Wirtschaft Schuhbranche: Industrie und Handel im Gleichschritt

Einen engeren Austausch zwischen Produzenten fordert der Hauensteiner Schuhunternehmer Carl-August Seibel. Er ist für zwei Jahre
Einen engeren Austausch zwischen Produzenten fordert der Hauensteiner Schuhunternehmer Carl-August Seibel. Er ist für zwei Jahre Vorsitzender des Bundesverbandes der Schuh- und Lederwarenindustrie.

«Hauenstein.»Der frühe Hochsommer hat die Laune in der Schuhbranche etwas gehoben: Sommerschuhe finden leichter Abnehmer. Doch dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche mit Themen wie Digitalisierung und Vertikalisierung vor großen Herausforderungen steht – Aufgaben, die schnell gelöst werden müssten, betont Carl-August Seibel. Der Hauensteiner Schuhfabrikant ist seit Juni Vorsitzender des Bundesverbandes der Schuh- und Lederwarenindustrie (HDS/L).

Seibel plädiert für mehr Partnerschaft zwischen Industrie und Handel, aber auch für einen engeren Austausch der Produzenten. Ein Schuhgeschäft, das auch auf kleiner Fläche trendige Ware und individuellen Service bietet, dabei über eine große Auswahl verfügt dank einer „elektronischen Regalverlängerung“, hinter der Hersteller die Verfügbarkeit ihrer Modelle gewährleisten: So könnte sich Carl-August Seibel ein Schuhfachgeschäft der Zukunft vorstellen. Denn davon, dass es auch künftig kleinere Geschäfte geben wird und nicht nur große Internetplattformen, ist der Schuhfabrikant überzeugt. Man brauche beides: den stationären Laden und das zusätzliche Online-Geschäft, wobei auch Letzteres keineswegs nur ein schmales Angebot darstellen sollte. Dafür aber müsse sich einiges ändern bei Händlern und Produzenten, und das schnell. „Uns läuft die Zeit davon.“ Denn es gebe eine „massive Veränderung im Markt“, wie er sie 30 Jahre nicht erlebt habe, stellt Seibel fest. Vor allem vier Entwicklungen beschäftigten die Branche: die Verlagerung von Umsätzen zum Online-Bereich, die Digitalisierung von Prozessen, die Ausweitung von Textilhäusern auf den Schuhverkauf und die Sneaker-Welle aus dem Sportschuhbereich, die dem Handel Volumen nehme. Ein Drittel der knapp 5000 Schuhhändler, befürchtet er, werde die Umwälzungen am Markt nicht überleben. Die Industrie habe zwar mehr Spielraum als der Handel, etwa durch Anpassungen an ausländische Märkte. Aber auch dort werde es das eine oder andere Unternehmen schwer haben, wenn es sich nicht rechtzeitig optimiert und positioniert habe. Auf den ersten Blick scheint es der Schuhindustrie deutlich besser zu gehen als dem Handel: Sie konnte laut HDS/L ihre Umsätze 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 6,7 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro steigern; erfasst wurden 39 Betriebe mit 50 und mehr Beschäftigten, darunter zwölf in Rheinland-Pfalz. Der Trend setzte sich im ersten Quartal 2017 fort: Die Umsätze stiegen um 5,91 Prozent. Allerdings: Der Zuwachs werde von wenigen Herstellern und dem „Hype im Sneaker- und Sportschuhbereich“ getragen, stellte HDS/L-Hauptgeschäftsführer Manfred Junkert fest. Viele Straßenschuhhersteller meldeten stagnierende oder rückläufige Umsätze. Der stationäre Schuheinzelhandel leidet erkennbar: an einer rückläufigen Frequentierung vor allem in Städten und am Wettbewerb durch Online-Anbieter, die durch 24-Stunden-Service und größere Auswahl im Vorteil seien. Ein Problem vor allem für kleine Händler: Manche vergrößern den Laden und damit Fixkosten und Risiko, andere geben auf. Der stationäre Handel verzeichnete 2016 einen Umsatzsatzrückgang um 2 Prozent, während der Online-Handel um 5 Prozent wuchs. Den Online-Marktanteil schätzt der Bundesverband des Deutschen Schuheinzelhandels auf 17 Prozent. Dort sind die Herausforderungen erkannt, doch Investitionen in digitale Geschäftsmodelle überforderten viele, heißt es zugleich. Es müssten sich Vertriebskooperationen mit der Industrie entwickeln. Auch die Industrie hat dies erkannt – mehr Partnerschaft mit dem Handel heißt das Stichwort. Elektronische Regalverlängerung, die Händlern direkten Zugriff auf Lagerbestände des Lieferanten ermöglichen soll, oder eine digitale Lernplattform für Beschäftigte sind Themen. Für Seibel wichtige Ansätze, um das Feld „nicht kampflos“ dem reinen Internethandel zu überlassen. Vor allem die Waren-Verfügbarkeit für eine breite Auswahl im Laden hält er für wichtig und sieht dabei auch die Hersteller in der Pflicht: „Wir müssen von der Industrieseite her sicherstellen, dass möglichst alle mitmachen.“ Nicht nur Mengen seien entscheidend, sondern auch Präsentation und Konzept müssten stimmen. Zudem müssten Kosten sinken, etwa bei Ladenmieten, die Händler belasteten. Hier deute sich bereits Entlastung an: Selbst Betreiber großer Einkaufszentren bewegten sich. Die verlorene Frequenz werde man aber kaum zurückgewinnen; Verkaufsflächen müssten daher reduziert werden, damit der verbleibende Handel profitabel arbeiten könne. In der Industrie, wo vernetzte Produktionen und Logistikketten schon Norm seien, könnten Entwicklungen wie virtuelle Showrooms oder 3D-Druck im Formenbau helfen, Zeit und Kosten zu sparen – Musterschuhe könnten verzichtbar werden, Prototypen in Tagen statt Wochen entstehen. Darüber hinaus hält Carl-August Seibel eine engere Zusammenarbeit zwischen Produzenten ebenfalls für sinnvoll. Auch diese könnten sich mehr austauschen, meint er, zum Beispiel über den Ledereinkauf oder die Logistik. Dies seien ohnehin keine großen Geheimnisse, sagt Seibel. Auch darin liege eine Chance – „wir sind alle zu klein, um kleine Süppchen zu kochen.“

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