Wissen Pilze mit großem Appetit auf Suppe

Im Labor züchten Federico Baltar und Eva Breyer von der Uni Wien die in Wasserproben gefundenen Mikroorganismen an und untersuch
Im Labor züchten Federico Baltar und Eva Breyer von der Uni Wien die in Wasserproben gefundenen Mikroorganismen an und untersuchen sie genauer

Forscher hatten sie dort, wo sie sie fanden, gar nicht vermutet. Doch Pilze lieben offensichtlich nicht nur morsches Holz im Wald, sondern fühlen sich auch im Meerwasser wohl. Das macht den Forschern Hoffnung.

Die Proben aus ein paar Hundert Metern Tiefe der Gewässer vor den Küsten Neuseelands gaben dem Mikrobiologen Federico Baltar, der damals an der University of Otago in Dunedin auf der Südinsel Neuseelands forschte, eine harte Nuss zu knacken: Unter seinem Mikroskop fand er in Wasserproben etwas, das er nicht erwartet hatte.

Damals, Mitte der 2010er-Jahre, richtete sich der Blick der Forschung zwar durchaus auf Mikroorganismen im Wasser. Allerdings auf Bakterien oder Archäbakterien, Pilze hatte dagegen kaum jemand auf dem Schirm. Aber genau die fand der Forscher in den Proben. Das Erbgut deutete glasklar auf solche mikroskopisch kleinen Pilze hin.

Zentrale Rolle im Kreislauf

Seither finden das Team von Federico Baltar, der seit 2018 an der Universität Wien arbeitet, und wenige andere Forschergruppen weltweit Pilze in den unterschiedlichsten Wassertiefen in allen Meeren der Welt. Dort scheinen die Winzlinge eine zentrale Rolle im Kreislauf der Nährstoffe zu spielen.

„Lange vermutete man, dass Pilze vor allem an Feststoffen wie zum Beispiel Treibholz im Meer vorkommen würden, nicht aber im offenen Wasser“, schildert Baltar die Erwartung zum Zeitpunkt des Fundes. Schließlich lebt diese Organismengruppe, zu der zum Beispiel die Backhefe gehört, an Land normalerweise auf festen Strukturen. Dort zersetzen Pilze zum Beispiel totes Holz oder tauschen mit Baumwurzeln Mineralien gegen Zucker, den die Pflanzen mit Hilfe von Sonnenlicht herstellen. Mit solchen Vorbildern vor Augen war bis dahin kaum jemand auf die Idee gekommen, im offenen Wasser nach Pilzen zu suchen.

In unterschiedlichen Regionen unterwegs

Der allergrößte Teil der Ozeane aber besteht aus einer freien Wassersäule ohne feste Strukturen. Und genau dort knackte Federico Baltar die harte Nuss der Winzlinge, die in den Gewässern vor Neuseeland schwimmen. „Seither hat sich der Schwerpunkt meiner Forschung hin zu Pilzen verlagert“, sagt der von den kanarischen Inseln stammende Mikrobiologe, der mit Forschungsschiffen immer wieder in sehr unterschiedlichen Meeresregionen unterwegs ist.

Anders als in den auch auf Mikroorganismen relativ gut untersuchten Küstengewässern schwimmen im offenen Meer meist nur sehr wenige Nährstoffe. Dort sind deshalb auch Fische und Meeressäuger bis hin zu Mikroorganismen eher dürftig vertreten. Ungefähr 70 Prozent der Erdoberfläche ist von solchen nährstoffarmen Meeren bedeckt, die entsprechend wenige Organismen beherbergen. Aber praktisch überall schwimmen im Wasser weit vor den Küsten des eisgepanzerten Grönlands über warme Regionen bis in die Antarktis mikroskopisch kleine Pilze, die oft nicht größer als zwei bis zehn Tausendstel Millimeter sind.

Viel weiß die Forschergemeinde auch heute noch nicht über die Lebewesen. Wie groß ist ihre Biomasse in den Meeren? Was machen sie dort genau? Welche Arten und Gattungen von Pilzen schwimmen in den Ozeanen? Auf alle diese Fragen haben Spezialisten wie Baltar bisher nur recht vage Antworten.

