Museen Kulturelle Aneignung: Der Barfuß-Auftritt von Kendall Jenner im Louvre

Kendall Jenner vor Veroneses „Hochzeit zu Kana“.
Kendall Jenner vor Veroneses »Hochzeit zu Kana«.

Ein grundunsympathisches Foto auf Instagram, Kendall Jenner, im Selbstrepräsentationsgewerbe tätiges US-Modell, barfuß vor Veroneses Monumentalgemälde „Hochzeit zu Kana“. Ganz allein, „The Louvre at Midnight“, schreibt sie dazu, der Louvre um Mitternacht. Die Venus von Milo, die überzeitliche Schönheitsgöttin ist einmal im Bild. Später posiert Jenner im schwarzen Wasserfallgewand mit Rückenausschnitt und völlig freier Sicht auch noch vor Da Vincis „Mona Lisa“, der mehr oder weniger unbekannten, aber berühmtesten Frau der Welt. Um uns was damit zu sagen? Kann sein, ihr, Jenners Ruhm, verblasst schneller als das kürzeste Lachen der Welt. Die Hybris des Internettingeltangel-Frolleins, das fade Berühmtheit in Geld verwandelt, wie Jesus auf Veroneses Gemälde Wasser in Wein, ist jedenfalls so gewaltig wie durchschaubar. Ein billiger Protz-Move, der zeigen soll, dass ihr Ticket selbst im meistbesuchten Museum auch außerhalb der Öffnungszeiten gilt. Und die Erwartung eingeschrieben hat, dass man sie in Verbindung bringt mit Ewigkeitswerten. Hoffentlich ist wenigstens der Boden frisch gewienert gewesen. Aber bitte, Ulf Poschardt, Chefredakteur bei Springer, und fast vier Millionen anderen gefällt das laue Museumsstürmchen. Jenners Vernutzung der Kunstgeschichte für ihre Zwecke passt sehr gut ins Bild.

So beschreibt der Autor und Professor Wolfgang Ullrich, wie die italienische Barockmalerin Artemisia Gentileschi (1593 bis 1654) mit ihren beiden krassen Gemälden „Judith enthauptet Holofernes“ in den sozialen Medien gerade Karriere macht. Und dabei erzählen die TikTok-Kiras nicht, wie Judith ihre jüdischen Mitbürger vor dem assyrischen Belagerer und Feldherrn rettet. Vielmehr erscheint Gentileschi, die als junge Frau von einem Malerkollegen vergewaltigt wurde, jetzt als malende Vorkämpferin der #Me-Too-Bewegung und Ikone rächender weiblicher Selbstermächtigung.

Kunstgeschichte, schreibt Ullrich in der Kunstzeitschrift „art“ sinngemäß, werde so zu einem Pool, aus dem sich beliebig schöpfen lässt, um Gegenwartsthemen mit Erhabenheit aufzuladen. Kann sein, um sie gleich ganz zu überschreiben. Ultimativ auf dem Machtdemonstrationsvideo der Carters zu erleben, wie das Über-Popstarpaar Beyoncé und Jay-Z sich pseudo-bürgerlich nennt.

Groß wie Mona Lisa

Der Kurzfilm aus dem Jahr 2018 spielt wie Kendall Jenners Fotostory im Louvre und ist Stoff in Kunstgeschichtsseminaren. Allein auf Youtube wurde er Stand jetzt 280 Millionen Mal angeklickt. Und banale Besucher auf VIP-VIP-Tour wie das Model waren die beiden natürlich auch nicht. Das Video, eine Werbung für das damals gerade erschienene Album „Everything Is Love“, degradiert das Pariser Ewigkeitsarchiv der westlichen Kunstwelt, das jährlich 18 Millionen Besucher anzieht, geradezu zur Dekoration.

Am Anfang erscheint das schwarze Paar vor der „Mona Lisa“. In pastellfarbenen Anzügen und selbstbewusst zur Nabelschau getragenem Bling-Bling-Schmuck, sie stehen frontal zu den Betrachtenden. Später fläzt Beyoncé, angetan mit einer Art weißem Schwanskostüm, vor der „Nike von Samothrake“. Das heißt, der Blick auf sie, die Treppe hoch, ist so steil, dass die Skulptur dahinter fast verschwindet.

Sie konkurriert im Ganzkörperanzug, dazu ihre Wallelocken, mit der „Venus von Milo“. Ihre Inauguration als Weltenherrscherin – mit Tänzerinnen als Hofdamen – findet alsdann vor Jaques-Louis Davids „Krönung des Kaisers Napoleon und der Kaiserin Josephine“ (1805) statt. Zum Schluss nehmen die Carters die „Mona Lisa“ in ihre Mitte. Mit dem Rücken zum Publikum. Erhobenen Hauptes. Im Folgenden ist die Anzahl der Louvre-Besucher um 30 Prozent angestiegen. Das ehrwürdige Haus bietet – in einer etwas zwiespältigen Umkehrung der Verhältnisse – Führungen auf den Spuren der Pop-Paars an. Immerhin, das ist im Fall von Kendall Jenner nicht zu erwarten.

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