Kultur Ausstellung „vorZEITEN“ in Mainz feiert 70 Jahre Rheinland-Pfalz

Die Schädelkalotte eines Neandertalers, gefunden im Kreis Mayen-Koblenz: mit 170.000 Jahren der bislang älteste bekannte „Rheinl
Die Schädelkalotte eines Neandertalers, gefunden im Kreis Mayen-Koblenz: mit 170.000 Jahren der bislang älteste bekannte »Rheinland-Pfälzer«.

Eine gewagtes Unterfangen: den 70. Geburtstag eines Bundeslandes mit einer Archäologie-Ausstellung zu feiern. 400 Millionen Erd- und 800.000 Jahre Menschheitsgeschichte also gegen 70 Jahre Rheinland-Pfalz. Vorweg: Die Archäologen und Museumsmacher von heute haben gegen so viel Vergangenheit gewonnen. Und die Eröffnung der Schau „vorZEITEN“ am 21. Mai im Mainzer Landesmuseum durch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist nun zugleich bundesweiter Auftakt des 40. Internationalen Museumstags.

Es gibt Archäologen, die vertrauen einem unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, ihre Zunft fände eben immer das, was gerade gefunden werden soll. Wem das zu banal klingt, dem sei in Erinnerung gerufen, dass das seit 1871 bestehende deutsche Kaiserreich ebenso wie seine Nachfolger wenig daran interessiert war, auf „urdeutschem“ Boden allzu viele römische Spuren zu entdecken. Gefragt zu Hause war vorwiegend Germanisches, nicht unbedingt Welsches, selbst wenn es das wohl größte römische Theater nördlich der Alpen war: in Mainz, mit Bühnenhaus, einer Bühnenbreite von 42 Meter und über 10.000 Sitzplätzen. 1884 beim Bau der Eisenbahn entdeckt, irgendwann, zwischen Zitadelle und Schienen, unter der Erdoberfläche verschwunden. Erst 1999 bis 2007 gelangten die Überreste wieder ans Tageslicht. Über die Archäologie im Dienste nationaler Politik gab es in jüngster Zeit interessante Ausstellungen – nicht zuletzt in davon besonders betroffenen Städten wie Metz und Straßburg – und durchaus auch selbstkritische Publikationen. Die Aufgaben der Archäologie haben sich gewandelt. Gesucht – und (siehe oben) natürlich auch gefunden – wurden nicht mehr nur die großen Palastanlagen und Herrschaftskultur, sondern viele kleine Landvillen und Zeugnisse des Alltagslebens. Und immer öfter wird Bedeutsames entdeckt – und dennoch unter der Erde gelassen. Das ist einer der Gründe, warum die Ausstellung, die am Sonntag im Mainzer Landesmuseum eröffnet wird, keine archäologische Leistungsschau sein will. Kein „Best off“ der Grabungen auf dem Gebiet des vor 70 Jahren aus diversen Einzelteilen zusammengefügten Bundeslandes, in dem die archäologischen Außenstellen in Koblenz, Trier, Mainz und Speyer lange ihr Süppchen mehr getrennt als gemeinsam kochten. Es kann auch nicht darum gehen, anhand archäologischer Befunde eine wie auch immer geartete rheinland-pfälzische Identität zu konstruieren. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Landesgrenzen für die Archäologie nicht besonders relevant sind und dass es sich bei dem Gebiet, das heute Rheinland-Pfalz heißt, um einen Landstrich handelt, den der nur wenige Kilometer südlich von Mainz in Nackenheim aufgewachsene Carl Zuckmayer als „Völkermühle“ bezeichnete – auch wenn manche Stimmen so etwas derzeit wieder laut anzweifeln. Was die Archäologen in den vergangenen 70 Jahren hier zwischen Westerwald und Südpfalz aus dem Boden bargen, bestätigt allerdings die These vom ewigen Schmelztiegel der Kulturen entlang der Flüsse Rhein und Mosel. Was nun wieder als politische Aussage gelten kann ... Die Politik ist im Landesmuseum jedenfalls räumlich