Wirtschaft Milliarden für Energiekonzerne

Im niedersächsichen Lingen produziert das Unternehmen Areva, das deutsche Kraftwerke beliefert, mit Uran angereicherte Brennstäb
Im niedersächsichen Lingen produziert das Unternehmen Areva, das deutsche Kraftwerke beliefert, mit Uran angereicherte Brennstäbe.

«Karlsruhe.»In fünfeinhalb Jahren ist Schluss mit der Atomkraft in Deutschland, soviel steht fest. Ums Geld streiten Energiekonzerne und Bundesregierung trotzdem weiter. Diesmal geht der Sieg an die Unternehmen – die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verheißt ihnen Milliarden-Zahlungen. In der Gesamtrechnung stehen unter dem Strich aber ganz andere Summen (Bericht auch auf Seite 1).

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss den Atomkonzernen mehr als 6 Milliarden Euro zu Unrecht kassierte Steuern zurückzahlen. Die von 2011 bis 2016 erhobene Brennelementesteuer hatte nie eine verfassungsgemäße Grundlage, wie das Bundesverfassungsgericht gestern feststellte. Die Richter erklärten das Gesetz über die Steuer deshalb rückwirkend für nichtig (Aktenzeichen 2 BvL 6/13). Die eingenommenen 6,285 Milliarden Euro würden samt Zinsen zurückgezahlt, sicherte ein Ministeriumssprecher in Berlin zu. Dank guter Steuereinnahmen könne das aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Die Zinsen würden 6 Prozent pro Jahr ausmachen. Ab 2014 fielen allerdings keine Prozesszinsen an, da die Steuerbescheide dann nur noch vorläufig waren. Die Aussicht auf Erstattung der Milliarden-Summen beflügelte die Aktien von Eon und RWE. RWE-Papiere schnellten bis auf 19,84 Euro nach oben, mehr hatten sie zuletzt Mitte 2015 gekostet. Die Anteilsscheine von Eon kletterten in der Spitze bis auf 8,45 Euro. Die Papiere von Eon gingen mit einem Plus von 5,2, die von RWE mit einem Zuwachs von 5,5 Prozent aus dem Handel. Die von der Energiewende gebeutelten Versorger können den Geldsegen gut gebrauchen. Sie haben in den vergangenen Jahren Milliardenverluste eingefahren. Zudem müssen sie im Sommer für die Einigung bei der Atommüll-Lagerung Milliardensummen in einen staatlichen Fonds einzahlen. Für die Bundesregierung ist die Entscheidung eine gewaltige Klatsche. Denn die Richter hätten trotz Bedenken darauf verzichten können, das Gesetz rückwirkend zu kippen. Die Brennelementesteuer sei „von Anfang an mit erheblichen finanzverfassungsrechtlichen Unsicherheiten“ belastet gewesen, heißt es in dem Beschluss aus Karlsruhe. Darauf hätte der Gesetzgeber nicht seine Finanz- und Haushaltsplanung stützen dürfen. Für Eon summierte sich das nach eigener Auskunft über die sechs Jahre auf 2,85 Milliarden Euro. Dazu rechnet der Konzern 450 Millionen Euro an Zinsen. RWE fordert inklusive Zinsen 1,9 Milliarden Euro zurück. EnBW hat 1,44 Milliarden Euro an Steuern gezahlt. Der vierte Großversorger, der schwedische Konzern Vattenfall, hatte schon vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 keine deutschen Kraftwerke mehr am Netz. Wegen des bevorstehenden Ausstiegs aus der Atomkraft war die Steuer von Anfang an befristet. Die Kraftwerksbetreiber waren trotzdem dagegen Sturm gelaufen und hatten die Bescheide vor verschiedenen Finanzgerichten angefochten. Zu möglichen Auswirkungen auf den Haushalt sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern: „Ich gehe davon aus, dass unsere großen Ziele nicht in Gefahr geraten.“ Linke-Chefin Katja Kipping forderte, die Milliarden zur Finanzierung der Atommüll-Entsorgung sicherzustellen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, die Bundesregierung müsse sich jetzt „beeilen, die Atomkonzerne so nicht davonkommen zu lassen“. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nannte die gestrige Entscheidung „das Ergebnis des Chaos, das Union und FDP in der Atompolitik angerichtet haben“. Kommentar/Aktienchart: RWE

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