Streaming Die richtige Balance: Todd Haynes über seinen neuen Film für Netflix

Todd Haynes hat „May December“ im Oktober in London vorgestellt. Der Film läuft nun jedoch ausschließlich bei Netflix.
Todd Haynes hat »May December« im Oktober in London vorgestellt. Der Film läuft nun jedoch ausschließlich bei Netflix.

Das Schicksal von Frauen hat es dem US-amerikanische Filmemacher Todd Haynes angetan. Zwei oscarprämierte Stars werden zu seinen Musen: Cate Blanchett, mit der er „I’m Not There“ und die von Patricia Highsmith inspirierte Love-Story „Carol“ gedreht hat. Und Julianne Moore, die auch in seinen neuen Film „May December“ vor der Kamera stand. Ab 1. Dezember ist bei Netflix im Streaming zu sehen.

In „May December“, einem faszinierenden Vexierspiel und „Film im Film“ um die Authentizität von Filmen, Schauspiel sowie das Kleinstadtleben nach einem Skandal, gibt Juliane Moore die Hausfrau Gracie. Sie war Mitte 30, als sie vor 20 Jahren mit einem Teenager beim Sex erwischt wurde. Die Affäre sorgte landesweit für Schlagzeilen. Mittlerweile sind die beiden verheiratet und haben drei Kinder. Nun sollen die Ereignisse verfilmt werden. TV-Star Elizabeth (Natalie Portman) will in die Haut von Gracie schlüpfen. Mit ihren Recherchen reißt sie bei den Betroffenen alte Wunden auf. „Die Narben und die Verurteilung Gracies durch ihre Umgebung haben das Paar geprägt und beeinflussen auch die Kinder“, sagt Todd Haynes im RHEINPFALZ-Gespräch zu dem Film, dessen Titel keineswegs etwas mit Jahreszeiten zu tun hat, sondern sich von der umgangssprachlichen englischen Bezeichnung für Altersunterschiede in Partnerschaften ableitet.

Für Haynes und Moore ist es die dritte Zusammenarbeit. 1995 holt er sie für den sozialkritischen Psychothriller „Safe“ als verzweifelte Hausfrau, die an einer mysteriösen Autoimmunerkrankung leidet, vor die Kamera. Für beide wird der Film zum Durchbruch in Hollywood. 2002 arbeiten sie an dem Melodrama „Dem Himmel so fern“ erneut zusammen. Gerne wäre er jetzt mit ihr wieder auf eine weltweite Promotiontour gegangen, sagt er Wegen des Streiks der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft ist er jedoch alleine nach Europa gekommen. Beim Treffen in Zürich ist er im Vergleich zu früheren Interviews sichtlich entspannt. Aus der Tasche zieht er während des Interviews ein Album, das Fotos aus Ingmar Bergmans „Persona“ enthält.

Allen Seiten gerecht werden

Todd Haynes fertigt für jeden Film solch eine Sammlung an, die ihn und seine Crew künstlerisch inspiriert. „Ich liebe es, in die Film- und Kulturgeschichte einzutauchen. Ich lerne jedes Mal Neues“ gesteht der Regisseur, der sich als Filmnerd beschreibt. Der große Regisseur Douglas Sirk hätte Pate für „Im Himmel so fern“ gestanden. Das schräge Bob Dylan-Biopic „I’m Not There“ wiederum sei natürlich von der Musik und der Mode der 1960-er geprägt worden, sagt er im Blick zurück auf sein bisheriges Schaffen.

Bei seiner neuen Arbeit „May December“ sieht er Parallelen zu seinem auf wahren Begebenheiten beruhenden Justizdrama „Vergiftete Wahrheit“ um den Prozess eines Farmers gegen einen Chemiekonzern. Haynes fühlt sich als Regisseur verpflichtet, allen Seiten gerecht zu werden, wie er sagt. Er drehte sogar im Haus des Unternehmensanwalts Robert Bilott.

Und die Männer?

Neben Bob Dylan hat der Musikfan Haynes auch der Band Velvet Underground ein filmisches Denkmal gesetzt. In „Velvet Goldmine“ blickt er einem Musikjournalisten über die Schulter. Seine Filme über Männer prägen sich aber nie so stark in die Erinnerung ein wie sein Eintauchen in den Gemütszustand von Frauen.

„Mich interessiert die Welt von Frauen einfach mehr als das Schicksal von Männern. Ich bin neugierig, wie sie ihr Leben ausbalancieren müssen“, begründet er den Roten Faden in seinem Oeuvre. Das wird sich nicht ändern, kündigt er an. Um sich gleich zu korrigieren: In seinem nächsten Film erzählt er die Liebesgeschichte zweier Männer.

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