Frankenthal Dracula im Regen und ein Heiratsantrag

Haben Theater im Blut (von links): Thomas Andres, Andrea Kühn und Ingeborg Brand.
Haben Theater im Blut (von links): Thomas Andres, Andrea Kühn und Ingeborg Brand.

Die hölzerne Rosinante wartet mit verstaubter Mähne auf ihren Don Quijote. Neben Jim Knopfs Lokomotive reflektiert das Spiegelkabinett Graf Draculas das wild wuchernde Grün der Freilichtbühne Im Busch des Theaterkreises Bobenheim-Roxheim. Die Requisiten erzählen von 20 Jahren Freilichttheater-Geschichte, erfüllt vom Applaus für 40 Inszenierungen und gefüllt mit einigen Tausend Arbeitsstunden pro Jahr vor und hinter den Kulissen.

Zum Geburtstag der Naturbühne blickt der Theaterkreis Bobenheim-Roxheim zurück auf die 1990er-Jahre, als aus einer Idee schrittweise Wirklichkeit wurde. „Damals hatten wir noch keine Freilichtbühne“, berichtet Ingeborg Brand vom Vorstand, die von Anfang an dabei war und als Mitbegründerin der Naturbühne bis heute die Treue gehalten hat. Ob bei der Inszenierung vom Freiheitsbaum auf dem Pestalozziplatz oder beim Schinderhannes am Heylschen Jagdhaus – schnell wurde dem theaterbegeisterten Verein klar, dass Aufführungen an wechselnden Spielorten zu aufwendig waren. Brands Bruder Rainer, Gründer des seit 1992 bestehenden Theaterkreises, hatte 1995 die Idee einer eigenen Freilichtbühne. „Das Was war klar, doch nicht das Wo“, erinnert sich Ingeborg Brand an die fruchtlose Suche nach einem Grundstück in Ortsnähe. Einige Monate darauf bot Ludwig C. Freiherr von Heyl, Besitzer des Landguts Nonnenhof, dem Theaterkreis das knapp 3300 Quadratmeter große Grundstück in der Wormser Gewannenlage Oberer Busch zur Pacht an. „2008 haben wir das Gelände gekauft. Den damals aufgenommenen Kredit von 44.000 Euro wird der Verein in zwei Jahren abbezahlt haben“, berichtet der 2012 zum Vorstandsvorsitzenden gewählte Thomas Andres. Das Unkraut stand mannshoch, als die Macher des Theaterkreises im Frühjahr 1996 der Natur den Boden sprichwörtlich abtrotzen mussten. Ingeborg Brand hat zum Pressetermin mit der RHEINPFALZ Fotos mitgebracht, die die 50 Akteure der ersten Stunde abbilden. Aus dem Wildwuchs wurde eine Baustelle, aus der Baustelle schälten sich allmählich die ersten Konturen der Freilichtbühne heraus. 850 Kubikmeter für den Bühnenhügel aufgeschüttete Erde, 1500 Quadratmeter neu gepflanzter Rasen, Bänke für zunächst 200 Zuschauer – nach einem Jahr mit über 1500 schweißtreibenden Arbeitsstunden kam 1997 mit dem „Wirtshaus im Spessart“ das erste Theaterstück auf die Freilichtbühne im Busch. Mit den Jahren wuchs die Bühne – um Sitzplätze für 400 Gäste auf einer Zuschauertribüne, Toilettenanlage, neue Garderobenräume. Auch das Getränke- und Regiehaus wurde ausgebaut. „Ich denke mit Wehmut an die 20 Jahre zurück“, sagt die heute 73 Jahre junge Regine Brand. Sie sei immer mit Herzblut dabei gewesen, „auch wenn kurz vor der Premiere die Nerven blank liegen – daran hat sich nichts geändert.“ Das Jubiläum gibt dem Theaterkreis allerhand Stoff, sich an Höhepunkte auf der Naturbühne zu erinnern: Die im Jahr 2000 komplett ausverkaufte Inszenierung der Passion. Dann 2005 der Heiratsantrag von Markus Fischer in der Rolle des buckligen Glöckners von Notre Dame – live auf der Bühne mit Rose für seine Zukünftige Tanja in der Rolle des Edelfräuleins. „Das war Gänsehaut-Feeling“, schwärmt Vorstandsmitglied Andrea Kühn rückblickend. 2016 kam die Natur der „Dracula“-Inszenierung zuvor. „20 Minuten vor der Aufführung prasselten 60 Liter Regen auf den Quadratmeter herunter, das war echt dramatisch“, erzählt Vorstandschef Andres. „Wir haben die flüchtenden Zuschauer buchstäblich in den Toilettenräumen gestapelt. Das Unwetter kam so schnell, dass es niemand in sein Auto geschafft hat.“ Dass die Natur Mitakteur bei den Inszenierungen ist, das sieht der Theaterkreis genauso wie die Zuschauer. „Wir bekommen immer wieder zu hören, dass die idyllische Naturbühne für schöne Sommerabende wunderbar geeignet ist“, betont Andres. Um jedes Jahr ein Stück für Erwachsene und ein Kinderstück aufzuführen, dazu gehört schon eine gehörige Portion Theaterblut: Bis zu 100 Probenstunden stehen vor jeder Inszenierung. Die Pflege der Anlage sowie der Bau von Requisiten und Kulisse kosten jährlich knapp 2000 Arbeitsstunden. Für die Kostüme ist hauptsächlich Ingeborg Brand zuständig. Von Januar bis Juni rattert ihre Nähmaschine werktags sechs Stunden lang. Der 200-köpfige Theaterkreis arbeitet ausschließlich ehrenamtlich und ohne Zuschüsse. Gärtner, Schreiner, Schneider, Techniker, Visagisten – für den Unterhalt der Freilichtbühne müssen die Mitglieder Allrounder in vielen Bereichen sein. Was heutzutage im Zuge nachhaltigen Wirtschaftens chic ist, das Upcycling durch Wiederverwertung, leben die Macher der Naturbühne seit jeher: Wegen des schmalen Budgets und aus Platzmangel werden alte Kulissen und Requisiten renoviert, restauriert und umgebaut. Und die Show geht weiter. Neben der Bühne sind zwei auf antik gestylte Türen aufgebockt. Durch diese wird im August das Gespenst von Canterville geistern, die Proben für das Erwachsenenstück laufen auf Hochtouren.

x