Wissen Viele Störche zieren wieder Felder und Wiesen

Nach der Wiederansiedlung in Rheinland-Pfalz konnten 2023 mehr als 620 Paare gezählt werden.
Nach der Wiederansiedlung in Rheinland-Pfalz konnten 2023 mehr als 620 Paare gezählt werden.

Sie suchen auf Feuchtgebieten nach Nahrung oder thronen hoch oben auf ihren Nestern. Störche waren in diesem Sommer auch in der Pfalz wieder vermehrt zu sehen. Das veränderte Zugverhalten fürs Winterquartier wirkt sich positiv aus.

Auf langen Beinen schreiten sie gemächlich über Felder und Wiesen. Die Anzahl der Weißstörche in Deutschland ist nach Angaben der Naturschutzorganisation Nabu gestiegen. Er gehe von mindestens 13.000 Storchenpaaren in diesem Jahr aus, sagt Bernd Petri von der Bundesarbeitsgemeinschaft Weißstorchschutz. Genaue Daten sollen noch folgen. Im vergangenen Jahr zählten die ehrenamtlichen Weißstorchbetreuer 12.122 Brutpaare, wie Helmut Eggers von der Bundesarbeitsgemeinschaft mitteilt. „Es gibt kaum eine Vogelart, deren Bestandsentwicklung besser dokumentiert ist als die des Weißstorches“, sagt er.

Die meisten Störche gab es dem Vogelkundler Petri zufolge entlang des Oberrheins in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Nach den finalen Daten für 2023 waren Baden-Württemberg und Hessen die storchenreichsten Bundesländer – dort gab es rechnerisch mindestens sechs Brutpaare pro 100 Quadratkilometer. Betrachtet man nur den Brutbestand ohne Bezug zur Fläche, gab es im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg mit 2191 Brutpaaren die meisten Störche, gefolgt von Niedersachsen mit 2113 Horstpaaren, wie Eggers mitteilt.

1988 in Rheinland-Pfalz fast verschwunden

Bundesweit kümmern sich Nabu-Ehrenamtliche um Weißstörche. Sie beobachten die Bestände und helfen in Notfällen. Dem Nabu zufolge gab es im Jahr 1988 einen Tiefstand mit nur noch knapp 3000 Paaren. „In manchen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und Saarland war der Storch als Brutvogel damals verschwunden“, berichtet Storchenexperte Eggers. Danach erholte sich der Bestand von Jahr zu Jahr. Nach der Wiederansiedlung in Rheinland-Pfalz konnten nach Informationen des Storchenzentrums in Bornheim (Kreis Südliche Weinstraße) 2023 mehr als 620 Paare gezählt werden. Auch in der Pfalz tauchen die Langbeiner verstärkt auf, beispielsweise im Donnersbergkreis, im Glantal und bei Speyer am Rhein.

In manchen ostdeutschen Bundesländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, gab es allerdings in den 1990er-Jahren deutlich mehr Brutpaare als heute. „Bundesweit gesehen ist die Entwicklung aber positiv“, sagt Eggers.

Als einen Grund für die steigende Anzahl der Störche sieht der Nabu das veränderte Zugverhalten. „Viele westziehende Störche fliegen nicht mehr nach Afrika, sondern überwintern bereits in Spanien, Portugal und Frankreich und zunehmend auch in Deutschland“, berichtet die Naturschutzorganisation. Die Tiere ersparten sich damit viele Risiken des langen Flugs. „Diese Vögel haben bessere Überlebenschancen als ostziehende Störche, die bis nach Afrika fliegen.“, so der Nabu.

Bei Störchen gebe es traditionell zwei Flugrouten ins Winterquartier: Die westliche Route führt über Frankreich und Spanien, dann über Gibraltar nach Westafrika, die östliche Route reicht über den Bosporus in der Türkei, über den Nahen Osten dann bis nach Afrika – je weiter die Reise ist, desto mehr Gefahren birgt sie. Dass die Anzahl der Störche in Teilen Ostdeutschlands sinkt, liegt dem Nabu nach mit daran, dass es dort mehr ostziehende Störche gibt, die die gefährlichere Route wählen. Für Mecklenburg-Vorpommern sehen die Naturschützer aber auch Gründe in der landwirtschaftlichen Nutzung. „Immer weniger artenreiches Grünland und ausgedehnte Monokulturen von Mais und Raps dürften hier eine Rolle für den Bestandseinbruch spielen“, meint Helmut Eggers.

Wohl erst im Mittelalter nach Norddeutschland

Heutzutage ist der Storch aus dem Norden nicht mehr wegzudenken. Doch hier war er nicht immer heimisch, wie eine aktuelle archäologischen Studie zeigt. Seine Verbreitung hat vermutlich mit den Menschen zu tun. Erst seit dem Mittelalter lebt der Weißstorch dort. Schleswig-holsteinische Forscher haben die Verbreitungsgeschichte des Weißstorchs in Europa seit der letzten Eiszeit anhand archäologischer Funde untersucht, wie die Universität Kiel mitteilt.

Norddeutschland sei erst in vergleichsweise junger Vergangenheit Teil des Weißstorchgebiets geworden, sagt der Ornithologe Kai-Michael Thomsen, der am Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland (Nabu) forscht und einer der Autoren der Studie ist.

Erst vor rund 1000 Jahren habe sich das Verbreitungsgebiet des Weißstorchs rasant nach Nordosten erweitert, sagt Thomsen. „Das fällt zeitlich mit dem mittelalterlichen Landesausbau – der Erschließung und Besiedlung zuvor ungenutzter Flächen – zusammen, bei dem viele Wälder gerodet und neue landwirtschaftliche Nutzflächen angelegt wurden.“ Offenbar sei der Weißstorch langfristig ein Nutznießer bestimmter, menschengemachter Landschaftsveränderungen.

Verbreitungsgebiet deckt sich mit Römischem Reich

Gemeinsam mit dem Archäozoologen Ulrich Schmölcke vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (Leiza) in Schleswig und mit Unterstützung des Exzellenzclusters Roots an der Kieler Universität hat Thomsen bereits veröffentlichte Funde von Vogelknochen im Umfeld von prähistorischen oder frühgeschichtlichen Siedlungen ausgewertet. Neuere Funde haben die beiden Autoren aus aktueller Forschungsliteratur ergänzt. „Dank dieser umfangreichen Datengrundlage lassen sich zuverlässige Aussagen über die Verbreitung des Weißstorchs in den letzten Jahrtausenden treffen“, sagt Schmölcke.

Demnach war der Weißstorch bis vor 1500 Jahren ausschließlich im Süden und Westen Europas verbreitet, vor allem auf der iberischen Halbinsel, im Oberrheingebiet und auf dem südlichen Balkan. „Die Verbreitungsgrenze des Weißstorchs stimmte am Ende der Antike genau mit der Ausdehnung des Römischen Reichs überein“, erklärt der Archäologe. Jenseits der Grenzen dieses Imperiums habe der Weißstorch keine geeigneten Lebensräume gefunden. Es gab den Angaben zufolge weniger offene Flächen, weil Landwirtschaft dort nicht so intensiv betrieben wurde.

Nach Ansicht der Verfasser bringt die Studie wichtige Erkenntnisse sowohl für den Naturschutz als auch für die Archäologie. „Wenn wir verstehen wollen, wie Arten sich ausbreiten oder warum sie aus einigen Gebieten wieder verschwinden, können wir uns nicht nur den aktuellen Zustand ansehen. Wir müssen auch langfristige Entwicklungen verstehen“, sagt Ornithologe Thomsen.

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