nicht fern: Zwischen dem „Ur-Ozean“ von Bundenbach im Hunsrück und erst 2014 geborgenen Erinnerungen aus im letzten Weltkrieg zerstörten Häusern in Trier liegt die Steinhalle mit ihren römischen Grabdenkmälern, die der rheinland-pfälzische Landtag bis zur Sanierung des Deutschhauses als Sitzungssaal nutzt. In der Mitte die Tagespolitik, rechts und links davon zwei Zeittunnel. Der eine von besagtem Ur-Ozean im Landkreis Birkenfeld mit seinen dort im Dachschiefer gefundenen Fossilien bis zu Funden aus keltischen Prunkgräbern aus Gräberfeldern bei Worms-Herrnheim und dem Landkreis Trier-Saarburg. Der andere Zeittunnel dann von der Römerzeit – wo die Funde des Militärstandorts Mainz dem Luxus im „Rom des Nordens“, Trier, gegenübergestellt sind – bis in die Neuzeit: nach Landau, wo die Landesarchäologie bei Grabungen am Werk 38 der Festung auf ein Massengrab stieß. Mit neun Toten eines Tages, des 12. Juli 1713, als französische Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg angriffen. Wer von den geheimnisvoll aus dem Dunkel leuchtenden Fischen, Seesternen und Seelilien des 400 Millionen Jahre alten Ozeans über die 25 Millionen Jahre alte Flugmaus aus einem ehemaligen Maarsee in Enspel bei Bad Marienberg , die Stein- und Bronzezeit, die Römer und das Mittelalter hier angelangt ist, dem erscheint das Kriegsgeschehen des 18. Jahrhunderts so, als sei es erst gestern gewesen. Wo Menschen, Waren und Ideen aufeinander-trafen, gab es immer auch Konflikte. Was die Bandsteinkeramiker in Herxheim dazu bewog, kunstvoll Leichen zu zerlegen, blieb den Archäologen allerdings bis heute ein Rätsel. Die etwa 7000 Jahre alten Funde aus der Südpfalz repräsentieren in der Mainzer Ausstellung diese Epoche der Steinzeit. Eine etwa 170.000 Jahre alte Schädelkalotte, gefunden in einer Kratermulde bei Ochtendung im Landkreis Mayen-Koblenz, ist der erste Beleg menschlicher Existenz auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes. 1968 bei Gönnersdorf im Neuwieder Becken entdeckte, 15.000 Jahre alte, auf Stein geritzte Figuren von tanzenden Frauen zählen wohl zu den ältesten künstlerischen Darstellungen von Menschen. Bei 700.000 bekannten Fundstellen, 900 kleineren und rund 40 Großgrabungen im Jahr muss den Ausstellungsmachern die Auswahl schwer gefallen sein, zumal – jetzt wird es wieder ein wenig politisch – auch alle Landesteile vertreten sein sollten. Der Mut zur Lücke wurde belohnt, die Präsentation in Episoden und die mal geheimnisvoll, mal prächtig beleuchtete, vorteilhaft die Objekte hervorhebende Architektur tragen zum Gelingen dieser Ausstellung bei. Zum ersten Mal sind hier nun auch die Funde des bronzezeitlichen Höhendorfs auf dem Hohenberg (RHEINPFALZ vom 29. April) und der 2013 durch unsachgemäße Bergung von einem Raubgräber beschädigte Schatzfund von Rülzheim ausgestellt: Was als Durcheinander von wertvollen Metallteilen gefunden wurde, ist jetzt wieder als ein repräsentativer Klappstuhl aus dem Römischen Reich erkennbar. Die Ausstellung „vorZEITEN – Archäologische Schätze an Rhein und Mosel“: Landesmuseum Mainz, 21. Mai bis 29. Oktober; mittwochs bis sonntags 10-17 Uhr, dienstags bis 20 Uhr; Katalog 24,95 Euro; www.landesmuseum-mainz.de

Ein reich geschmücktes Gesims des römischen Theaters von Mainz.
Ein reich geschmücktes Gesims des römischen Theaters von Mainz.
Spätantike Silberkanne, 1992 in Trier gefunden.
Spätantike Silberkanne, 1992 in Trier gefunden.
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