Abschriften des Erbguts

So lässt sich zwar das Erbgut der Organismen relativ gut aus dem Wasser holen und analysieren. „Nur ist die Bestimmung der Pilze aus solchen DNA-Sequenzen sehr kompliziert“, schildert Baltar eine der großen Hürden. Bis er und sein Team Licht ins Dunkel der Tiefsee bringen werden, wird also noch einige Zeit vergehen.

Wichtige Werkzeuge für diese Arbeit sind RNA-Analysen. Dabei handelt es sich um Abschriften des Erbguts, nach deren Vorlage die Organismen dann Proteine herstellen, die wichtige Funktionen erfüllen. Je mehr einer bestimmten RNA ein Organismus produziert, umso mehr der daraus hergestellten Proteine sollte er nutzen. Diese Proteine wiederum ähneln sich auch zwischen nur entfernt miteinander verwandten Lebewesen oft erstaunlich stark.

Pilze zerlegen Biomoleküle

Findet man in einem Organismus also die RNA vergleichbarer Proteine, sollten diese Mikropilze auch die bereits bekannten oder ähnliche Funktionen erfüllen. Anhand solcher Analysen kristallisiert sich heraus, dass die Pilze im Meer eine ähnliche Rolle wie ihre Verwandtschaft an Land spielen: Sie zerlegen Biomoleküle, die zum Beispiel vom Plankton abgeschieden werden oder die aus toten Zellen stammen, in Nährstoffe, die von anderen Organismen wieder genutzt werden können. Mit diesem Zersetzen von bereits gebrauchten Baumaterialien sind sie also fürs Recycling zuständig und halten so in den an Nährstoffen armen Gewässern das Leben in Schwung.

Bei diesen Untersuchungen haben der Mikrobiologe und seine Gruppe auch geschaut, ob die im Meer schwimmenden Pilze Weichmacher abbauen können. Diese Substanzen wie Phthalate oder organische Phosphorsäureester werden normalerweise aus Erdölprodukten hergestellt und Kunststoffen beigemischt, um diese geschmeidiger zu machen. Am Ende ihrer Nutzung können solche Plastikabfälle bis hin zu falsch entsorgten PVC-Fußbodenbelägen in die Umwelt und über Bäche und Flüsse bis in die Ozeane gelangen. Dort wiederum sind Weichmacher sehr lange nachweisbar, können die Natur schädigen und über die Nahrungskette auch Menschen erreichen und unter Umständen gefährden.

300 verschiedene Pilze untersucht

Während Phthalate für viele Mikroorganismen giftig sind, scheinen verschiedene Pilze im Meer nicht nur gut mit diesen Weichmachern zurecht zu kommen, sondern können sie anscheinend sogar verdauen, abbauen und so unschädlich machen. Das legen zumindest erste Vorstudien nahe, in denen Baltar, sowie Rim Mtibaá und Eva Breyer aus seiner Gruppe rund 300 verschiedene Pilze aus dem Meerwasser mit Weichmachern konfrontierten. Etwa 30 dieser Arten scheinen vor allem Phthalate verdauen zu können, um aus diesen Verbindungen Energie zu gewinnen oder auch Biomoleküle zu produzieren.

„Diese Ergebnisse sind noch vorläufig, wir wollen sie jetzt genau unter die Lupe nehmen“, erklärt Baltar. Mit einer Förderung des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF schaut seine Gruppe zum Beispiel mithilfe von RNA-Analysen, welche Enzyme und Stoffwechsel-Vorgänge die Winzlinge nutzen, um Weichmacher zu verdauen. Nehmen die unterschiedlichen Gruppen vielleicht alle den gleichen Weg, um diese sonst so hartnäckigen Verbindungen zu zersetzen?

Riesiges Reich für kleine Pilze

Besonders interessant ist auch die Frage, wie Temperatur und Salzgehalt das Leben der Pilze beeinflussen. Verändert doch der Klimawandel diese für die Mikroorganismen im Wasser sehr wichtigen Faktoren bereits heute deutlich: Steigende Temperaturen wärmen die Ozeane, lassen mehr Wasser verdunsten und lassen damit den Salzgehalt steigen. In den kälteren Regionen schmilzt das Eis der Gletscher und verdünnt so das Salzwasser. Nicht zuletzt will Baltar auch wissen, ob die Pilze im Meer die gleichen Stoffwechselwege wie im Labor nutzen, um Weichmacher abzubauen. Im riesigen Reich der winzigen Pilze in den Weltmeeren warten noch viele Fragen auf wissenschaftlich fundierte Antworten.

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