Frankenthal Frühjahrsputz im Erkenbert-Museum in Frankenthal

Die Chefin des Erkenbert-Museums und ihre Helferinnen haben für die RHEINPFALZ beim Großreinemachen aus dem Nähkästchen geplaudert.

Was die Museumsleiterin Vera Hollfelder sacht an die Vitrinenwand presst, funktioniert ebenso wie der gute alte Toiletten-Pömpel: mit Unterdruck. Zwei Saugnäpfe in der Größe von Untertassen komprimieren mittels Hebel die Luft. Voilà, die Glastür ohne Klinke lässt sich mit dem mobilen Glassauger öffnen. Nun ruhen die historischen Schätze der Frankenthaler Geschichte – hauchdünnes Porzellan, filigrane Tabakspfeifen und protzige Kürassier-Helme – ungeschützt auf Rollwagen und Arbeitstischen. Nur wenige Stunden ist es her, dass in Norditalien ein Rembrandt und ein Renoir im Wert von 27 Millionen Euro gestohlen wurden. Und von der Berliner Museumsinsel verschwand vor vier Wochen eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze. Hat Hollfelder keine Angst vor Kunsträubern, wenn sie die Exponate aus den Vitrinen nimmt? Kopfschütteln, das Museum sei während der zweiwöchigen Putzaktion geschlossen, außerdem gebe es eine Alarmanlage, die die Ausstellungsstücke im Gesamtwert vieler Millionen Euro schützt. Die Befürchtungen der Museumsleiterin liegen ganz woanders: „Man muss sich sehr konzentrieren, die hochempfindlichen Exponate nicht zu beschädigen oder gar fallenzulassen.“ Sie empfinde es als großes Privileg, die Kunstgegenstände in Händen halten zu dürfen. Über diese Hände haben Hollfelder und die Museologin Anna-Luisa Lutz dünne weiße Baumwollhandschuhe gezogen, um keine Spuren von Hautfett und Schweiß zu hinterlassen. „Das Putzen geschieht nicht mit einer Schrubberbürste, wie manche Besucher meinen“, erzählt Hollfelder und lacht. Stattdessen kehren die beiden die Ausstellungsstücke mit Pinseln ab, die aus feinstem Ziegenhaar gefertigt sind. Sorgfalt hat dabei höchste Priorität, was seine Zeit kostet: Das Abstauben einer Vitrine samt Inhalt dauert eine gute Stunde, insgesamt 39 Vitrinen gilt es zu entstauben. Die größten Zeitfresser sind die historischen Wohnstuben mit ihren Möbeln, Bildern und gedeckten Tischen, deren Reinigung bis zu einem halben Tag dauert. Doch wie gelangt der Staub in die verschlossenen Glaskästen? „Es gibt in größeren Museumshäusern Vitrinen, die zu 100 Prozent staubdicht sind“, erklärt Hollfelder. Diese seien für das vergleichsweise kleine Erkenbert-Museum zu teuer. Hier gibt es zwischen den Glaswänden zwar Dichtungen, aber sie sind teilweise über zwei Jahrzehnte alt und porös. „Die Belüftungsanlagen und der Besucherverkehr sorgen für Luftzirkulation, die den Staub in die Ritzen weht.“ Bis die längst überfällige Generalsanierung des denkmalgeschützten Gebäudes aus dem Jahre 1935 startet, womit nach Aussage Hollfelders erst ab 2019 zu rechnen ist, muss das Putzteam mit besonders viel Fingerspitzengefühl die Vitrinen säubern. Nachdem Hollfelder und Lutz die Vitrinen leergeräumt haben, putzt Reinigungskraft Irene Conz die Scheiben. Sie arbeitet lediglich mit Wasser, denn chemische Putzmittel dünsten aus und greifen die Oberfläche der Exponate an. „Ich verwende nur ein Putztuch“, sagt sie. Für den streifenfreien Durchblick poliert Conz anschließend das Glas mit Papierhandtüchern, wie man sie von Toiletten zum Abtrocknen der Hände kennt. Und das funktioniert? „Funktioniert“, bestätigt sie. Nicht nur in Haushalten, auch in Museen ist das Frühjahr traditionell die Saison für Großputz. „Die Besucher sollen sich an dem Anblick sauberer Exponate erfreuen können“, sagt die Museumschefin und pinselt über den Marmor-Bart von Friedrich Christoph Fanck, der vor einem Jahrhundert die Frankenthaler Zuckerfabrik leitete. Staubwischen sei nicht nur eine Frage der Ästhetik – Staub verbinde sich mit der Luftfeuchtigkeit zu einer hartnäckigen Schicht, die nach einigen Jahren nur noch von Restauratoren entfernt werden kann. „Und das wird teuer.“ Je nach Zustand koste eine Restaurierung einen drei- bis vierstelligen Betrag. Einige Grafiken müssten demnächst zum Restaurator, registriert Hollfelder. Dass ein Dutzend Bilder derzeit restauriert werden, verraten an den leeren Wänden Zettel mit der Aufschrift: „Ich werde zurzeit wieder schön gemacht.“ Zum kompletten Durchputzen fehlt es an Personal. Daher hat sich das Reinigungsteam bei der Putzaktion bis Freitag nur das erste Obergeschoss vorgenommen. Hier stehen rund 1000 Exponate ab dem 17. Jahrhundert, die ein gutes Drittel der Gesamtausstellung ausmachen – Vitrinen, Büsten, Plastiken, Gemälde und zwei Wohnstuben. Die Ausstellungen im Kellergeschoss zur Frühgeschichte und im Erdgeschoss zum Mittelalter bis zur Zeit der Glaubensflüchtlinge um 1600 sollen schrittweise an den Montagen gereinigt werden, wenn das Museum geschlossen ist. Im Keller macht sich Hollfelder ein Bild darüber, was dem Putzteam bevorsteht. Kopfzerbrechen bereiten ihr Eppsteiner Funde aus einem fränkischen Gräberfeld des fünften bis achten Jahrhunderts: Auf einer Sandschicht ruhen unter Glas die Überreste dreier Skelette. „Die Knochen werden wir nicht abstauben können, da verrutscht sonst alles“, meint sie nachdenklich und entdeckt, dass sich Spinnen in den Ecken der Vitrinen eingenistet haben. „Wir werden wohl nur die Ecken säubern“, beschließt sie. Zum Schluss wirft die 30-jährige Volkskundlerin einen Blick in den Tresorraum. Bis 1966 residierte im Museumsgebäude die Sparkasse, die bei ihrem Umzug in die Bahnhofstraße die einen halben Meter dicke Panzerstahltür hinterlassen hat. Dahinter lagern Teile des Museumsdepots vom Charme eines Flohmarkts: Kartons mit in Zeitungspapier eingewickelten Gläsern, Puppen, Büchern. Auch ein ausrangiertes Autokennzeichen des ehemaligen Oberbürgermeisters Theo Wieder ist hier. Schließt das Museum für die mehrjährige Sanierung, wandert das gesamte Inventar in ein Zwischendepot – wahrscheinlich in den Keller der Andreas-Albert-Schule (wir berichteten). Der Frühjahrsputz dürfte angesichts dieser Herkulesaufgabe ein Klacks sein.

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