Meinung Seenotrettung von Flüchtlingen: Europa den Spiegel vorhalten

Flüchtlinge in einem überfüllten Boot auf dem Mittelmeer warten auf Rettung.
Flüchtlinge in einem überfüllten Boot auf dem Mittelmeer warten auf Rettung.

Europa hat längst akzeptiert, dass seit Jahren Tausende Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrinken. Die Seenotretter wollen das nicht hinnehmen und werden dafür angefeindet.

Das Mittelmeer ist ein Massengrab. Das ist einer dieser Sätze, die so oft zitiert wurden, dass ihre Wirkung abgestumpft ist. Dennoch: Mehr als 30.000 Menschen sind seit 2014 nach UN-Angaben auf ihrem gefährlichen Weg nach Europa ertrunken oder gelten als vermisst.

Politiker äußern sich seit Jahren betroffen angesichts dieser humanitären Katastrophe, doch sind sie meist damit beschäftigt, die Verantwortung den politischen Gegnern in die Schuhe zu schieben. Vor allem nach der Flüchtlingskrise 2015 schienen die Verantwortlichen angesichts der Monstrosität des Problems kapituliert zu haben. Das alte System war wegen des Ansturms von Millionen Asylsuchenden kollabiert. Die Europäische Kommission schlug zwar eine umfassende Neuregelung vor, passiert ist über Jahre herzlich wenig.

Aus für die Willkommenskultur

Nun hat sich die EU kurz vor der Europawahl in diesem Jahr zu einer Reform des Asylsystems durchgerungen. Die Suche nach einem Kompromiss gestaltete sich äußerst schwierig. Hinter der beschlossenen Reform stehen noch viele Fragezeichen, doch zeigt sie vor allem, dass sich die Stimmung in der EU in Sachen Migration grundsätzlich gewandelt hat. Es ist keine Rede mehr von Willkommenskultur. Jetzt geht es um Abschottung, Abschreckung, Abschiebung und die Auslagerung von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten. Das ist die unschöne Seite einer Politik, deren Ziel es ist, die Anzahl der Menschen zu reduzieren, die in Europa Schutz suchen.

Die privaten Rettungsschiffen im Mittelmeer würden vor allem den in Libyen und Tunesien tätigen Schlepperbanden in die Hände spielen, heißt es seitens Italien, Griechenland, Malta und Zypern. Dafür gibt es bislang allerdings keine Belege. Die Erfahrung zeigt, wer den gefährlichen Weg an die Küste und die Lager in Libyen überlebt hat, der wagt sich auch in einem morschen Kahn aufs Mittelmeer – egal, ob dort ein Rettungsschiff kreuzt oder nicht.

Massensterben im Mittelmeer

Die Seenotretter selbst verweisen zu Recht darauf, dass sie nur versuchen, die klaffende Lücke so gut wie möglich zu schließen, die sich nach dem Ende der von Italien geführten Marineoperation Mare Nostrum im Jahr 2014 aufgetan hat. Damals hat sich die EU aus der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer schrittweise zurückgezogen, was aus humanitärer Sicht eine Katastrophe war.

Das Massensterben im Mittelmeer zu verhindern, ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit Europas, das sich allzu gerne als Hort der Menschenrechte darstellt. Ein Fortschritt wäre es schon, wenn die Informationen der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die mit ihren Drohnen Tag und Nacht die Region absucht, die Positionen der seeuntüchtigen Boote gezielt an die Rettungsschiffe weitergeben könnte. Das würde Tausende Menschen vor dem Tod bewahren. Im Moment wird aber genau das Gegenteil getan: Aktivisten werden behindert, kriminalisiert und diffamiert.

Dabei sind sie es, die zutiefst menschlich reagieren. Mit ihren Rettungsmissionen lösen sie aber in einer abgestumpften Wohlstandsgesellschaft Irritationen aus, denn diese Männer und Frauen geben durch ihr Tun den kalten Zahlen und Statistiken ein Gesicht. Sie halten Europa den Spiegel vor, das in seiner Selbstzufriedenheit vor dem Sterben im Mittelmeer die Augen verschließt.

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