Wissen Evolution: Hotspots der biologischen Vielfalt
Schalen von Meeresschnecken kommen als Fossilien sehr häufig vor und eignen sich gut, Klimageschichte und ehemalige Meeresverbreitungen zu rekonstruieren. Aus der Zeit vor 15 Millionen Jahren, als Teile Europas der Karibik ähnelten, gibt es besonders viele Funde.Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Mathias Harzhauser, Direktor der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), hat sich nach eigenen Angaben den Meeresschnecken des sogenannten Paratethys-Meeres gewidmet, das vor 35 bis elf Millionen Jahren Teile von Mittel- und Südosteuropa bedeckte. Anhand von mehr als 800 Arten fossiler Meeresschnecken von rund Hundert Fundpunkten verfolgten die Paläontologen die Geschichte des Meeres und stießen auf eine unerwartete Vielfalt.
„Das Zusammentreffen mehrerer Faktoren war für einen ungewöhnlich starken Anstieg der Biodiversität verantwortlich. Noch vor 18 Millionen Jahren erstreckte sich ein tiefes, west-ost orientiertes Meer von der Schweiz bis weit nach Russland. Das Meeresleben war in seiner Vielfalt mit der des heutigen Mittelmeers vergleichbar“, berichtet Harzhauser. Vor rund 16 Millionen Jahren habe sich die Landschaft dramatisch verändert. Durch das Herandriften der Afrikanischen Platte wurden die Alpen angehoben und das Meer des Alpenvorlandes trocknete aus. Nun begannen sich die Karpaten als Inselbogen aus dem Meer zu heben. Innerhalb dieses Bogens entstanden viele kleine Inseln.
Struktur der Meereslandschaft begünstigt die Artenvielfalt
„Vor 15 Millionen Jahren hatte sich Zentral- und Osteuropa schließlich in einen etwa 1000 Kilometer breiten, subtropischen Archipel verwandelt, der entfernt an die heutige Karibik erinnert. Diese stark strukturierte Meereslandschaft begünstige die Artenvielfalt“, erläutert Harzhauser weiter. Aufgrund der globalen Erwärmung infolge vieler Vulkanausbrüche samt enormem CO2-Ausstoß weitete sich der europäische Riffgürtel nach Norden aus und reichte nun etwa bis Eisenstadt. Mit den Riffen kamen auch viele spezialisierte Arten, die als Parasiten von und in den Korallen lebten. Die Korallenstöcke boten viele ökologische Nischen und wirkten als Booster der Vielfalt.
„Damals war die Paratethys, ein Randmeer Eurasiens in der Erdgeschichte, mehr als doppelt so artenreich wie das heutige Mittelmeer, und beherbergte sogar mehr Arten als das heutige Rote Meer. Überboten wird der damalige Biodiversitäts-Hotspot heute nur von der tropischen Vielfalt rund um die Philippinen“ so der Wiener Studienleiter.
Anhand Hunderter Fundorte konnten die Paläontologen auch innerhalb des verschwundenen Meeres nach geografischen Mustern suchen. Dabei zeigte sich, dass auf dem Gebiet des heutigen Rumänien der Schwerpunkt des Biodiversitäts-Hotspots lag.
Die Daten dokumentieren laut Harzhauser aber auch das Ende des Höhenflugs. „Vor rund 14 Millionen Jahren begannen sich in der Antarktis mächtige Eispanzer aufzubauen. Mit der globalen Abkühlung verschwanden auch die Riffe aus Mitteleuropa. Der Kollaps der Ökosysteme führte zum Aussterben von zwei Dritteln der Arten“, erklärt er. Da nun viel Wasser im Eis gebunden war, sank der Meeresspiegel weltweit um 50 Meter ab. Ehemalige Untiefen zerteilten das Meer nun, und die Faunen verloren ihre Verbindungen. „In den isolierten Meeresbecken entwickelten sich lokal beschränkte Arten, die wiederum Ausgangspunkt für kleinere Diversitäts-Hotspots waren. Die Boom-Phase war aber vorbei“, berichtet Thomas A. Neubauer von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München, der als Ko-Autor der Studie für die statistischen Analysen verantwortlich war. Als das Meer vor 12,7 Millionen Jahren durch Gebirgsbildung von den Weltmeeren getrennt wurde, sei die subtropische Vielfalt endgültig verschwunden.
Ermöglicht wurde die Analyse laut den Experten durch die Bearbeitung Tausender Funde in der Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien, die durch die Arbeitsgruppe in mehr als zwei Jahrzehnten sukzessive revidiert und in mehr als 20 Monografien publiziert wurden. Erst diese enorm zeitaufwendigen Arbeiten lieferten die Datenbasis für die Analysen.