Über den Kirchturm hinaus Warum Glocken nicht nur zum Gottesdienst läuten

Morgenrot mit Blick auf die Martinskirche in Gönnheim.
Morgenrot mit Blick auf die Martinskirche in Gönnheim.

Ob zu Ehren der neuen Weinkönigin, als Zeichen gegen Rechtsextremismus oder als Taktgeber des örtlichen Lebens: Das Läuten der Kirchglocken kann unterschiedliche Gründe haben.

Am 27. September läuteten die Glocken der protestantischen Martinskirche in Gönnheim zweimal ungewöhnlich spät – vor und nach Mitternacht. Das 1918 untergegangene Bündnis von Thron und Altar feierte doppelt akustische Auferstehung. Charlotte Weihl, eine junge Frau des Ortes, wurde in Neustadt zur Deutschen Weinkönigin gewählt. Es ist nicht bekannt, ob es Beschwerden wegen Lärmbelästigung gab, wie es im Blick auf ganz normales Glockengeläut nicht selten geschieht. Zudem wird sich zeigen, ob die königliche Weinhoheit auch während ihrer Amtszeit einmal im Monat die Bibellese in der Gemeinde der Freien und Gleichen übernehmen wird.

Glocken und ihr Gebrauch sagen etwas über den jeweiligen Zeitgeist aus. Die Hitlerglocke der Jakobskirche in Herxheim am Berg bimmelte sich im Zweiten Weltkrieg stundenlang heiß. Sie bejubelte die Siege der deutschen Armee überall in Europa. Als Dank für den unüberhörbaren Dienst am Vaterland ließen die Nazis viele andere Glocken einschmelzen und zu todbringenden Kanonen schmieden. Zurzeit dämmert die den Führer verherrlichende Glocke im Dornröschenschlaf hinter dicken Turmmauern stumm vor sich hin. Doch Stilllegen und Verbergen reicht nicht. Endlich muss diese in Metall gegossene Gotteslästerung als ein abschreckendes Mahn- und Erinnerungssymbol sichtbar präsentiert werden. Einem erneut für rechtsextreme Versuchungen anfälligen Volk zur Aufklärung und zum Nachdenken.

Glocken haben auch eine soziale Funktion

Vergangenen März läuteten die Glocken der katholischen Bartholomäuskirche in Hauenstein bei einer Demonstration für Demokratie und gegen die AfD. 2019 hatte das mächtige Stiftskirchengeläut in Landau die Reden einer vor der Kirche stattfindenden Kundgebung des rechten „Kandeler Frauenbündnisses“ nahezu unhörbar gemacht.

Theologisch betrachtet verkünden die Glocken allein die Ehre Gottes. Sie tragen das Evangelium weit hinaus in Stadt und Land und bitten die Hörenden, selber barmherzig zu leben. Glocken umrahmen das gesamte christliche Leben. Sie erklingen zur Taufe, an der Konfirmation, bei der Hochzeit und zuletzt bei der Beerdigung. Glocken haben ebenso eine soziale Funktion. Sie laden Menschen zu Gottesdiensten ein und zu persönlichen Gebeten. Und ihr Schlagen strukturiert Stunde, Tag und Jahr. Glocken läuten das neue Jahr ein und machen Mut, die Zukunft zuversichtlich zu gestalten.

Richard Eberle ist Pfarrer im Ruhestand aus Gönnheim

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